Sekt statt Selters

22.07.2014

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Das zweite Halbjahr hat begonnen. Viele stellen sich die Frage, ob der Deutsche Aktienindex (DAX) weiter mit der Marke von 10.000 Punkten kämpft und wieviel Potenzial bei deutschen Standardwerten noch vorhanden ist.

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finanzwelt im Interview mit den Experten:

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Christian von Engelbrechten, Fondsmanager des Fidelity Germany Fund

Susanne Woda, Portfoliomanagement GVS Financial Solutions GmbH

finanzwelt: Vor kurzem hat der DAX die symbolische Marke von 10.000 Punkten erstmals getestet, bevor es dann mit den Kursen etwas bergab ging. Nicht wenige Beobachter haben die Aufwärtsentwicklung in den vergangenen Monaten mit Erstaunen und Unglauben verfolgt. Bleiben Sie weiter bullish, obwohl sich das Wachstum hierzulande verlangsamt hat?

von Engelbrechten: Um Bewertungen und psychologisch wichtig erscheinende Marken zu analysieren, sollten wir uns in Erinnerung rufen, dass der DAX im Gegensatz zu den meisten anderen Indizes ein sogenannter Performance-Index ist, in den die Dividenden eingerechnet werden. Insofern führt die Orientierung an vermeintlichen Höchstständen in die Irre. Entscheidender ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Dieses liegt derzeit nach wie vor unter dem historischen Durchschnitt von 15 und unterstreicht das weiterhin vorhandene Aufwärtspotenzial vieler deutscher Werte. Deutsche Titel sind nicht mehr so günstig wie vor 18 bis 24 Monaten, aber von einer Übertreibung bei der Bewertung kann keine Rede sein.

Woda: Wir sind nicht ganz so optimistisch. Zwar scheint die Angst aus dem Markt und der langfristige Trend zu weiteren Kursanstiegen intakt zu sein, aber es stellt sich doch die Frage, ob die geschürten Erwartungshaltungen erfüllt werden. Die jüngsten Gewinnwarnungen z. B. bei Lufthansa und Bilfinger bekräftigen unsere Vorsicht. Ist schon vieles in den Kursen eingepreist oder rechtfertigen die Gewinne diese Hausse, die wir nun seit mehreren Quartalen sehen? Zumindest kurzfristig sind wir eher verhalten positioniert, was deutsche Aktien betrifft.

finanzwelt: Frau Woda, bitte erläutern Sie das etwas näher. Die Exportwirtschaft blickt doch positiv in die Zukunft.

Woda: Der Gegenwind nimmt zu. Die Lohnstückkosten in Deutschland steigen im Gegensatz zu den europäischen Nachbarn an. Deutsche Unternehmen produzieren 20 % teurer als z. B. Portugal oder Irland. Der starke Euro belastet die Gewinne – bereits 2013 enttäuschten exportorientierte Unternehmen mit negativen Wechselkurseffekten. Die jüngsten Interventionen der EZB verhindern Schlimmeres, dennoch beschränkt der aktuelle Wechselkurs die Gewinnaussichten.

finanzwelt: Herr von Engelbrechten, sind diese Argumente von der Hand zu weisen?

von Engelbrechten: Grundsätzlich dürfte die Entwicklung an den Aktienmärkten von zwei zentralen Fragen beeinflusst werden: Wie entwickelt sich die globale Wirtschaft im Generellen und die deutsche im Besonderen? Und wie agieren die Notenbanker? Die Weltwirtschaft wird laut Internationalem Währungsfonds (IWF) und der OECD ihren Erholungskurs fortsetzen. Die Eurozone wächst erstmals wieder. Deutschland steht an der Wachstumsspitze Europas. Dies findet seinen Niederschlag in den global ausgerichteten Unternehmen. Die Bilanzen fallen stark aus und der Fremdkapitalanteil wurde gesenkt. In der Summe durchaus gute Rahmenbedingungen, die vielen Unternehmen weiteren Auftrieb verleihen sollten.

finanzwelt: Und wo machen Sie die größten Risiken aus?

von Engelbrechten: Geopolitische Risiken sind natürlich nicht zu unterschätzen, etwa die aktuelle Lage in der Ukraine. Solche Spannungen belasten die Märkte. Eine weitere Eskalation wäre für alle Beteiligten sehr teuer, von daher vertrauen wir auf den Verstand. Langfristig sind jedoch die Zahlen der Unternehmen entscheidender.

finanzwelt: Welche Alternative(n) bieten sich denn jenseits deutscher Aktien, die gemeinhin als „alternativlos" gelten?

