Ohne jede Alternative

04.08.2015

Die Absicherung der Arbeitskraft bietet Maklern genügend Geschäftspotenzial, mangelt es doch dem Großteil der Bevölkerung an entsprechendem Versicherungsschutz. Und es kommt für den Vertrieb noch besser: Ging es früher nur um Berufsunfähigkeitspolicen, so wollen immer mehr Menschen auch über die neuen Alternativen aufgeklärt werden.

Gleichzeitig entstehen neue Fragen hinsichtlich Beratungsqualität und Haftungsbegrenzung. Um all dies ging es in der Expertenrunde der finanzwelt. Beinahe en passant wurden marktverändernde Neuerungen angekündigt: eine Software zum Thema Arbeitskraftsicherung, die bei der nächsten DKM präsentiert werden wird, und eine geradezu revolutionäre Unfallversicherung.**

Die Experten zu Besuch bei der finanzwelt:**

Björn Fischer, Leiter Maklerdirektion West Versicherungsgruppe die Bayerische

Peter Schneider, Geschäftsführer MORGEN & MORGEN GmbH

finanzwelt: Was macht das Thema Arbeitskraftsicherung für Versicherer und Vermittler eigentlich so attraktiv?

Fischer: Es gibt in dieser Hinsicht keinerlei Alternativen zu Versicherungslösungen. Das stellt sich im Bereich der privaten Altersvorsorge womöglich anders dar. Für die Zukunftsabsicherung erwerben manche Kunden Immobilien oder bauen auf sonstigen Wegen Kapital auf, wenngleich hier Versicherungen aufgrund der Absicherung der Langlebigkeit enorme Vorteile bieten. Das Risiko, seine Arbeitskraft zu verlieren, kann eben bereits morgen Realität werden.

Schneider: Es gibt auf diesem Feld keinen Verdrängungswettbewerb, denn in Deutschland besteht nach wie vor eine erhebliche Unterversorgung. Es dürfte keinen einzigen Makler geben, der in seinem Bestand keinen Bedarf entdeckt. Dafür wird er nicht einmal groß suchen müssen.

finanzwelt: Das setzt aber doch voraus, dass der Makler seinen Bestand überhaupt kennt. Und daran hapert es in Deutschland ganz offensichtlich. Ansonsten wäre wohl die Wiederanlagequote bei auslaufenden Lebensversicherungen deutlich größer.

Fischer: Das hängt stark von der technischen Infrastruktur des jeweiligen Vermittlers ab. Dieses Thema wird künftig immer deutlicher in den Vordergrund rücken. Ich denke, dass sich hier bei vielen Vermittlern noch etwas tun muss.

Schneider: Interessant wird es ja erst, wenn sich der Blick auf die Dinge richtet, die der Makler nicht im Bestand hat. Und um das beurteilen zu können, sind ganz enge Kundenbeziehungen unerlässlich.

finanzwelt: Kann denn ein Softwarehaus oder ein Versicherungsunternehmen dabei Unterstützung bieten?

Schneider: Aus der Ferne ist das sehr schwierig. MORGEN & MORGEN bietet zwar umfangreiche Softwarelösungen zur Analyse von Tarifen oder Unternehmen – aber Programme zur Bestandsverwaltung nicht.

Fischer: Kunden von Maklern haben zumeist mit unterschiedlichen Versicherern Verträge geschlossen. Deshalb bietet die Bayerische zwar die Möglichkeit der Bestandssicht, aber weder ein Bestandsverwaltungs- noch ein Wiedervorlagesystem für Makler an. Das würde aber auch kaum ein Makler wollen, wenn man die ständige Diskussion in der Branche darüber bedenkt: Die jeweilige Kundenbeziehung sei alleine Sache des Maklers und nicht eines Versicherers. Allerdings stellt die Bayerische Kundendaten in den gängigen Dateiformaten für Bestandspflegesysteme von Drittanbietern zur Verfügung, mit denen Vermittler arbeiten. Und mit der sogenannten Newsbox bieten wir ein Tool, über das Vermittler auf elektronischem Wege über bestimmte Ereignisse informiert werden, beispielsweise über Vertragsabläufe oder Schadensregulierungen.

finanzwelt: Widmen wir uns einmal dem Thema Berufsunfähigkeitsversicherung. Wie steht es angesichts der vielen Diskussionen um Beitragsspreizung und Versicherbarkeit um die Zukunft dieses Produkts?

