Ohne Not in Not

24.10.2022

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Corona, Ukraine, Energie- und Klimakrise, Inflation – den Menschen wird viel zugemutet. Wer will da auch noch über einen Pflegenotstand nachdenken? Sollte man aber, denn durch Nichtstun wird alles nur noch schlimmer. Höchste Zeit, dass Makler bei ihren Kunden mit einem fatalen Wissensnotstand aufräumen.

Der Pflegenotstand in Deutschland wird nach neuesten Hochrechnungen brisanter als bisher angenommen. Bis zum Jahr 2030 sollen bei konservativen Annahmen mehr als 180.000 Pflegekräfte fehlen, auch weil es mit dann insgesamt rund sechs Millionen Pflegebedürftigen über eine Million Betroffene mehr geben wird als bisher angenommen. Das geht aus dem aktuellen Pflegereport hervor. „Die Politik muss zügig gegensteuern, andernfalls bleibt die Pflege eine Großbaustelle auf schwachem Fundament. Im Koalitionsvertrag stehen dazu einige richtungsweisende Vorhaben. Das begrüßen wir ausdrücklich! Nun muss rasch die Umsetzung angegangen werden“, forderte Prof. Dr. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der BARMER. Allen voran müssten die Bundesländer endlich ihrer Pflicht nachkommen, die Investitionskosten für stationäre Pflegeeinrichtungen zu übernehmen.

Dadurch würde bereits eine Entlastung bei den Eigenanteilen der Pflegebedürftigen erreicht werden. Denn bisher stellen die Pflegeheime dies in der Regel den Bewohnerinnen und Bewohnern in Rechnung. Um eine finanzielle Überforderung der Pflegebedürftigen zu vermeiden, sollten zudem die Leistungsbeträge der sozialen Pflegeversicherung einmalig angehoben und dann regelmäßig dynamisiert werden. Die Anhebung der Pflegesachleistungsbeträge sowie die Einführung eines Leistungszuschlages bei vollstationärer Pflege seien erste wichtige Schritte. Der vorgesehene jährliche Steuerzuschuss in Höhe von 1 Mrd. Euro solle im Gleichschritt mit den jährlichen Ausgaben der Pflegeversicherung ansteigen. „Die Bundesregierung will die Pflegebedürftigen mittelfristig in Bezug auf die steigenden Eigenanteile in der stationären Pflege entlasten. Auch die Prüfung zur weiteren Senkung der Eigenanteile ist ein wichtiges Element“, so BARMER-Vorstandschef Straub.

Wo bleibt das Personal

Der Autor des BARMER-Pflegereports, Prof. Dr. Heinz Rothgang vom SOCIUM – Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik an der Universität Bremen, wies aufgrund der höheren Zahl an Pflegebedürftigen und des zunehmenden Personalbedarfs auf einen deutlich größeren Finanzbedarf hin. Dieser werde ohne weitere Leistungsverbesserungen, die gleichwohl nötig seien, von 49 Mrd. Euro im Jahr 2020 auf 59 Mrd. Euro bis zum Jahr 2030 steigen. „Neben den Herausforderungen bei der Finanzierung muss der Blick auch auf die Frage gerichtet werden, wer künftig die Pflegebedürftigen betreuen soll. Bereits heute fehlen tausende Pflegekräfte. Den Arbeitskräftemangel zu bekämpfen, muss ein zentrales Anliegen werden“, so Rothgang.

Den Reportergebnissen zufolge fehlten bis zum Jahr 2030 etwa 81.000 Pflegefachkräfte, 87.000 Pflegehilfskräfte mit und 14.000 Pflegehilfskräfte ohne Ausbildung. Dabei sei im stationären Bereich die vollständige Umsetzung des Personalbemessungsverfahrens noch gar nicht berücksichtigt. Der Pflegeberuf müsse vor diesem Hintergrund deutlich attraktiver werden. Daher sei es richtig, geteilte Dienste abzuschaffen und den Anspruch auf familienfreundliche Arbeitszeiten einzuführen. Außerdem müsse mehr getan werden, um die Belastungen dieser enorm anstrengenden Arbeit abzufedern.

