Recht haben und Recht bekommen - zwei unterschiedliche Dinge
11.01.2019
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„Recht haben und Recht bekommen ist zweierlei“. Warum dies so sein kann und welche Maßnahmen ein Einzelner treffen kann, um sein Recht auch durchzusetzen, möchten wir in diesem Beitrag anhand aktueller Praxisfälle besprechen. Warum ist das so? Warum bekommt bei uns nicht automatisch derjenige Recht, der Recht hat? Leben wir in einem Unrechtsstaat? Nein, wir leben nicht in einem Unrechtsstaat, sondern wir leben zum Glück in einem Rechtsstaat, in dem Recht und Gesetz gelten! Aber Recht und Gesetz muss man kennen, vor allem die rechtlichen Möglichkeiten.
In den letzten Jahren häufen sich die Fälle, in denen Verbraucher und Anleger in einer großen Masse von einem Sachverhalt geschädigt werden. Die Beispiele hierfür sind vielfältig. Zu nennen wäre der VW-Abgasskandal, der sowohl Anleger als auch PKW-Besitzer geschädigt hat oder die Insolvenz der deutschen P&R-Gesellschaften, welche über 54.000 Anleger aus heiterem Himmel traf. Wie können Geschädigte in solchen Fällen eine Schadenskompensation einleiten? Ein echter kollektiver Rechtsschutz ist dem deutschen Recht fremd. Dieses gilt auch nach dem 01. November 2018 und der Einführung der Musterfeststellungsklage. Nachfolgend werden wir Vor- und Nachteile dieser neuen Klageart beleuchten, um einen Überblick zu verschaffen.
Musterfeststellungsklage für PKW Besitzer
Wichtig zu wissen ist, dass hierbei nur Verbraucherschäden geltend gemacht werden können. Der Handwerker beispielsweise, dessen Fahrzeug von Abgasskandal betroffen ist, kann hier keine Rechte geltend machen. Die Befugnis zur Klagerhebung steht auch nur einer sogenannten qualifizierten Einrichtung, also einem Verband, zu. Das bedeutet, dass ein Geschädigter selbst eine solche Klage nicht führen kann. Im Abgasskandal um den VW Konzern wurde am 01.11.2018 bekannt, dass der VZBV (Verbraucherzentrale Bundesverband) in Kooperation mit dem ADAC eine Musterfeststellungsklage gegen den VW Konzern eingereicht hat. Mit der neuen Musterfeststellungsklage wird Neuland betreten.
Durch dieses juristische Instrument sollen die Rechte von Verbrauchern gestärkt und die Rechtsdurchsetzung gegenüber Unternehmen erleichtert werden. Im Dieselskandal ist es typischerweise so, dass viele Verbraucher auf gleiche Weise, nämlich durch den Erwerb eines mit einer illegalen Abschaltautomatik ausgestatteten Wagens, Schaden erleiden und daher gleichartige Ansprüche gegen ein und dasselbe Unternehmen bestehen. Da der konkrete Schaden beim Einzelnen hierbei oft relativ gering ist, landeten solche Fälle bislang selten vor Gericht, da ein Rechtsstreit von den Betroffenen meist als zu aufwändig, riskant und kostenintensiv eingeschätzt wurde. Mit der Anmeldung der Forderung im Musterverfahren soll die Verjährung gehemmt und vom Ausgang des Prozesses profitiert werden. Einer Musterfeststellungsklage anschließen können sich ausschließlich Verbraucher, jedoch keine Unternehmer, also Selbstständige oder Gewerbetreibende. Diese müssen weiterhin Einzelklagen gegen den Schädiger erheben. Zulässig ist die Musterfeststellungsklage erst dann, wenn sich nach zwei Monaten mindestens 50 Verbraucher angemeldet haben, was im Abgasskandal eine reine Formalie darstellen dürfte. Das Gericht führt anschließend das Verfahren, erhebt Beweise und informiert durch Veröffentlichung im Klageregister über den Ausgang des Falls. Am Ende kommt es zu einem Urteil oder einem Vergleich. An einem möglichen Vergleich können sich alle beteiligen, die ihre Ansprüche im Klageregister angemeldet haben. Wer einem angebotenen Vergleich nicht zustimmen möchte, kann dies entsprechend äußern und anschließend eine Einzelklage gegen VW führen. Innerhalb der Musterfeststellungsklage hat der einzelne Betroffene nur geringe Mitwirkungsrechte. Er wird über die Klageschrift und über den Ausgang des Verfahrens informiert. Kommt es zu einem Vergleich, kann er innerhalb eines Monats entscheiden, ob er diesem zustimmt. Der Vergleich wird für alle Beteiligten wirksam, wenn weniger als 30 % der angemeldeten Verbraucher ihren Austritt aus dem Vergleich erklärt haben.
