Appell zum Schulterschluss gegen Fehlanreize

26.04.2023

Prof. Dr. Hans-Wilhelm Zeidler und Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski.


In einem Offenen Brief haben sich die beiden Finanzwissenschaftler Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski und Prof. Dr. Hans-Wilhelm Zeidler von der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin an maßgebliche Vertreter der Finanzberatungsbranche gewandt. Anlass ist das seitens der EU-Kommission geplante Provisionsverbot bei Finanzprodukten.

"Wir wenden uns heute als der Finanzindustrie und ihren KundInnen durch unsere fachliche Ausrichtung besonders verbundene Wissenschaftler an Sie. Anlass unseres Briefes ist die anhaltende Diskussion über ein drohendes Provisionsverbot.

Erlauben Sie uns vorwegzuschicken, dass wir zum einen Anhänger der Provisions- UND der Honorarberatung sind. Zum anderen sind wir aus darzulegenden Gründen engagierte Kritiker eines Provisionsverbotes.

Ein vollständiger Systemwechsel von der freien Wahl zwischen Honorar und Provision hin zum – gleichermaßen für Beraterinnen und Verbraucher – Zwang zur Honorarberatung ist eine Entmündigung der Verbraucher. Diese wäre überhaupt nur dann vertretbar, wenn dadurch nicht an anderer Stelle Schaden entstünde und es zugleich keine Alternative zum Provisionsverbot für die Erreichung des angestrebten Zieles gäbe: der Vermeidung von Fehlanreizen und Interessenskonflikten.

Beide Voraussetzungen sind nicht gegeben. Die Abschaffung der freien Entscheidung für eine Beratung und den Verkauf auf Provisionsbasis bringt gravierende, bereits vielfach an anderer Stelle vorgetragene Kollateralschäden mit sich – und sie ist überflüssig. Denn die in den letzten Jahren unter maßgeblicher Beteiligung vieler Branchenunternehmen, aber auch von Verbraucherschutz und Wissenschaft entstandenen DIN-Normen für eine unternehmensübergreifende, objektive und neutrale Finanzanalyse von Privathaushalten und zur Risikoprofilierung von Privatanlegern sind bestens geeignet,Fehlanreize und Interessenskonflikte weitestgehend aus der Finanzberatung zu eliminieren.

So stellt z.B. die DIN-Norm 77230 „Basis-Finanzanalyse für Privathaushalte“ die kundenindividuell als relevant ermittelten Finanzthemen in eine feste, wissenschaftlich fundierte und nicht von Vertrieben oder Beratern manipulierbare Rangfolge. Dadurch ist die Fehlanreiz-geleitete Priorisierung von Themen, zu deren Lösung provisionsstarke Produktklassen herangezogen werden können, per se ausgeschlossen.

Diese Norm ist aktuell auf dem Weg von einer deutschen zur europäischen Norm, sodass sie in absehbarer Zeit ein Provisionsverbot auch für die anderen europäischen Staaten obsolet machen wird.

Die genannten DIN-Normen können mithin starke, wenn nicht gar die stärksten Argumente gegen das Verbot von Provisionen sein, weil sie die Gründe der Befürworter an ihrem Ausgangs- bzw. Schmerzpunkt entkräften können – wenn sie denn auch flächendeckend Umsetzung erfahren. Das ist allerdings bisher nicht der Fall.

Dazu dass sich das ändert und dass damit den Befürwortern des Provisionsverbotes glaubwürdig und dauerhaft der Wind aus den Segeln genommen wird, können Sie in Ihren Verbänden und in Ihren – den größten deutschen – Finanzvertrieben und Pools einen Beitrag leisten.

Wir appellieren daher an Sie, den Schulterschluss aller beratend Tätigen zu suchen und auf Ihre Mitgliedsunternehmen sowie auf Ihre Mitarbeitenden und Anbindungen einzuwirken, dass sie sich durch die aktive Umsetzung der vorhandenen DIN-Normen für Verlässlichkeit und konsequente Kundenorientierung und damit gegen Fehlanreize in der Finanzberatung positionieren und so ein starkes und positives Signal gegen die Sinnhaftigkeit eines Provisionsverbotes setzen.

Die aktuelle Situation ist für die Finanzbranche und die Finanzberatungskunden gleich-ermaßen bedrohlich. Und auch wenn es jetzt ohne die von uns postulierte Umsetzung der DIN-Normen für die Finanzberatung gelingen sollte, das Provisionsverbot von der politischen Agenda zu nehmen – es wird wiederkommen, solange wir als Branche das Übel nicht an der Wurzel packen.

Auch wenn dieser Weg keine Kurz-, sondern eher eine Langstrecke sein wird: Es lohnt auf jeden Fall, sich jetzt gemeinsam auf den Weg zu machen hin zu Normen und weg von Fehlanreizen.

Bitte lassen Sie uns in den Dialog darüber treten und diskutieren Sie untereinander, wie wir in dieser Sache unsere Branche nach vorne bringen können. Wir freuen uns von Ihnen zu hören."