So variabel wie nie zuvor

24.09.2013

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Besser zuhause oder im Heim? Vor dieser Frage stehen viele Angehörige von pflegebedürftigen Menschen.

So viel steht zumindest fest: In den eigenen Wänden wird es in den höheren Pflegestufen II und III in aller Regel teurer. Denn dann muss oft eine Rundum-Betreuung organisiert werden. Und die geht, da es sich stets um Einzelfälle dreht, richtig ins Geld. Es teilen sich schließlich nicht mehrere Pflegebedienstete wie im Heim gleichzeitig eine Vielzahl von Patienten.

Die privaten Krankenversicherer bieten Tagegeldpolicen an, bei denen zunächst einmal Wahlfreiheit besteht. Man schließt einen bestimmten Betrag pro Tag oder Monat ab – und besitzt über dieses Geld die volle Entscheidungshoheit. Nachweise über die Verwendung der Mittel sind gegenüber dem Krankenversicherer nicht erforderlich. Für Frauen sind diese Produkte noch wichtiger als für Männer. Und zwar aus zwei Gründen: Sie beziehen bedeutend weniger Altersrente, können also die großen finanziellen Lücken in der sozialen Pflegeversicherung noch weniger ausgleichen. Zweitens leben sie ein gutes Stück länger als Männer. Letztere fallen also als „Hilfspfleger" vielfach aus.

Spricht man mit privaten Krankenversicherern, loben diese ihr Angebot gegenüber den Pflegerenten-Anbietern über den grünen Klee. Der Vorstandschef der HanseMerkur Versicherungsgruppe, Eberhard Sautter, macht das beispielsweise am Preis fest: „Das Pflegetage- bzw. Monatsgeld ist vom Preis-Leistungs-Verhältnis her deutlich attraktiver als eine Pflegerente." Ins selbe Horn bläst auch Dr. Winfried Gaßner, Bereichsleiter Vertrieb und Marketing der MÜNCHENER VEREIN Versicherungsgruppe: „Der aufzuwendende Beitrag für ein Pflegetagegeld liegt in der Regel sehr deutlich unter dem einer Pflegerente. Daher erscheint vielen Menschen eine bedarfsgerechte Absicherung nur über ein Pflegetagegeld erschwinglich. Zusätzlich kann der Kunde den Staat beim Pflegetagegeld an den Beiträgen beteiligen: Der Gesetzgeber fördert mit dem Pflege-Bahr, also der staatlich geförderten privaten Pflegezusatzversicherung, ausschließlich das Modell eines Pflegetagegeldes." Dass die Deutschen für ihre private Pflegevorsorge beinahe ausschließlich den Weg des Pflegetagegelds wählten, bestätige diese Einschätzung. Der Preis spielt eben eine wichtige Rolle, so auch Andreas Seidl, Leiter Kompetenzcenter Personen/Vorsorge/Finanzen beim Maklerunternehmen vfm Konzept: „In erster Linie ist, gegenüber dem bei der Pflegerente bestehenden Anspruch auf Guthaben, bei Rückkauf oder im Todesfall sicherlich der günstigere finanzielle Aufwand von Vorteil. Für viele Menschen ist es einfach nicht möglich, für eine Pflegerente den bis zu dreifachen Beitrag aufzuwenden. Die Pflegerente ist an sich aber nach wie vor als ‚Königsweg' bei der Absicherung des Pflegerisikos zu sehen." Er ist sich darin einig mit Frank Kettnaker, Vorstand sowohl bei der HALLESCHE Krankenversicherung wie auch bei der Konzern-Schwester ALTE LEIPZIGER Lebensversicherung: „Pflegerenten-Produkte sind ideal für Menschen, die sich für einen vergleichsweise hohen Beitrag viel Sicherheit hinsichtlich Beitragsstabilität und Rückkaufswert leisten können. Der Vorteil der Pflegetagegeld-Produkte liegt eindeutig im erheblich günstigeren Einstiegspreis, den sich auch ein Durchschnittsverdiener leisten kann." Unverkennbar, dass hier zwei Herzen in einer Brust schlagen.

Aber auch bei Pflegetagegeld-Policen kommt es natürlich auf die Inhalte an. Etwa die Frage, ob es eine Leistung auch in der Pflegestufe 0, also bei erhöhtem Betreuungsbedarf gibt. Dr. Gaßner hält dies für zwingend erforderlich: „Die DEUTSCHE PRIVATPFLEGE PLUS ermöglicht natürlich auch Leistungen in Pflegestufe 0, sofern diese abgeschlossen wurden. Gerade der Absicherungsbedarf in Pflegestufe 0 wird in unserer Argumentation und Kundenansprache deutlich herausgehoben, da über die Hälfte aller Pflegebedürftigen in Deutschland demenziell erkrankt sind. Bereits 2006 hat der MÜNCHENER VEREIN als einer der Pioniere der privaten Pflegevorsorge einen eigenen Produktbaustein für die Absicherung bei der Diagnose Demenz angeboten." Die HanseMerkur handhabt dies genauso, wie Sautter herausstellt: „Schon in der Pflegestufe 0 leisten wir in Höhe von 25 % des vereinbarten Monatsgeldes und je nach Tarif und Versicherungsdauer auch noch zusätzlich einen Einmalbeitrag in Höhe von 3.000 Euro." Mehr noch gibt es bei der DFV Deutsche Familienversicherung AG, so erläuterst Vorstand Philipp Vogel: „Die DFV-DeutschlandPflege leistet bereits ab Pflegestufe 0 zu 100 %. Außerdem bieten wir als einziger Anbieter die Möglichkeit, das Demenzrisiko bei Pflegebedürftigkeit in den einzelnen Pflegestufen separat zu versichern und das Pflegetagegeld auf Wunsch zu verdoppeln." Pflegetagegeldprodukte, die hierauf keine adäquate Antwort böten, seien schlichtweg keine guten Angebote.

