Verblühte Träume
15.06.2015
Foto: © Saúl Briceño - flickr.com
Südamerika unter Führung des BRIC-Staates Brasilien galt bis vor kurzem als eine der attraktivsten Regionen im Universum der Emerging Markets. Mittlerweile wenden sich die Investoren aber ab.
Die Ursachen für das Abwenden der Investoren von Südamerika liegen nur zum kleineren Teil bei der Wirtschaft im engeren Sinne. Vielmehr sorgt die Politik durch ausufernde Korruption und kurzsichtigen Populismus dafür, dass die großen Chancen des Subkontinents allenfalls kleinen Minderheiten zugutekommen.
Argentinien ist vor allem als Heimat des Tangos bekannt, es hat aber auch absurdes Theater ganz spezieller Art zu bieten:
Die jeweils relevante Inflationsrate der zweitgrößten Volkswirtschaft Südamerikas wird im Parlament verlesen, da eine Veröffentlichung der Fakten nur noch unter dem Schutz der parlamentarischen Immunität möglich ist. Denn Argentiniens Gesetze drohen jedem mit Strafe, der Inflationsdaten veröffentlicht, die von den offiziellen (und mit Sicherheit falschen) Zahlen abweichen. Hintergrund sind die finanziellen Nöte der Regierung in Buenos Aires seit dem Bankrott von 2001. Der Fiskus spart eine Menge Geld, wenn die Inflation niedrig ist, denn der größte Teil der Staatsschulden auf Peso-Basis ist formal inflationsgeschützt, d. h. die laufende Verzinsung ist an den Preisindex gebunden. Daher wird der Fiskus entlastet, wenn die amtlichen Statistiker der INDEC die offizielle Inflationsrate klein rechnen wie zuletzt per April etwa auf 15,8 %. Im Parlament wurden dagegen 29 % bekannt gegeben, was sehr viel näher an den Tatsachen liegen dürfte: Alle unabhängigen Inflationsschätzungen der letzten Jahre haben regelmäßig Werte in der Spanne zwischen 25 und 30 % ergeben. Die Regierung hatte also handfeste finanzielle Gründe, die unabhängigen Schätzungen nach Kräften unter der Decke zu halten. Im Hintergrund stehen zudem die ungelösten Probleme der Altschulden aus der Pleite von 2001 und der Ausschluss von den internationalen Finanzmärkten. Importe sind daher nur soweit möglich, wie Exporterlöse erzielt werden, was Investitionen in höherwertige Technik aus dem Ausland schwierig macht, das Land fällt immer weiter zurück. Die Hoffnungen richten sich auf den Herbst: Voraussichtlich im Oktober wird ein neuer Präsident gewählt, der gewillt ist, das Schuldenproblem zu lösen. Bis dahin hat die noch amtierende Cristina Fernández de Kirchner wenigstens im eigenen Land noch die Zügel in der Hand.
Auch Brasilien als größte Volkswirtschaft Südamerikas steckt in einer tiefen Krise:
Die Zügel hat die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff leider nicht mehr in der Hand. Sie war schon durch die Massenproteste im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft angeschlagen, schaffte aber im letzten Herbst noch die Wiederwahl. Mittlerweile ist sie völlig isoliert im Gefolge eines gewaltigen Korruptionsskandals um die staatliche Ölfirma Petrobras. In der Folge verlor sie die Rückhaltung auch in ihrer eigenen Partei und bei den Koalitionspartnern, so dass ihre Regierung wichtige Reformvorhaben im Parlament nicht mehr durchbekommt. Genau das wäre aber dringend nötig, denn die größte Volkswirtschaft Südamerikas steckt in einer tiefen Krise: Die andauernde Rezession wird von einer langsam heiß laufenden Inflation begleitet. Die Ursachen sind zu einem wichtigen Teil hausgemacht, im Vorfeld der Wahlen und rund um die Großereignisse Fußball WM 2014 und den im nächsten Jahr anstehenden Olympischen Spielen in Belo Horizonte wurde das staatliche Budget stark strapaziert. Gleichzeitig verloren sich nach und nach die günstigen Voraussetzungen der Vorjahre mit hohen Rohstoffpreisen und extrem niedrigen Zinsen und einem starken Drang der laufend von der US-Notenbank geschaffenen Liquidität zur Anlage in den boomenden Ländern Lateinamerikas.
Einbruch des Wachstums mit bösen Folgen
Das schwache Wachstum nagte am Vertrauen der ausländischen Investoren, was die Währung unter Druck brachte. Die einsetzende Abwertung verschärfte den Inflationstrend. Die Notenbank hält seit Mitte 2013 mit einer Serie von 15 Zinserhöhungen dagegen, zuletzt hob sie den Leitzins Ende April um 50 Basispunkte auf jetzt 13,25 % an. Dieser Zinsschock ist völlig ausreichend, um eine ausgewachsene Rezession einzuleiten und indes die Inflation stoppen zu können. Es wurde eher das Gegenteil erreicht: Das durch die hohen Zinsen gestoppte Wachstum schwächt den Real. Diese Abwertung heizt wiederum über die Importe die Inflation an: Zuletzt wurden 8,2 % festgestellt, was nicht nur weit über dem Ziel (4,5 %), sondern auch an der oberen Toleranzgrenze liegt.
