Sind die goldenen Tage nun gezählt?

25.10.2024

(v.l.n.r.) Dan Sauer, Nordea Asset Management, Matthias Mohr, Capital Group, Dr. Johannes Mayr, Eyb & Wallwitz Vermögensmanagement GmbH / Foto: © Nordea Asset Management, Capital Group, Eyb & Wallwitz

Es ist Ende August und der Blick auf das Geschehen an den Aktienmärkten fällt positiv aus. Kurze Kursrücksetzer wurden wieder aufgeholt und viele Marktteilnehmer stellen sich die Frage, ob und wann die Rallye ihr Ende findet und es zu andauernden Kursabschlägen kommt. Zeitgleich ist die Inflation zwar im Rückwärtsgang, doch ob das Gespenst bereits vollends zurückgedrängt wurde, ist noch nicht ausgemacht. Hinzu kommen geopolitische Krisen und kriegerische Auseinandersetzungen rund um den Globus. Welche Regionen und Sektoren stehen in den kommenden Monaten im Fokus? Wie sollte man sich bei Korrekturen verhalten? Investoren sollten sich dabei vor Augen führen, dass Rücksetzer auch Chancen für Zukäufe bieten. Und generell sollten Sie als Berater sowieso den Langfristcharakter jedes Investments im Gespräch hervorheben. Die Chefredaktion ließ eine Expertenrunde bei (noch) hochsommerlichen Temperaturen zu Worte kommen.

  • Dr. Johannes Mayr, Chefvolkswirt, Eyb & Wallwitz Vermögensmanagement GmbH
  • Matthias Mohr, Managing Director Financial Intermediaries Germany & Austria, Capital Group
  • Dan Sauer, Zentraleuropa-Vertriebschef, Nordea Asset Management

finanzwelt: Meine Herren, draußen lacht die Sonne und der Hochsommer geht in eine (kurze) Verlängerung. Von einem drastischen Rückgang an den Aktienmärkten war bis dato noch nichts zu sehen. Welche Erwartungen hegen Sie für die Entwicklung der internationalen Börsen in den kommenden Monaten?
Dr. Johannes Mayr» Kurzfristig sind Rücksetzer jederzeit möglich, auch da einzelne Sektoren und Geschäftsmodelle ein sehr freundliches Umfeld einpreisen. Dagegen wird die Bedeutung der diskutierten politischen Risiken – der ‚known Unknowns‘ – auf die Finanzmärkte häufig überschätzt. Meist sind die relevanten Szenarien zumindest teilweise eingepreist. Und die Weltwirtschaft als Ganzes, wie die Geschäftsmodelle von nachhaltig erfolgreichen Unternehmen, ist resilient und anpassungsfähig gegenüber diesen Entwicklungen. Wichtiger sind die großen makroökonomischen Weichenstellungen und Wachstumstrends. Und da sieht es, vor allem mit Blick auf die USA, nicht so schlecht aus.
Matthias Mohr» Trotz des jüngsten Wiederanstiegs der Volatilität bei Risikoanlagen erwarten wir weiterhin einen positiven Trend an den Aktienmärkten. Eine Kombination aus technologischer Innovation, Produktivitätssteigerungen und positivem BIP-Wachstum sollte dies unterstützen.

finanzwelt: Lassen Sie uns einen Parforceritt der großen Regionen machen. Beginnend jenseits des Atlantiks. In den USA gilt die Zinssenkung im September als ausgemacht. Erwarten Sie mehrere Zinsschritte der Fed?
Dr. Mayr» Auch in unserem Szenario eines Soft Landings der US-Wirtschaft wird es die Fed nicht bei einem Zinsschritt in diesem Jahr belassen. Denn derzeit liegt der Leitzins doch deutlich über dem aus unserer Sicht mittelfristig vertretbaren Niveau von 3 bis 4 %. Eine starke Zinssenkungsbewegung in Richtung früherer Tiefs ist aber nur im Fall einer Rezession zu erwarten. Darauf sollte man nicht hoffen.

finanzwelt: Und der Riese im Osten? Gibt es Wachstumsimpulse aus China, Herr Dr. Mayr?
Dr. Mayr» Auch in China hat sich das Wachstumspotenzial verlangsamt. Es liegt derzeit noch bei 4 bis 5 %. Und die konjunkturelle Entwicklung wird nach wie vor durch die hohe Verschuldung und die Überkapazitäten im Immobiliensektor belastet. Die chinesische Regierung hat zwar die Mittel, um den Privatsektor zu stabilisieren, und wird diese auch einsetzen. Sie agiert bisher aber recht zögerlich und nimmt vor allem weniger Rücksicht auf die Entwicklung im Rest der Welt. Anders als nach der Finanzkrise wird China wohl auch perspektivisch nicht mehr der Stoßdämpfer für die Weltwirtschaft sein.

finanzwelt: Viele Investoren schauen natürlich auf die Lage hierzulande. Entgegen der Entwicklung in den USA gab es in der jüngeren Vergangenheit in Deutschland wenig Positives zu berichten. Die Konjunktur lahmt, Tristesse überall?
Dan Sauer» Wir hören schon Sorgen um den Standort Deutschland, wenn wir mit unseren Kunden sprechen. Wir als Asset Manager finden Lösungen, um global diversifiziert zu investieren und damit eben nicht mehr zu sehr vom Standort Deutschland abhängig zu sein. Die meisten deutschen Investoren haben noch immer nachgewiesenermaßen einen ‚Home Bias‘. Es gibt hierzulande eine Menge interessanter Gelegenheiten, aber Diversifikation ist Trumpf – egal, wie es dem Land gerade im Einzelnen geht.
Mohr» Wir sind der Meinung, dass manche Zahlen den tatsächlichen Zustand der deutschen Industrie etwas zu schwarzmalen. Das verarbeitende Gewerbe, weiterhin eine wichtige Stütze der deutschen Wirtschaft, musste weniger zurückstecken als andere Branchen wie zum Beispiel das Baugewerbe oder der Einzelhandel. Ein Risiko sehen wir in der Abhängigkeit Deutschlands vom Welthandel. Chinas schwache Konjunktur in Kombination mit den weiterhin hohen Zinsen ergibt ein kompliziertes Umfeld.
Dr. Mayr» Das deutsche Geschäftsmodell steht derzeit bekannterweise von mehreren Seiten unter Druck: die restriktive Geldpolitik und die zögerliche Fiskalpolitik, der lahmende sektorale Wandel, der Wegfall günstiger Energie und die zunehmende Konkurrenz auf ausländischen Wachstumsmärkten. Das größere Problem liegt jedoch im deutlich gesunkenen Wachstumspotenzial. Neben der demografischen Entwicklung spielt hier die Verlangsamung der Produktivität eine entscheidende Rolle. Grundlegende Reformen sind unabdingbar. Dazu gehört auch, dass die Vollkaskomentalität wieder zurückgedrängt werden muss.