Wie aus dem Pflegereport weiter hervorgeht, werden in weniger als zehn Jahren knapp drei Millionen Pflegebedürftige ausschließlich von ihren Angehörigen gepflegt und damit rund 630.000 mehr als im Jahr 2020. Zudem wird es insgesamt eine Million Menschen vollstationär und 1,17 Millionen durch ambulante Pflegedienste versorgte Menschen geben. Dies entspricht einem Anstieg um gut 200.000 Betroffene (+ 26 %) in Pflegeheimen und 165.000 Personen, die ambulant versorgt werden (+16 %).

„Angesichts der steigenden Zahl Pflegebedürftiger und der bereits heute großen Zahl an fehlenden Pflegekräften ist Deutschland auf dem besten Wege, in einen dramatischen Pflegenotstand zu geraten. Um diesen abzuwenden, muss die Bundesregierung vor allem die Ausbildung attraktiver machen. Es muss mehr Nachwuchs für die Pflege gewonnen werden“, sagte BARMER-Chef Straub. Die Vereinheitlichung der Pflegeausbildung und der Wegfall des Schulgeldes durch das Pflegeberufegesetz seien hier wichtige Schritte gewesen.

Man muss schon selbst etwas tun

Extrem wichtig ist aber auch, dass die Bundesbürger selbst vorsorgen, um eine angemessene Pflege zu ermöglichen. Und das kostet weniger als gedacht. Die Rating-Agentur Assekurata hat Preise und Leistungen von Pflegezusatzversicherungen analysiert. 2.248 Euro pro Monat zahlen Pflegebedürftige heute im Schnitt für die stationäre Versorgung aus der eigenen Tasche – Tendenz steigend. Die Entwicklung der Pflegekosten befeuert die Debatte über eine Reform der Pflegepflichtversicherung. Dabei sind die Bürgerinnen und Bürger dieser Entwicklung nicht schutzlos ausgeliefert. Ihnen stehen schon heute gute Lösungen für die private Vorsorge zur Verfügung. Das belegt die aktuelle Marktanalyse der unabhängigen Rating-Agentur Assekurata, die im Auftrag des PKV-Verbands das Angebot von Pflegezusatzversicherungen untersucht hat.

Die Marktanalyse von Assekurata zeigt, dass sich der Eigenanteil an den Pflegekosten zu weitaus niedrigeren Prämien absichern lässt als vermutet. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach gingen die Befragten im Durchschnitt davon aus, dass es 235 Euro im Monat kosten würde, die Pflegevorsorge-Lücke zu schließen. Zugleich erklärten sich die Menschen dazu bereit, im Durchschnitt 98 Euro pro Monat für die private Vorsorge aufzuwenden, um die Lücke zu schließen. Tatsächlich ist eine private Pflegezusatzversicherung deutlich preiswerter. Eine vollständige Absicherung durch ein zusätzliches Pflegegeld von monatlich rund 2.100 Euro bei stationärer Pflege gibt es zum Beispiel bei Versicherungsbeginn mit Alter 25 schon ab 33 Euro im Monat, für 35-Jährige ab 49 Euro und für 45-Jährige ab 73 Euro. Es zeigt sich: Je früher eine Pflegezusatzversicherung abgeschlossen wird, desto günstiger ist es.

Der Ausbau der privaten Pflegezusatzvorsorge ist auch Teil des aktuellen PKV-Reformvorschlags zu einem „Neuen Generationenvertrag für die Pflege“. Damit soll die Stabilität der Pflege in unserer stark alternden Gesellschaft gesichert werden. Mit dem Modell der PKV ließe sich der Beitragssatz zur sozialen Pflegepflichtversicherung für Jahrzehnte auf dem heutigen Niveau von rund 3 % halten. Der „Neue Generationenvertrag“ sieht dafür die Sicherung des heutigen Leistungsniveaus der Pflichtversicherung vor. Kostenzuwächse der Zukunft würden durch Zusatzversicherungen aufgefangen – wobei es für die älteren, pflegenahen Jahrgänge auch weiterhin einen Zuwachs der Leistungen aus der Pflichtversicherung geben wird. (hdm)