Nur noch Tristesse?

06.08.2015

Wie steht es um der Deutschen nach wie vor beliebteste Altersvorsorge? Während der GDV die Fahne naturgemäß hochhält, warnen Analysten, die Bundesregierung und der IWF vor einem „Einfach weiter so“. Makler sind gut beraten, bei der Auswahl eines Anbieters auf dessen Finanzstärke zu achten.

Aus bestens informierten Branchenkreisen ist zu hören, dass manche Versicherer derzeit selbst hochprofitable Beteiligungen abstoßen, um die eigene Liquidität zu stärken. Die Bundesregierung fordert laut dem Informationsdienst „Versicherungswirtschaft heute“ auf der Grundlage einer Analyse des Ausschusses für Finanzstabilität die Lebensversicherer zu einer Stärkung der Eigenmittelpolster auf: „Auch wenn das LVRG eine deutliche Verbesserung gebracht hat, müssen die Unternehmen ihre Kapitalausstattung verbessern und in ihre Produktlandschaft investieren“, schreibt der Tagesreport. Und der IWF fordert sogar eine vollständige Distanzierung der Unternehmen von Garantieprodukten und eine Überprüfung freiwilliger Ausschüttungen an die Kunden. Der Branche geht es – von Ausnahmen abgesehen – kaum so gut, wie von Seiten des GDV immer wieder gebetsmühlenartig beteuert wird. So zuletzt am 25.06.2015: „Die wachsende Bedeutung der Lebensversicherung für die Alterssicherung zeigt der Vergleich mit den Auszahlungen der gesetzlichen Rentenversicherung. Auf 100 Euro, die 2014 von der gesetzlichen Rentenversicherung ausgezahlt wurden, kamen 30,70 Euro aus Lebens- und Rentenversicherungen (2013: 29,50 Euro). Nicht in dieser Summe enthalten sind die vorzeitig ausgezahlten Lebensversicherungsleistungen aus Rückkäufen.“ Dr. Peter Schwark, Mitglied der GDV-Hauptgeschäftsführung, sagte hierzu: „Private Altersvorsorge zahlt sich aus. Wichtig ist, frühzeitig mit dem Vermögensaufbau zu beginnen und die gesetzten Ziele konsequent zu verfolgen.“

Also doch alles im Reinen? Oder doch nicht?

Fakt ist, dass der anhaltende Niedrigzins sowie die dadurch notwendigen Zuführungen zur Zinszusatzreserve zur Sicherung der Vertragsgarantien mächtig am Gerüst Lebensversicherung zerren – und Solvency II kommt erst noch. Was unabhängige Analysten hierzu berichten, klingt deutlich weniger optimistisch als die Bekundungen der Lobby. Eine Branchenstudie der MainFirst Bank AG, für die die Bilanzen aller 87 deutschen Versicherer aus den Jahren 2011 bis 2013 untersucht wurden, kam im April zum Ergebnis: „Bleiben die Zinsen am Kapitalmarkt weiterhin so niedrig wie jetzt, wird bis zum Jahr 2025 die Branche insgesamt Verluste schreiben.“ Im aktuellen Niedrigzinsumfeld gelinge es immer weniger Anbietern, die in der Vergangenheit abgegebenen Garantiezusagen durch entsprechend hohe Erträge in ihrer Kapitalanlage zu erwirtschaften. Bereits im laufenden Jahr würden daher vier von zehn Versicherern rote Zahlen schreiben. Die MainFirst-Analysten erwarten ein Umwälzungsprozess in der Branche: „Wir glauben, dass es zu einer Konsolidierungswelle und einer Reihe von Kapitalerhöhungen innerhalb des Sektors kommt.“

finanzwelt befragte vier Versicherer und die Rating-Agentur ASSEKURATA nach den Zukunftsaussichten der Lebensversicherung. Das Fazit: Es ist weder alles schwarz noch weiß in der Lebensversicherung. Auch auf längere Sicht wird sie weiter ihre wertvolle Aufgabe erfüllen, die Altersvorsorge der Deutschen zu sichern und zu verbessern. Allerdings unter veränderten Bedingungen. Das Garantiethema wird die kommenden Jahre beherrschen – möglicherweise am Ende sogar zum Vorteil für die Kunden. (hwt)