Fischer: Mit einem Wort gesagt: glänzend. Denken Sie nur einmal daran, dass nach wie vor nur in einem Bruchteil der Haushalte Berufsunfähigkeitsschutz besteht. Und selbst das sagt noch nicht die ganze Wahrheit. Denn diese Angabe schließt alle ein, die zu nicht zeitgemäßen Bedingungen versichert oder schlicht unterversichert sind. Und zur Kritik an der Versicherungsfähigkeit der Menschen in der BU: Früher hatten wir auch keine größere Annahmequote als heute. Zudem ist das Antragsverfahren durch die Risikovoranfragen deutlich kundenfreundlicher geworden.

Schneider: Ich kann mich Ihrer Darstellung nur anschließen, Herr Fischer. Der Bestand an selbstständigen Berufsunfähigkeitsversicherungen hat sich in der Vergangenheit sehr spürbar nach oben entwickelt. Ganz grundsätzlich hat die Versorgung der Bundesbürger mit entsprechenden Verträgen unter der Beitragsspreizung nicht gelitten. Gleichwohl lässt sich allerdings nicht verhehlen, dass heutzutage für ganze Berufszweige der Weg zu ausreichender Versorgung deutlich erschwert ist.

Fischer: Das ist leider so zutreffend, da sich extrem risikoreiche Berufe einfach nicht gegen Berufsunfähigkeit versichern lassen.

Schneider: Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass im Gegenzug die Leistungen immer ausgereifter geworden sind.

finanzwelt: Herr Schneider, das ist ein Trend, den auch MORGEN & MORGEN immer wieder thematisiert, wenn die Tarife der BU-Versicherer auf den Prüfstand gestellt werden. Machen die Versicherer ihre diesbezügliche Software am Ende nicht selbst überflüssig, wenn die Qualität immer weiter steigt und sich die Angebote der Versicherer immer mehr angleichen?

Schneider: Nein, denn zunehmend bringen die Anbieter Zusatzleistungen auf den Markt. Das weckt den Bedarf an vergleichender Software.

finanzwelt: Haben Sie auf die Schnelle ein Beispiel parat?

Schneider: Mir fallen da spontan die familienfreundlichen BU-Tarife mit speziellen Kinderleistungen ein, wenn die Eltern versichert sind, oder Übergangsleistungen.

finanzwelt: Angesichts der Beitragsspreizung sprechen manche Beobachter schon von einem prämienbedingten Verdrängungswettbewerb.

Fischer: Davon kann man nicht sprechen. Schon allein deswegen, weil jeder Versicherer seine eigenen Schwerpunkte hat und pflegt.

Schneider: Das gilt zum Beispiel für die Berufsgruppen, unseren Analysen zufolge ist kein Versicherer über alle Berufsgruppen hinweg top.

Fischer: In der Tat liegen bei der Tarifierung häufig sehr ausgeprägte Erfahrungen mit einzelnen Berufsgruppen zugrunde.

finanzwelt: Reden wir über Alternativen zur BU-Absicherung. Noch vor wenigen Jahren sahen Makler sie eher als Nischenprodukte an, und plötzlich sind sie ganz groß im Kommen. Können wir bereits von einem Run auf solche Produkte sprechen?

Fischer: Das nicht gerade, die Akzeptanz steigt aber zweifelsohne – und das ist auch gut so. Deshalb führt an bedarfsgerechter Beratung kein Weg vorbei.

Schneider: Über den Daumen sind in den vergangenen vier oder fünf Jahren rund 20 Versicherer mit Alternativen an den Markt gegangen. Deswegen nehmen die Makler diese Entwicklung mehr und mehr wahr, natürlich auch getrieben vom Bedarf und der Beitragsspreizung in BU.

finanzwelt: Nun, die Dread Disease Versicherung gibt es ja schon ein paar Jahre länger.

Fischer: Sie ist meiner Ansicht nach keine wirkliche Alternative zur BU. Ich sehe sie als Ergänzung, weil sie eine Einmalzahlung ermöglicht. Meine Präferenz bei den Alternativen ist aufgrund der Leistung auf Rentenbasis die funktionale Invaliditätsversicherung, die neben Invalidität auch bei Verlust von Grundfähigkeiten, im Pflegefall oder bei Auftreten bestimmter schwerer Krankheiten leistet.

