Wind of Change - Die Ära nach dem Shareholder-Value
28.08.2019
Foto: © Photobank - stock.adobe.com
Aufstieg der Stakeholder
Wäre das aber überhaupt noch schlimm? In der jungen Altersgruppe von 18 bis 29 haben nämlich inzwischen ähnlich viele Amerikaner eine positive Einstellung zum Sozialismus wie zum Kapitalismus! Das geht aus einer diesjährigen Umfrage des Pew Research Centres hervor. Allerdings steigt der Beliebtheitsgrad des Kapitalismus erwartungsgemäß mit dem Alter der Befragten, bei einer gleichzeitigen Abnahme der Zustimmung für Sozialismus. Die Welt ist also doch noch nicht komplett auf den Kopf gestellt.
Doch die Anzeichen für eine Wende mehren sich. Ein entsprechendes Statement hat der „Business Roundtable“ erst letzte Woche veröffentlicht. Der einflussreichen US-Lobbyorganisation gehören zahlreiche Wirtschaftsführer großer amerikanischer Unternehmen an. Sie vertreten laut Communiqué die Ansicht, dass Firmen sowohl den Shareholdern als auch den Stakeholdern verpflichtet sind.
Das Öl des 21. Jahrhunderts
Demnach sollten Unternehmen ihren Kunden ein gutes Preis-Leistungsverhältnis bieten, in die Fortbildung ihrer Angestellten investieren, inklusiv in Bezug auf Geschlecht und Abstammung sein, die Umwelt schützen, Zulieferer fair behandeln und die Gemeinden stärken, in denen die Firmen operieren. Der „Council of Institutional Investors“, eine Non-Profit-Organisation von Asset-Managern, protestiert allerdings dagegen vehement.
In diesem Tauziehen um den Sinn und Zweck von Firmen nimmt eine fundamentale Umwälzung beträchtlichen Einfluss: der Rohstoff der wertvollsten Unternehmen der Welt. Bis 2011 führte jahrelang entweder ExxonMobil oder PetroChina die Liste der Financial Times Global 500 an – beides Ölriesen. Seit 2012 aber steht durchgängig entweder Apple oder Microsoft an der Spitze. Und je näher wir der Gegenwart kommen, desto mehr Tech-Giganten besetzen weitere die Top-Positionen. Der Rohstoff der wertvollsten Firmen ist nicht mehr Öl, sondern eine höchst qualifizierte Arbeitnehmer-Elite von IT-Genies.
„Arbeiter-Aufstand“ bei Google
Diese Superhirne vertreten meistens eine Weltansicht im Einklang mit den ESG-Kriterien. Was passiert, wenn dies mit den Geschäften ihres Arbeitgebers kollidiert, zeigt eindrucksvoll der „Arbeiter-Aufstand“ bei Google. Letztes Jahr haben Angestellte Google dazu gezwungen die Ausrüstung des Pentagon mit Künstlicher Intelligenz (KI) für Drohnen-Angriffe einzustellen. Des Weiteren haben sie Google dazu gebracht, aus dem Bewerber-Verfahren für ein Cloud Computing-System für die amerikanischen Streitkräfte auszusteigen. In einem anderen Beispiel spürt Amazon den Druck seiner Mitarbeiter wegen Verträgen des Online-Riesen mit Ölfirmen.
Der Hunger der Aktionäre auf Profit ist also nicht mehr der unumschränkte Bestimmer. Sinn, Zweck und Aktivitäten eines börsennotierten Unternehmens werden in der heutigen Zeit zunehmend auch von Aspekten der Nachhaltigkeit geleitet. Neben den Shareholder tritt der Stakeholder. (sh)