Weitet sich die Rezession aus?
03.08.2023
Guido vom Schemm. Foto: GVS Financial Solutions GmbH
Die deutsche Wirtschaft stagniert und bremst somit das Wirtschaftswachstum in ganz Europa, während die übrige Welt wirtschaftlich wächst. Die Aussichten sind nicht rosig, da die Kreditnachfrage der europäischen Unternehmen jüngst ebenfalls deutlich einbrach. Somit stellt sich die berechtigte Frage, ob sich der Wirtschaftsabschwung ausweitet und die Börsen in Mitleidenschaft zieht.
Die konjunkturellen Aussichten in Deutschland trüben sich weiter ein. Im neuen Wachstumsausblick des Internationalen Währungsfonds (IWF) ist die deutsche Volkswirtschaft unter den 22 untersuchten Staaten und Regionen die einzige, in der das Bruttoinlandsprodukt 2023 sinken soll.
Deutschland, der einstige Wirtschaftsmotor Europas, bremst merklich das Wachstum auf dem ganzen Kontinent. Laut IWF hat Deutschland vor allem einen Wettbewerbsnachteil durch die hohen Energiekosten. Die Preise für Strom, Öl und Gas gehen zwar zurück. Diese sind in der Bundesrepublik aber immer noch höher als in den meisten anderen Ländern.
Es gibt einen weiteren Grund, welcher negative Auswirkungen auf die Wirtschaft haben dürfte. Laut einer Umfrage unter gut 150 europäischen Großbanken wurde festgestellt, dass die Kreditnachfrage der Unternehmen in den letzten drei Monaten stark zurückgegangen ist. So wie noch nie seit dem Beginn dieser vierteljährlichen stattfindenden Umfrage im Jahr 2003. Der Rückgang betrug insgesamt netto 42 Prozent nach 38 Prozent im ersten Quartal.
Dieser Rückgang war bei den kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs) mit minus 40 Prozent am stärksten. Der Nettorückgang der Kreditnachfrage bei Großunternehmen fiel im Vergleich zur globalen Finanzkrise mit minus 34 Prozent etwas geringer aus. Zudem war der Nettorückgang um 46 Prozent bei der Nachfrage nach langfristigen Krediten der stärkste in der Geschichte der Erhebung. Die Nachfrage nach kurzfristigen Krediten fiel um 22 Prozent und lag somit in der Nähe des historischen Tiefpunkts während der globalen Finanzkrise.
Weniger Kredit heißt im Umkehrschluss weniger Investitionen. Die Unternehmensleiter werden vorsichtiger.
Außerdem sind Banken bei der Kreditvergabe restriktiver geworden. Es werden in der Regel mehr Eigenkapital und Sicherheiten verlangt. Dies liegt in erster Linie an den sich verschlechternden Kreditbüchern der Banken, denn immer mehr Unternehmen können ihre Kreditraten nicht mehr bedienen. Diese Entwicklung sollten nicht nur Anleger genauestens im Blick zu halten.
Der Rückgang der Investitionen könnte zwar die Bemühungen der EZB zur Eindämmung der Inflation unterstützen, bedeutet aber zugleich, dass die Wirtschaft weiter an Schwung verliert. Somit steckt die europäische Zentralbank in der Zwickmühle. Eigentlich muss die EZB die Zinsen anheben oder zumindest oben halten um die Inflation zu bekämpfen. Die in den letzten Jahrzehnten angehäuften Schuldentürme werden dies nicht verkraften können. Zudem droht die ernsthafte Gefahr, dass die hohen Zinsen die europäische Wirtschaft komplett abwürgen. Somit rechnen wir spätestens im Frühjahr 2024 mit der Rolle rückwärts der Notenbanken und entsprechend Zinssenkungen und / oder Hilfsprogrammen.
Sollte sich die Rezession ausweiten, dürfte die Luft an den Aktienmärkten dünner werden. Anleger könnten gut beraten sein, Gewinne zu realisieren und erstmal – zumindest teilweise – am Seitenrand abzuwarten. Eine Korrektur von 10-15 Prozent an den europäischen Börsen, insbesondere dem deutschen Leitindex Dax, ist in den nächsten Wochen absolut möglich. Dies wird dann ein neues Chancenfenster für einen (Wieder-) Einstieg eröffnen, getreu dem Motto von Börsenlegende Warren Buffett: „Sei ängstlich, wenn andere gierig sind und sei gierig, wenn andere ängstlich sind.“
Guido vom Schemm, Geschäftsführer GVS Financial Solutions GmbH.