Woda: Nach einer schwindelerregenden Talfahrt haben seit März 2014 die Aktienmärkte der Emerging Markets fast zweistellig zugelegt. Aus gutem Grund, derzeit liegt die durchschnittliche Wachstumsrate bei 5 %. Zweifelsohne hat sich das Wachstum in den Schwellenländern verlangsamt, und das ist in manchen Fällen eher strukturell als zyklisch begründet. Der Schlüssel für Investoren liegt jetzt darin, herauszufinden, ob den Risiken genügend Renditeaussichten gegenüberstehen. Dieses Verhältnis ist wieder attraktiver geworden – auch weil diese Länder von der Währungsabschwächung profitieren, die Deutschland ausbremst. Die Kapitalverschiebungen werden zudem von negativen Einlagenzinsen unterstützt, da eine strategische Positionierung in Europa für ausländisches Kapital zusätzlich unattraktiver wird. Daneben sind wir auch für Gold als strategischem Portfoliobestandteil positiv gestimmt.

finanzwelt: Emerging Markets sind ein gutes Stichwort. Wie schätzen Sie die Wachstumsaussichten Chinas ein und was bedeutet dies für deutsche Unternehmen?

von Engelbrechten: Das Wirtschaftswachstum in China fällt mit circa 7 % immer noch vergleichsweise hoch aus. Ich bin der Meinung, dass es nicht zu einer harten Landung kommen wird und die Regierung mögliche Gefahrenherde im Blick hat und rechtzeitig gegensteuern könnte. Das Nachfragepotenzial Chinas ist immens und davon profitieren die deutsche Automobilindustrie sowie auch Unternehmen aus dem Bereich der Grünen Technologien.

Woda: Da stimme ich zu. Wir sehen momentan keine Anzeichen für eine Schwarzmalerei. Die chinesische Wirtschaft befindet sich in einem Transformationsprozess, in dessen Zuge sich das Wachstum der Anlageinvestitionen abschwächt. Die Entscheidungsträger setzen bewusst auf ein verstärktes qualitatives Wachstum statt reiner Quantität wie noch in der Vergangenheit.

finanzwelt: Welches Gewinnwachstum erwarten Sie und wo könnte der DAX in einem Jahr stehen?

von Engelbrechten: Ich gehe davon aus, dass die Gewinne auf 12-Monatssicht um 10 % wachsen werden. Der DAX sollte ebenfalls in dieser Größenordnung zulegen. Langfristig orientierte Investoren sollten daher das Chancenpotenzial deutscher Titel nicht aus dem Blick verlieren.

Fazit

Das Wachstum der deutschen Wirtschaft ist nicht mehr so kraftvoll wie in der Vergangenheit. Das BIP im zweiten Quartal wird nur noch um 0,3 % zulegen. Im Zusammenhang mit der andauernden Ukraine-Krise lassen vor allem die deutschen Investitionen nach. Dennoch bleiben die Optimisten in der Überzahl, zumal viele exportorientierte Unternehmen nach wie vor für ihr Geschäft zuversichtlich gestimmt sein. Der neueste Weltinvestitionsreport der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) bestätigt, dass Deutschland zu den 20 attraktivsten Ländern für internationale Investoren gehört. Zudem sind deutsche Aktien wegen des Niedrigzinsniveaus schon alternativlos. Mit Bundesanleihen können sie nicht gewinnen. Die Euphorie am Aktienmarkt dürfte anhalten, wenn auch etwas moderater und schwankungsreicher. (ah)

Deutsche Aktien - Printausgabe 04/2014