Schlechte Daten und neue Rekorde
09.04.2024
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Die deutsche Wirtschaft lahmt. Vorbei die Zeiten, in denen das europäische Ausland neidvoll auf uns blickte. Nun haben wir die rote Laterne. Indes steigen die Aktienindizes. Verkehrte Welt? Insbesondere das Herzstück des deutschen Mittelstands lässt Hoffnung aufkeimen. Berater sollten auch mit Blick auf die deutsche Investmentlandschaft Stock Picking betreiben und selektiv empfehlen.
Konjunktur-Lokomotive Europas, überdurchschnittliches Wachstum und solide Finanzen? Klingt nach einem super Zeugnis für den Standort Deutschland. Doch leider trifft das nicht zu. Jedenfalls für das laufende Jahr. Lieferketten-Probleme, Inflation und die Energieumstellungen haben die Wachstumsaussichten der europäischen Wirtschaft im Allgemeinen und für Deutschland im Besonderen deutlich geschmälert. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, wie manche Mittelmeeranrainer, tut sich Deutschlands Wirtschaft jedoch besonders schwer.
Wirtschaft dümpelt vor sich hin
Mehrere Wirtschaftsinstitute kommen unisono zu dem Schluss, dass die deutsche Volkswirtschaft aktuell arg zu kämpfen hat. Vor allem das 1. Quartal fällt durch ein Schrumpfen der wirtschaftlichen Leistung aus. Die Kapazitätsauslastung der deutschen Industrie befindet sich mit nur noch 81 % auf Rezessionsniveau, so das IfW Kiel. In vielen Branchen leiden die Unternehmen unter einem schlechten Auftragseingang, aber auch unter den Folgen der Streikwelle, die Deutschland seit einiger Zeit in Bann hält. Zudem gewinnt man den Eindruck, dass die verhaltene deutsche Industriepolitik der vergangenen Jahre sich zunehmend rächt. „Wir erwarten im 1. Quartal ein erneutes Schrumpfen der Wirtschaftsleistung in Deutschland um 0,1 %. Die Industrie bleibt dabei ein Bremsklotz“, ist aus dem Hause der Sutor Bank zu hören. Glücklicherweise sind die Aussichten auf die kommenden Quartale etwas optimistischer, so dass sich die Erwartungen der Unternehmen stabilisieren konnten. Dann wirken sich insbesondere steigende Realeinkommen und eine Entspannung bei den Finanzierungsbedingungen wachstumsfördernd aus.
Inflation auf dem Rückmarsch
Rückenwind könnte auch von der Inflationsfront kommen. So hat die langfristige Inflationsprognose das Zwei-Prozent-Ziel erreicht, so dass die EZB mit der Senkung ihrer Leitzinsen beginnen kann. Dennoch erklärte EZB-Präsidentin Christine Lagarde, dass weitere Daten notwendig sind. Die Währungshüter sind noch nicht „hinreichend zuversichtlich“, dass die Inflation in Richtung ihres Ziels fällt. Dessen ungeachtet bleiben die Börsen optimistisch und vertrauen auf die Kraft der Notenbanken. Es wird in den nächsten Wochen darauf ankommen, wie schnell die Zinshoffnungen durch die Notenbanken erfüllt werden. Bleibt diese Erwartung unerfüllt, werden wir Korrekturen an den Börsen erleben. Im Markt wird davon ausgegangen, dass die EZB im Juni an der Zinsschraube drehen könnte. Sinkende Zinsen würden die Aktienmärkte weiter beflügeln und die Konjunktur ankurbeln. Insbesondere in der Immobilienbranche ist der Ruf nach einem moderateren Zinsniveau deutlich zu hören.
Welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus?
Zum einen sollten Sie Ihren Kunden attraktiv bewertete
deutsche Aktien empfehlen, die über ein solides Geschäftsmodell verfügen,
geordnete Bilanzen haben und international positioniert sind. Viele deutsche
Unternehmen agieren multinational, d. h. nur ein Bruchteil ihres Umsatzes
erwirtschaften sie hierzulande. Zum anderen ist vielleicht gerade jetzt ein guter
Zeitpunkt, um über Investments in die zweite oder dritte Börsenreihe nachzudenken.
Stabilisiert sich der konjunkturelle Ausblick, dann sind diese Aktien vorne.
Für diejenigen, die sich angesichts der Börsenstände kurzfristig Sorgen über die
weitere Entwicklung machen, dürften Absicherungsstrategien eine sinnvolle Wahl
sein. Oder eben Gewinne mitnehmen. Insofern ist der Dialog mit den Kunden
gerade in etwas schwierigen Zeiten das A und O. Deutschland bleibt in der Gunst
vieler Anleger wichtig (Stichwort: Home Bias), daran werden kurzfristige Rückgänge
nichts ändern. (ah)
Wissenswertes
- Von 1949 bis heute weist Deutschland die zweitniedrigste Inflationsrate der Welt auf, die stärkste Währung und einen besonders starken Anleihemarkt, der weltweit an siebter Stelle rangiert. Der deutsche Aktienmarkt steht weltweit auf Rang acht und ist stark auf das verarbeitende Gewerbe ausgerichtet.
- Die reale Rendite deutscher Aktien lag von 1900 bis 2023 bei
durchschnittlich 3,2 %, Anleihen wiesen eine Rendite von -1,5 % und
Staatsanleihen von -2,4 % auf. Von 2004 bis 2023 lagen die realen Renditen in
Deutschland bei 5,4 % für Aktien, 2,2 % für Anleihen und -1,2 % für Staatsanleihen.