Wind of Change - Die Ära nach dem Shareholder-Value

28.08.2019

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Ein Wind der Veränderung zieht über den Erdball. Sowohl der Klimawandel als auch immer rasantere Entwicklungen in der Wissenschaft pusten Altbekanntes aus unserem Leben wie die Reinigungskraft den Staub von den Möbeln. Diese historischen Umwälzungen schicken börsennotierte Großunternehmen auf die Sinn-Suche. Ein erfolgreicher „Arbeiter-Aufstand“ bei Google signalisiert möglicherweise den Beginn eines neuen Zeitalters, in dem Shareholder Value nicht mehr alles ist.

Die ESG-Kriterien spielen eine immer größere Rolle im Investment. Dieses Akronym steht für „environmental, social, governance“, also zusammengefasst für Nachhaltigkeit. Ein Konzept, das 2014 in der Wirtschaft beträchtlich an Bedeutung gewonnen hat. Denn in jenem Jahr wurde in der EU eine Richtlinie verabschiedet, die den Nachhaltigkeitsbericht für große börsennotierte Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigen zur Pflicht machte. Die Auswirkungen sind enorm. Plötzlich zählt nicht mehr nur die wirtschaftliche Performance.

Es fließt von oben nach unten

Heutzutage kann sich kein Unternehmen leisten, in der Öffentlichkeit als grob unsozial oder umweltschädlich zu gelten. Dieser Druck wird von oben nach unten weitergereicht. Die finanzstärksten Investoren der Erde achten vermehrt darauf, dass sie ihr Kapital in nachhaltige Unternehmen anlegen, damit ihr Nachhaltigkeitsbericht sauber bleibt. Dies wiederum zwingt viele Aktiengesellschaften ebenfalls zu nachhaltigem Umdenken, da sie ansonsten den Abzug von Kapital riskieren.

Die Vermögenswerte, die inzwischen in Europa, den USA, Kanada, Australien, Neuseeland und Japan unter ESG-Kriterien gemanagt werden, haben in kurzer Zeit ein beeindruckendes Wachstum erlebt – von 22,9 Billionen Dollar in 2016 zu 30,7 Billionen Dollar Anfang 2018. Das geht aus Daten der Global Sustainable Investment Alliance hervor. Einige der führenden Asset-Manager befürworten diese Entwicklung. So hat sich Larry Fink, der Boss von BlackRock, wiederholt dafür ausgesprochen, dass Unternehmen einen Sinn über Profit hinaus haben sollten.

United States of Socialism

Bahnt sich also eine Herausforderung der Vorherrschaft des Shareholder Value-Prinzips an? Nach diesem Konzept haben in den vergangenen Jahrzehnten Aktiengesellschaften vor allem versucht, ihre Aktionäre zufrieden zu stellen. Logisch, denn sie bringen den Unternehmen das Kapital. Und wie hält man die Anleger bei Laune? Mit der Maximierung von Gewinnen. Doch nun entstehen andere Anreiz-Systeme. Ein Vorschlag hierzu kommt von Elizabeth Warren, einer der führenden Kandidatinnen im Vorwahlkampf der Demokraten in den USA.

Sollte sie 2020 US-Präsidentin werden, möchte sie große amerikanische Firmen dazu verpflichten, sich um eine „Charta“ zu bewerben. Diese würden nur diejenigen Unternehmen erhalten, die gewisse Standards für ihre Stakeholder umsetzen – also für all die Menschen, die direkt oder indirekt von den Aktivitäten eines Unternehmens betroffen sind. Wer die Anforderungen nicht erfüllt, würde seine Charta verlieren. Denn Warren betonte explizit, dass die Existenz eines Großunternehmens ein Privileg sei – kein Recht. Für die USA, die selbst erklärte Schutzmacht des Kapitalismus, ist das äußerst starker Tobak. Obwohl sich Warren selbst als kapitalistisch bezeichnet, werfen ihr Kritiker eine gefährliche Nähe zum Sozialismus vor.

Warum die Stakeholder immer mehr an Bedeutung gewinnen, lesen Sie auf Seite 2