Wir müssen ein neues Bewusstsein schaffen

16.12.2019

Schulz-Jodexnis: Wenn ich kleinere Zeichnungssummen will, muss ich deutlich effektiver werden. Dann spreche ich eine breitere Klientel an, weil ich dann das Risiko besser streuen kann. Das ist ja quasi das Exporo-Modell. Ist das der Weg der Zukunft? Stüfe» Ich bin vor drei Jahren auf die Idee gekommen, eine Networking-Veranstaltung zu machen. Von den Gästen haben mich 80 % persönlich gekannt. Die anderen hatte ich bei LinkedIn vernetzt. Die sehen mein Profil, die haben ein paar Mal Auftritte von mir gesehen, ich habe da Videos geschaltet, gebe da gern mal ein paar Kommentare zur Hauptversammlung.

Schulz-Jodexnis: Es ist immer wichtig, dass die Leute einen Bezug haben, weil sie ein Netzwerk oder Personen persönlich kennen. Der klassische Versicherungsmakler macht vielleicht das Geschäft nicht persönlich, aber er lädt zu einer Veranstaltung ein, wo qualifizierte Leute sind, die dem Kunden diese Produkte erklären. Das findet der Kunde auch sympathisch, wenn der Vermittler nichts anbietet, wofür er nicht Experte ist. Wichtig ist eben auch, dass man mit den Neukunden in Kontakt kommt. Junge Vertriebe ziehen viele Neukunden an. Die haben keine schlechten Erfahrungen mit alten, schlecht gelaufenen Beteiligungen. Doch was sind aus Ihrer Sicht die Mittel, um Neukunden zu gewinnen? Roth» Die Digitalisierung ist für den Fernabsatz ideal. Wenn beim Zeichnungsschein nur ein Haken fehlt, geht er an den Vertriebspartner zurück. Nach Ergänzung durch den Kunden kommt der Schein wieder via Vermittler zu uns. Das ist für alle Beteiligten zusätzliche Arbeit und kostet Zeit. Bei einer digitalen Zeichnungsstrecke gelangt man nicht zum nächsten Schritt, bevor der aktuelle vollständig durchgeführt ist. Das ist nicht nur Unterstützung für den Vertrieb, sondern auch als Entlastung für die Verwaltung. Weil der digitale Zeichnungsschein immer vollständig ist. Neukundengewinnung heute ist tatsächlich schwer. Um die kommenden Generationen zu gewinnen, braucht man Facebook, Instagram & Co.; da erreicht man natürlich eine Klientel, die für die digitale Welt affin ist und keine Formulare von Hand ausfüllen will. Ich habe mich mit meinem 23-jährigen Sohn über dessen Depoteröffnung unterhalten und ihn gefragt, wie er sich denn dafür identifiziert hat. Der hat das über das Post-Ident-Verfahren gemacht. Damit hat er aber das Video-Ident-Verfahren gemeint, nicht den ehemaligen Klassiker beim Postamt. Heinen» Schauen Sie sich die Kundenstruktur von PayPal an. Unternehmen, die wir gar nicht kennen, werden Milliarden Euro anvertraut mit einem Video-Ident-Verfahren. Dabei gibt man bereitwillig seine persönlichsten Daten preis. Aber genau diese Kundengruppe fehlt uns im Moment. Das, was wir unter Digitalisierung verstehen, ist weit weg von dem, was diese Kundengruppe braucht. Das bedeutet, dass wir und unsere Prozesse so effizient und schlank werden müssen, dass wir diese Gruppe erreichen und Zugang zu ihnen und ihren Bedürfnissen finden können. Aber es fehlt auch momentan im Sachwertebereich an einem diversifizierten Angebot neben der Immobilie. Kampmann» Die Vielfalt an Assets, die wir derzeit am Markt haben, wird auch im Bereich Nachhaltigkeit zunehmen, da bin ich von überzeugt. Laut Umfragen gewinnt das Thema Nachhaltigkeit zunehmend an Bedeutung. Auch das Thema CO2-Steuer wird da helfen. Wir kommen aber immer wieder an den Punkt, wie diese Produkte dann an den Kunden vermittelt werden. Es fehlt derjenige, der das Thema an den Endkunden heranbringt. Wir haben ja auch vorhin über das Thema Erbe gesprochen. Wenn die Vermittler mit ihren Kunden wachsen, was passiert denn eigentlich, wenn die Erbschaft eintritt? Wer ist denn dann derjenige, der diesen Erben berät? Da gibt es keine Nachfolgeregelung. Wir haben zwar viel Geld, aber keinen, der sich um diese Themen wirklich kümmert, bzw. wegen der vielfältigen und komplexen Regelungen im Vertrieb kümmern ‚darf‘. Nichtsdestotrotz bin ich der festen Überzeugung, nicht erst seit Greta Thunberg, dass das Thema Nachhaltigkeit verstärkt im Kommen ist. Die jüngeren haben schon ihre eigene Lebensweise, das wird sich auch in deren Investitionsverhalten zeigen. Heinen» Beim Thema Nachhaltigkeit ist es das Asset, das sich bewähren muss. Es ist nicht in erster Linie der Ertrag. Für die jüngeren Anleger ist es wichtiger, ganz bewusst in Nachhaltigkeit hinein zu investieren als in hohe Renditen. Falls wir nächstes Jahr oder in zwei Jahren eine neue Bundesregierung unter Beteiligung der Grünen bekommen, werden wir eine Renaissance grüner Energie erleben und somit auch wieder damit verbundene Investitionsmöglichkeiten erleben. Wir müssen uns als Branche auf mehr Nachhaltigkeit in allen Bereichen einstellen. Positiv für uns ist: Je länger wir in der Niedrigzinsphase verharren, desto stärker wird das Bedürfnis sein, andere als die klassischen Anlagemöglichkeiten zu finden. (fw)