Auch in Chile ist die Politik in den Mittelpunkt gerückt, das Erbe der Pinochet- Diktatur in der seit 2005 laufenden Verfassungsreform ist noch immer nicht überwunden und verarbeitet.
Erst jetzt, zehn Jahre nach dem Ende der Diktatur wurden Reformen der Wahlgesetze und des Bildungssystems durch das Parlament gebracht. Reformen am Bildungssystem sind in jedem Land heikel, denn hier wird geregelt, wer zu welchen Bedingungen welchen Zugang zu Bildung und Abschlüssen erhält und damit in der Folge zu den Führungspositionen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Das Pinochet-Regime hatte sich hier indirekt durch eine Privatisierung eine soziale Basis verschafft. Kernpunkt: Die Universitäten wurden in formell private Institutionen umgewandelt, deren Finanzierung zum größten Teil allerdings auch weiterhin aus der Staatskasse stammte. Die privat aufzubringenden Studiengebühren spielen für die Finanzierung kaum eine Rolle – sie funktionieren aber als sozialer Filter, um den Zugang zum Studium und von da aus zu den Führungspositionen zu kontrollieren. Das erwünschte Ergebnis war eine regimetreue Mittelschicht, die formell durch Leistung und Diplome abgesichert war – und damit über Privilegien verfügte, die es zu verteidigen gilt. Entsprechend heftig wurde auch jetzt noch der Streit ausgetragen. Indes gab es aus wirtschaftlicher Sicht keinen anderen Ausweg. Chile muss mehr höher qualifizierte Kräfte ausbilden, um das Land aus der „middle income trap" herauszubringen. Denn nur durch mehr Humankapital (d. h. Menschen mit Know-how) und damit mögliche, höherwertige Produktionen kann die Abhängigkeit vom Kupferexport gelockert werden. Immerhin ist es der Regierung und Notenbank gelungen, trotz schwächerer Kupferpreise und einer Reihe wirtschaftlich belastender Naturkatastrophen ein moderates Wachstum und stabile Verhältnisse zu sichern.
Vollends desolat ist die Lage Venezuelas. Das OPEC-Land steht vor der Pleite. Ursache ist allerdings nicht allein der Ölpreisverfall. Vielmehr wurden die Staatsfinanzen durch die vom früheren Präsidenten Chavez vertretenen politischen Programme und Ambitionen überstrapaziert. Allein die Treibstoffsubventionen verschlangen 2014 volle 15 Mrd. Dollar für die knapp 30 Mio. Venezolaner, diese 2.000 Dollar pro Kopf/ Jahr sind eine beachtliche Last für den Haushalt, zu der noch Lebensmittelsubventionen hinzukommen. Zudem waren auch die Geschenke an die Nachbarn in der Karibik (etwa Kuba, Jamaika oder die Dominikanische Republik) teuer. Sie bestanden aus Öllieferungen deutlich unter dem Weltmarktpreis und in Mengen deutlich über dem Bedarf der Empfänger, die aus dem Verkauf der Überschüsse Deviseneinnahmen generierten. Der Absturz Venezuelas ist hart, der Rückgang des BIP erreichte 2014 bereits 3 % bei einer Inflation von über 70 %. Die Währung, der Bolivar, verfällt trotz enger Devisenkontrollen und -rationierungen. Der Abstand des offiziellen Kurses von 6,3 Bolivar (VEF) je Dollar zum Schwarzmarkt mit 200 VEF je Dollar zeigt den Abstand der Wünsche zu der Wirklichkeit.
Unterm Strich steht damit:
Mit Argentinien und Brasilien stecken die beiden wichtigsten Länder der Region in einer Rezession. Mit Venezuela kommt ein in die Pleite gewirtschafteter Ölstaat dazu. In den kleineren Staaten ist unter Führung Chiles ein eher flacher Wachstumstrend erkennbar. Aus der Region heraus wird es keine neuen Impulse geben. Die Rahmenbedingungen bleiben schwierig, weil mit der Verlangsamung des chinesischen Wachstums die Rohstoffnachfrage und damit eine wichtige Einkommensquelle Südamerikas rückläufig ist. Die Finanzierung der laufenden Defizite wird schwieriger, weil die Flüsse aus dem US-Dollar heraus schwach werden, wenn die Zinsen dort denn tatsächlich anziehen. Einziger Lichtblick bleibt aus Sicht der Südamerikaner das Interesse Chinas, das mit einem großen Investitionsprogramm (angekündigt mit 250 Mrd. Dollar) und Finanzierungsangeboten versucht, im US-amerikanischen Hinterhof wirtschaftlich Fuß zu fassen. Das Interesse Chinas ist allerdings klar auf die Rohstoffe und den Zugang zu den Konsumgütermärkten ausgerichtet, was ähnlich wie schon im afrikanisch-chinesischen Handel zu Reibereien führen dürfte.
Die guten Jahre Südamerikas sind zu Ende. Aus Anlegersicht wird der Subkontinent erst wieder spannend, wenn die Politik sich wieder darauf konzentriert, die jeweiligen nationalen Wachstumschancen zu nutzen und Potenziale zu mobilisieren. (mk)