Dr. Reiner Will, Geschäftsführer ASSEKURATA Assekuranz Rating-Agentur GmbH

„In Anbetracht der seit Jahren niedrigen Zinsen sind die Diskussionen um die Zukunft der Lebensversicherung nicht neu. Bereits im Januar 2014 ließ die damalige BaFin-Präsidentin Frau Dr. Elke König mit der Aussage aufhorchen, dass die Versicherer das Produkt Lebensversicherung in Teilen neu erfinden müssten. Im Zuge der fortschreitenden Niedrigzinspolitik der EZB und des weiteren Zinsverfalls hat sich die Lage an den Finanzmärkten seitdem sogar noch verschärft. Infolgedessen haben sich auch die Kapitalanlagerenditen in der Neuanlage immer weiter eingeschränkt, um insbesondere die Altgarantien aus dem klassischen Lebensversicherungsgeschäft zu bedienen. Frei nach dem Spruch von Benjamin Franklin ‚Gott hilft denen, die sich selber helfen‘, sind viele Lebensversicherer nun gefordert, ihre Geschäftsmodelle an die veränderten Marktbedingungen anzupassen und sie auf eine langfristig verlässliche und finanzierbare Basis zu stellen. Auf der Produktseite kommen hierfür beispielsweise neue Altersvorsorgekonzepte mit reduzierten Garantien und nicht-konventionellen Anlageformen in Betracht. Niedrigere Garantien ermöglichen den Versicherern dabei größere Freiheiten in der Kapitalanlage, um stärker in produktive Bereiche der Volkswirtschaft zu investieren. Dies bringt eine neue Produktvielfalt zum Vorschein, von der auch die Kunden profitieren können, wobei deren Informations- und Beratungsbedarf weiter zunehmen wird. Nicht zuletzt hängt die Zukunft der Lebensversicherung von einem funktionierenden Ordnungsrahmen ab, der maßgeblich in der Verantwortung von Politik und Aufsicht liegt. Einen wachen Blick auf die Qualität und Solidität der Anbieter können diese den Kunden allerdings nicht ersparen.“

Dr. Walter Botermann, Vorstandsvorsitzender ALTE LEIPZIGER – HALLESCHE Konzern

„Die anhaltende Niedrigzinsphase zählt zu den gravierendsten Herausforderungen, denen sich die Lebensversicherer heute stellen müssen: Die klassischen Produkte garantieren den Kunden langfristig unter anderem einen festen Zins, der ihnen jedes Jahr gutgeschrieben wird. Die Rendite zehnjähriger deutscher Staatsanleihen zum Beispiel liegt unter 1 %, daher schrumpfen die zukünftigen Erträge. Die Erfüllung ihrer Verpflichtungen können die Versicherer nur sicherstellen, wenn sie hierfür rechtzeitig ausreichende Rücklagen schaffen. Das Handelsrecht verlangt deshalb den Aufbau einer zusätzlichen Rückstellung, der so genannten Zinszusatzreserve (ZZR). Die Lebensversicherer haben der ZZR seit 2011 rund 21 Mrd. Euro zugeführt. Die ALTE LEIPZIGER wird hierfür allein im laufenden Jahr rund 365 Mio. Euro aufwenden. Da die Zinszusatzreserve aufgrund der stark gefallenen Zinsen sehr schnell wächst, wird diskutiert, ob die Bildung der ZZR mit der bisherigen Geschwindigkeit fortgesetzt werden kann und soll. Zentraler Punkt jedes Altersvorsorgesparers ist das Vertrauen in die lebenslange Leistungszahlung. Um dies langfristig sicherzustellen, spielt neben den Eigenmitteln daher auch die Zinszusatzreserve eine zentrale Rolle. Es ist notwendig, diese Reserven in angemessenem Umfang zu bilden. Hierzu sollen die Reserven der Rentenanlagen hinzugezogen werden, aber es ist auch notwendig, biometrische Bestandsmerkmale, wie Storno und Sterblichkeit, mit zu berücksichtigen. Eine antragsfreie Berücksichtigung von noch nicht endgültig zugewiesenen Reserven der Kunden sollte aber auch möglich sein. Zusammengefasst bedeutet dies: Um die Versprechen gegenüber den Kunden erfüllen zu können, ist die Bildung der ZZR nicht nur eine vertrauensbildende Maßnahme, sondern eine zwingende Notwendigkeit. Der zeitliche Rahmen des ZZR-Aufbaus muss aber sowohl die außergewöhnliche Zinssituation als auch die Reserven einzelner Unternehmen und die biometrischen Fakten der Bestände berücksichtigen.“

