Zu neuen Ufern
29.07.2014
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Das Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG) hat den Versicherern vorerst aus der größten Bredouille geholfen. Langfristig wird sich der Markt vor allem im Hinblick auf Garantien jedoch kräftig verändern. Ob ihnen das gelingen wird, liegt auch am Vertrieb. Er muss mitziehen, damit die Kunden wieder mehr Geschmack an den Policen finden.
Im Rahmen des MCC-Kongresses „Lebensversicherung aktuell" Anfang Mai in Köln hatte Karin Clemens, Managing Director Insurance bei STANDARD & POOR´S, kaum gute Nachrichten für die Branche: „Unsere Erwartung einer moderaten Erholung des Zinsniveaus würde keine bedeutende Erholung der Ertragskraft und damit der relativen Wettbewerbsposition der Lebensversicherer nach sich ziehen." Der Niedrigzins bleibe der wesentliche Risikofaktor für deutsche Lebensversicherer. Marcus Nagel, CEO Life der Zurich Gruppe Deutschland, war da als einer der nachfolgenden Referenten ganz anderer Meinung: „In der Niedrigzinsphase ist das Kundenvertrauen in Versicherungen als gute Anlageform noch gestiegen." Allerdings ist dies durchaus interpretationsfähig, wie die gerade vom GDV für das Geschäftsjahr 2013 vorgelegten Zahlen zeigen. In der Tat konnten die Lebensversicherer danach ihren Gesamtumsatz um 4 % steigern. Die Bruttobeiträge kletterten – ohne Pensionskassen und Pensionsfonds – im Vergleich zum Vorjahr auf deutlich über 87 Mrd. Euro. Doch im Geschäft mit laufendem Beitrag gab es einen eklatanten Rückgang um 12,8 % auf 5,2 Mrd. Euro. Ein Jahr zuvor, ebenfalls bereits geprägt vom Niedrigzins, hatte sich der Abrieb mit einem Minus von 3,2 % noch in einem halbwegs erträglichen Rahmen gehalten. Bei klassischen Rentenpolicen fiel die ablehnende Haltung der Kundschaft besonders stark ins Gewicht. Unter dem Strich standen hier fast 20 % weniger Neugeschäft als noch 2012.
In der Tat hat die Lebensversicherungsbranche gleich mehrere Baustellen. Da wäre zunächst der schon seit Jahren niedrige Marktzins. Während bei der Fed in den USA mittlerweile erste Tendenzen zu einem Umdenken in der Zinspolitik erkennbar sind, schaltet die EZB – noch – auf stur. Zu unsicher erscheinen ihr einige Wackelkandidaten in der EU. Die Altersvorsorge-Sparer leiden darunter, ihre Überschussbeteiligung sinkt immer weiter.
Dennoch ist der Brancheninformationsdienst map-report bei einer Analyse von Ablaufleistungen erst kürzlich zu einem für viele Beobachter beachtenswerten Ergebnis gekommen: Die Rentenleistungen der Lebensversicherer seien fast überraschend gut. Und auch bei kürzeren Laufzeiten der sofortbeginnenden Rentenversicherungen gegen Einmalbeitrag seien die Ergebnisse für die Verbraucher durch den Zinseszinseffekt durchaus sehr vorzeigbar.
Doch: Dass am Ende deutlich weniger Geld herauskommt als in früheren Zeiten, bleibt unbestritten. Zumal die Lebensversicherer auch noch in erheblichem Maß Zinszusatzreserven bilden müssen. Damit soll sichergestellt werden, dass sie alle in der Vergangenheit gegebenen Garantien auch tatsächlich erfüllen können. Wer beispielsweise zwischen Juli 1994 und Juni 2000 eine Police abgeschlossen hatte, muss mit 4 % bedacht werden. Auf alle Neuverträge danach und bis Ende 2003 gab es immerhin noch 3,25 %. Auch deshalb ist der ab 2015 auf maximal 1,25 % zu reduzierende Höchstrechnungszins nicht nur den Produktanbietern, sondern auch allen Vermittlern ein Graus.
Wenig Trost mag da der oft geäußerte Verweis auf die lausige Verzinsung in anderen Sparformen spenden. Denn selbst wenn es an den Zinsmärkten in zwei Jahren wieder bergauf gehen solle, wie Prof. Dr. Bert Rürup, Präsident des Handelsblatt Research Instituts, in einem Gespräch mit dem GDV zum Ausdruck gebracht hatte – viel an der verfahrenen Situation der Lebensversicherung dürfte sich so schnell nicht ändern. Gefordert ist ein grundsätzliches Umdenken in der Anlage- und Produktpolitik. Dr. Carsten Zielke, Inhaber der Zielke Research Consult, hat vor wenigen Wochen auf den Punkt gebracht, was die Stunde geschlagen hat: „Es stehen hohe Leistungskürzungen in der privaten Altersvorsorge bevor, wenn die Anbieter nicht stärker renditeorientiert die ihr anvertrauten Gelder anlegen."
Keine Frage, dass die Zukunft der Lebensversicherung auch davon abhängt, welche neuen Garantieformen die Unternehmen entwickeln. ERGO in Düsseldorf hatte als erster Anbieter Anfang Juli vergangenen Jahres mit ihrer „Rente Garantie" vorgelegt. Doch mit der bloßen Entwicklung ist es nicht getan, die Vermittler müssen mitziehen, wie Stephan Schinnenburg, Vorstand der ERGO Beratung und Vertrieb AG (EBV) und dort Leiter des Maklervertriebs, erklärt: „Der Vertrieb ist gefordert, den Kunden die Auswirkungen der geänderten Finanzmarktsituation auf die klassische Lebensversicherung aufzuzeigen und ihnen die neue Produktwelt zu erläutern." Offenbar klappt das mittlerweile, meldete doch die Allianz für ihr kurze Zeit später gestartetes Vorsorgekonzept „Perspektive" vollen Erfolg. Es handelt sich damit nach Angaben des Unternehmens um die erfolgreichste Produkteinführung aller Zeiten. Bis Ende Juni konnten bereits 50.000 Verträge mit einem Wert von knapp 2 Mrd. Euro vermittelt werden. Markus Faulhaber, Vorstandschef der Allianz Leben, zeigt sich mit diesem Ergebnis natürlich hochzufrieden: „Mit „Perspektive" bieten wir den Erhalt der eingezahlten Beiträge, eine lebenslange Mindestrente und die Chance auf eine zusätzliche Rendite. Diese attraktive Kombination kommt bei unseren Kunden sehr gut an." Geht es nach Towers Watson, wird die Lebensversicherungswelt – auch ausgelöst durch das LVRG – künftig ohnehin völlig anders aussehen als in der Vergangenheit. Frank Schepers, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens, ist jedenfalls überzeugt: „Zukünftig werden sich die Kunden noch mehr zwischen verschiedenen und selbst für Experten manchmal schwer zu verstehenden Garantiekonzepten entscheiden müssen." Dazu könne man vermehrt Angebote ausländischer Gesellschaften erwarten, die wegen weniger strenger Regularien andere, wenn auch nicht notwendigerweise bessere Angebote im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit auf den deutschen Markt bringen werden. (hwt)