Eine ungekürzte Leistung gibt es bei der DFV zudem, wenn Menschen zuhause gepflegt werden. Dies gilt auch für HanseMerkur und die HALLESCHE. Anders beim MÜNCHENER VEREIN. Die DEUTSCHE PRIVAT PFLEGE PLUS überlässt diese Entscheidung dem Kunden. Der Produktbaukasten lässt es zu, das Pflegetagegeld für die stationäre und die ambulante Pflege in derselben Höhe zu wählen. Preissensible Kunden können sich aber auch auf die Absicherung der stationären Pflege beschränken und damit einen gewichtigen Teil der Beiträge sparen. Seidl, Pflege-Experte bei vfm, weiß sehr genau, wie der Markt bei dieser Frage tickt: „Bei den meisten ‚starren' Tagegeldtarifen (prozentuale Abstufung aus dem Tagessatz für Pflegestufe III) gibt es identische Leistungen und bei einigen wenigen Anbietern im stationären Bereich von Stufe I bis III auch 100 % des versicherten Tagessatzes." Doch müsse man vorsichtig im Hinblick auf die Abgrenzung zwischen notwendiger und freiwilliger stationärer Pflege sein. Hier gebe es wieder Unterschiede. Eine andere Frage ist jedoch die nach dem tatsächlichen Bedarf.

Vielfach reichen die versicherbaren Gelder in den kostenintensiven Pflegestufen I und 0 vorne und hinten nicht, um damit die Lücke zur sozialen Pflegeversicherung schließen zu können. Dies hat gerade das Freiburger Beratungsunternehmen KVpro.de anhand der Tarife von 25 Versicherungsunternehmen nachgewiesen. Die Ursache dafür ist schnell identifiziert: Die Lebensversicherer verkaufen ihre Policen stets über die Pflegestufe III. Mit absolut ausreichenden, manchmal in der Spitze auch übertrieben hohen Monatsrenten. Dies ist der Ausgangspunkt, an dem sich die unteren Pflegestufen von II über I bis 0 mit je nach Unternehmen unterschiedlich hohen prozentualen Abschlägen orientieren. Fallen diese Stufen jedoch zu groß aus, wackelt das gesamte Sicherheitsgerüst.

Ohne zusätzliche private Altersvorsorge in Form einer lebenslangen Rente geht es meist nicht, so die Schlussfolgerung von KVpro.de. Der finanzielle Aufwand hierfür ließe sich über die Beitragsersparnis bei der Wahl eines „preiswerten" Pflegerentenversicherers kompensieren. Etwa beim MÜNCHENER VEREIN, wie Dr. Gassner erklärt: „Die Tagessätze der DEUTSCHEN PRIVAT PFLEGE PLUS lassen sich in der Angebotssoftware individuell auswählen für alle Pflegestufen 0, I, II und III. Damit unterscheiden wir uns ganz erheblich von vielen Standardprodukten am Markt, die oftmals fixe Kombinationen vorgeben." DFV-Vorstand Vogel ergänzt: „In der Tarif-Variante ‚Flex' kann die Leistungshöhe in jeder einzelnen Pflegestufe und die Höhe der Sofortleistung variabel bestimmt werden." vfm-Experte Seidl sieht die große Zukunft solcher Tarife denn auch in ihren Gestaltungsmöglichkeiten: „Bei den ‚flexiblen' Tagegeldtarifen kann ich nicht nur die Leistungen in den einzelnen Pflegestufen variabel gestalten, sondern teilweise ebenfalls zwischen ambulanter und stationärer Pflege in den einzelnen Stufen wählen."

**KVpro.de hat den tatsächlichen Bedarf für einen 35-jährigen Mann ermittelt.

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Ihm zugrunde liegen hinsichtlich der Altersrente die jährlichen Erhebungen des statistischen Bundesamtes und hinsichtlich des Kostenrisikos aktuelle Pflegekostenberechnungen ambulanter Pflegedienste und von Pflegeheimen. In der Pflegestufe 0, also wenn Menschen altersbedingt ihren Alltag nicht mehr alleine meistern können oder dement sind, kostet eine stationäre Pflege 2.300 Euro im Monat. Der Lebensunterhalt schlägt mit 250 Euro zu Buche, an Sozialversicherungsbeiträgen sind weitere 100 Euro fällig. Gegen diese Ausgaben von 2.650 Euro stehen klägliche 100 Euro aus der sozialen Pflegeversicherung und 1.050 Euro Rente. Es bleibt mithin eine Unterdeckung von 1.500 Euro monatlich. Dies aber im Handumdrehen mit jedem beliebigen Tagegeldtarif decken zu wollen, ähnelt einem unerfüllbaren Traum. Nur sechs der 25 untersuchten Anbieter erfüllen ihn und bieten in der untersten, künftig demografisch bedingt aber immer wichtigeren Pflegestufe, ein derart hohes Tagegeld überhaupt an. Bei Frauen sähe die Berechnung noch weit dramatischer aus. Denn deren durchschnittliche Altersrente liegt bei nur 530 Euro.

(Dr. Hermann Schmidt-Dieburg)

Pflegetagegeld - Printausgabe 05/2013