Schneider: Auch bei den Versicherern wird dieses Produkt immer beliebter, mittlerweile haben wir etwa 16 Anbieter mit jeweils zwei bis vier Tarifen – entweder nach Art der Schaden- oder nach Art der Lebensversicherung. Das Modell ist ja auch am nächsten dran an BU, alleine schon wegen der Rentenleistungen. Das Leistungsspektrum ist sowieso deutlich umfangreicher als bei der Grundfähigkeitenversicherung. Allerdings gibt es einen Nachteil: Anders als in der Berufsunfähigkeitsversicherung sind psychische Erkrankungen nur sehr eingeschränkt oder überhaupt nicht mitversichert. Und gerade dies ist mittlerweile die BU-Ursache Nummer eins.

Fischer: Dem pflichte ich bei, Herr Schneider. Fairerweise muss gesagt werden, dass in einem BU-Vertrag die Leistung zumeist eher ausgelöst wird. Gerade bei psychischen Erkrankungen ist dies der Fall.

Schneider: Aber natürlich gibt es auch Anlässe, die in eben dieser abgedeckt sind, nicht aber in der BU.

finanzwelt: In jedem Fall wird es doch höchste Zeit, dass Maklern eine Software zum gesamten Bereich der BU-Alternativen zur Verfügung gestellt wird. Herr Schneider, der Ball liegt bei Ihnen. Planen Sie ein solches Tool?

Schneider: Wir sind schon einen bedeutenden Schritt weiter. MORGEN & MORGEN wird diese Software auf der DKM im Herbst präsentieren. Wahrscheinlich sind dort noch nicht 100 % des Marktes erfasst, aber diese Software bietet den Maklern Tarifvergleiche über die Bereiche funktionale Invaliditätsversicherung, Grundfähigkeitenversicherung und Erwerbsunfähigkeitsversicherung. Auf dieser Grundlage werden die Makler dann kenntnisreich beraten können, das BU-Tool müssen sie separat nutzen. Schließlich handelt es sich bei BU um eine abgegrenzte Tariffamilie mit dem Grunde nach identischem Leistungsspektrum. Der Beratungslogik folgend wird der Makler zunächst die BU in Betracht ziehen, und wenn dies wegen einer Vorerkrankung oder aus Budgetgründen nicht geht, wird er zur Software mit den Alternativen switchen.

finanzwelt: Verringert die neue Software denn auch die Haftung des Maklers, wenn er sie anwendet?

Schneider: Ich will es mal so ausdrücken: Sie hilft ihm, in der Beratung weniger zu vergessen.

finanzwelt: Kommt in der Gesamtthematik Arbeitskraftsicherung eigentlich die traditionelle Unfallversicherung zu kurz?

Schneider: Sie ist aus meiner Sicht noch genauso wertvoll wie vor 30 oder 40 Jahren. Denn eine ausreichende Kapitalzahlung kennt weder die Berufsunfähigkeits- noch die funktionale Invaliditätsversicherung.

finanzwelt: Das ist zunächst einmal eine überaus lange Tradition. Sicher ist die Unfallversicherung in dieser Zeit an einigen Stellschrauben verbessert, verfeinert worden. Ist denn da überhaupt noch Platz für grundlegende Veränderungen?

Fischer: Und ob. Die Bayerische hat kürzlich ihre Unfallwelt grundlegend erneuert, darunter auch die „Unfall Individual“. Diese leistet nicht nach Gliedertaxe, sondern nach dem Haftpflichtprinzip – als wäre die Bayerische der Unfallverursacher. Bereits ab ein Prozent Invalidität ersetzt die Bayerische sämtliche Kosten, die mit dem Unfall einhergehen: Beispielsweise von Behandlungskosten über Schmerzensgeld bis hin zu Umbaumaßnahmen – dabei liegt jedem Vertrag eine Pauschaldeckung von 10 Mio. Euro zugrunde. Lediglich für den Bereich Verdienstausfall legt der Kunde ein Sublimit zwischen 500 und 5.000 Euro Monatsrente fest. Nach diesem Sublimit richtet sich auch die Prämie. Nehmen wir als Beispiel einen Konzertpianisten, dem ein irreparabler Schaden an einem kleinen Finger widerfährt und der deswegen seinen Beruf aufgeben muss. Der finanzielle Schaden wäre trotz eines äußerst geringen Invaliditätsgrades immens, aus der tradierten Unfallversicherung hätte er lediglich einen Bruchteil der Grundsumme zu erwarten. Sie sehen also: Es tut sich auch in der Unfallversicherung so einiges. _(hwt)

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finanzwelt extra 04/2015 I Arbeitskraftsicherung