Dr. Markus Faulhaber, Vorstandsvorsitzender Allianz Lebensversicherung AG

„Für die Altersvorsorge bleibt die Lebensversicherung ohne Alternative: Die kollektive Kapitalanlage im Sicherungsvermögen eines finanzstarken Anbieters bleibt eine stabile Basis, um sicherheitsorientiert und langfristig die Verpflichtungen gegenüber den Kunden in der privaten und betrieblichen Rentenversicherung zu erfüllen. Die Zinszusatzreserve wird von den Lebensversicherern für die Garantieverpflichtungen gebildet. Nutznießer sind die Kunden: Ihre Garantien aus den Lebensversicherungsverträgen werden dadurch noch sicherer. Aktuell sind die Regelungen der Zinszusatzreserve jedoch noch nicht mit der Einführung von Solvency II harmonisiert, so dass gerade vor dem Hintergrund der niedrigen Zinsen eine Anpassung der Regelungen erforderlich ist. Klar ist aber auch: Das Niedrigzinsumfeld reduziert die Renditen aus festverzinslichen Anlagen, macht die Garantien teuer und engt damit bei klassischen Produkten mit konventionellen Garantien die Freiheitsgrade der Kapitalanlage sehr ein. Diese Produkte werden für neue Kunden uninteressanter. Wir stellen fest, dass sich unsere Kunden beim Austarieren der Chancen und Sicherheiten ihrer Altersvorsorge heute in viel stärkerem Maße von Renditechancen leiten lassen. Wir setzen deshalb weiter auf moderne Vorsorgekonzepte wie jüngst KomfortDynamik, das wir im Juli eingeführt haben. Es verbindet das starke Sicherungsvermögen der Allianz Leben mit einer Dynamik-Komponente, die weltweit in chancenorientierte Anlagen wie Aktien und Unternehmensanleihen investiert. Die Kunden vertrauen dabei auf das Anlage-Know-how der Allianz, setzen auf passgenaue Sicherheit und profitieren von mehr Chancen auf Rendite für ihr Einkommen im Alter.“

Dr. Rainer Wilmink, Vorstand LVM Landwirtschaftlicher Versicherungsverein Münster a.G.

„Aufgrund der demografischen Entwicklung in Deutschland gehen die gesetzlichen Alterssicherungssysteme zurück – und der Bedarf an ergänzender privater und betrieblicher Altersversorgung steigt weiter an. Bereits heute sind viele, insbesondere die Jüngeren, in puncto Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversorgung unterversorgt. Die Zukunft birgt für die Lebensversicherer neben großem Potenzial auch große Herausforderungen: Niedrigzinsphase und Solvency II fordern Anpassungen des Geschäftsmodells an die neuen Rahmenbedingungen. Im aktuellen Niedrigzinsumfeld müssen die Unternehmen erhebliche Mittel zurückstellen, um Bestandsgarantien zu sichern. Die Zinszusatzreserve stellt hier ein notwendiges und wichtiges Instrument dar. Jedoch sollte sie angesichts der unterschiedlichen Risikoprofile der Versicherer künftig flexibler gestaltet werden. Bezüglich Solvency II sind die Lebensversicherer am Zuge: Sie müssen ihre Produktkonzepte den neuen Gegebenheiten anpassen, etwa mit neuen Garantiemodellen. Lebenslang einheitliche Zinsgarantien gehören wohl der Vergangenheit an. Als eigenmittelschonende Alternativen dienen den Lebensversicherern fondsgebundene Versicherungen. Sie eignen sich zwar hervorragend als zusätzliches, nicht aber als ausschließliches Instrument zur Altersvorsorge. Die notwendige Sicherheit verspricht auch künftig nur das klassische Sparen im gemeinsamen Deckungsstock, der Schwankungen am Kapitalmarkt effizient abfedert. Zudem lassen Deckungsstockprodukte, ggfls. angereichert mit kapitalmarktnahen Elementen, den Sparer im Alter verlässlich mit einem Mindestbetrag planen – bis zum Lebensende. Dieses Alleinstellungsmerkmal der privaten Rentenversicherung gilt es zu bewahren und um Renditechancen zu ergänzen.“

Printausgabe 04 / 2015