Vorteile der Musterfeststellungsklage
Die Anmeldung kann jeder Verbraucher selbst vornehmen, die Einschaltung eines Rechtsanwalts ist nicht vorgeschrieben. Eine wirksame Anmeldung der Ansprüche bewirkt die Hemmung der Verjährung. Die Anmeldung ist gerichtskostenfrei. Es besteht die Möglichkeit eines Vergleichsschlusses.
Nachteile der Musterfeststellungsklage
Die Musterfeststellungsklage gewährt nur Verbrauchern Rechtsschutz, Unternehmern, insbesondere auch Handwerkern und sonstigen (Klein-) Unternehmern, wird der Zugang zu diesem Instrument hingegen verwehrt.
Ein Musterfeststellungsurteil entfaltet Bindungswirkung gegenüber den angemeldeten Verbrauchern, obwohl diese keinerlei Einflussnahmemöglichkeiten auf die Prozessführung des klagenden Verbandes haben. Aufgrund des begrenzten Budgets, das den klagenden Verbänden in aller Regel für die Prozessführung zur Verfügung stehen dürfte, liegt die Gefahr einer solchen suboptimalen Prozessführung durchaus nahe, wenn dieser etwa die Kosten eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens nicht aufbringen kann. Ein weiteres Risiko für die Anmelder besteht darin, dass bei einer Anmeldung, zumal ohne Anwaltszwang und damit ohne sachkundige Vertretung und Beratung, nicht gewährleistet ist, dass die Anmeldung tatsächlich die gewünschten Wirkungen erzielt, wie etwa die Verjährungshemmung. So sieht das Gesetz beispielsweise vor, dass die Anmeldung nur wirksam ist, wenn der Verbraucher in der Anmeldung (hinreichende) Angaben zu „Gegenstand und Grund des Anspruchs“ macht. Nähere Informationen zu den Anforderungen an diese Darstellung von Gegenstand und Grund des Anspruchs enthält das Gesetz nicht. Für diejenigen Verbraucher, die die Anmeldung selbst vornehmen möchten, besteht hier die nicht zu unterschätzende Gefahr, dass ihre Anmeldung diesen Anforderungen nicht genügt und ihre Anmeldung damit unwirksam ist. Hierauf werden sie freilich vom Oberlandesgericht nicht hingewiesen. Das böse Erwachen könnte dann nach Abschluss des Musterverfahrens folgen, wenn Verbraucher feststellen, dass ihre Anmeldung unwirksam war und ihre Forderung schon verjährt ist. Selbst bei wirksamer Anmeldung der Ansprüche und erfolgreicher Durchführung der Musterfeststellungsklage werden die Geschädigten in einer individuellen „zweiten Runde“ ihre individuelle Anspruchsberechtigung nachweisen müssen, etwa zur Kausalität und zur individuellen Schadenshöhe. Die laut Begründung des Gesetzentwurfs angestrebte „effiziente und […] abschließende Befriedung aller Rechtsstreitigkeiten“ wird deshalb mit der Musterfeststellungsklage in der jetzigen Form nicht erreicht, falls es nicht im Einzelfall zu einer vergleichsweisen Erledigung der Rechtstreite ohne entsprechende Nachweisobliegenheit kommen sollte. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Musterfeststellungsklage mehrere Jahre dauern wird. Soweit in der Begründung des Gesetzentwurfs davon die Rede ist, dass davon auszugehen sei, „dass sich in den meisten Fällen die angemeldeten Verbraucher und der Beklagte außergerichtlich einigen“ würden, scheint dies bestenfalls ein frommer Wunsch zu sein. Eine empirische Grundlage, auf die diese Erwartung gestützt werden könnte, ist nicht ersichtlich. Der Fall Dieselgate zeigt im Gegenteil, wie beharrlich ein Konzern trotz vermeintlich klarer Rechtslage auf Zermürbungstaktik setzen kann, wenn es um die Kompensation der Verbraucherschäden geht.
Fazit: Aus anwaltlicher Sicht ist der unmittelbaren Erhebung einer Individualklage gegenüber der Anmeldung im Musterfeststellungsverfahren der Vorzug zu geben. Die rechtlichen Nachteile bzw. Risiken der Anmeldung überwiegen nach unserer Auffassung die Vorteile bei weitem.
Autor: Alexander Heinrich,
Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht TILP Rechtsanwaltsgesellschaft mbH