Niederlande: Tulpen, Käse, Handel und Versicherungen

02.04.2013

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Bereits Mitte der 80er Jahre geriet in den Niederlanden die Regulierung des Versicherungswesens in den Fokus der Politik. Höhepunkt der Regulierung ist das seit 1. Januar 2013 gültige Provisionsverbot.

Die Versicherungswirtschaft in den Niederlanden hat eine traditionsreiche und erfolgreiche Historie. Der berühmte niederländische Staatsmann Johan de Witt (1625-1672) gilt als Gründungsvater der Lebensversicherung für breite Bevölkerungsschichten und als einer der Entdecker der mathematischen Grundlagen für Versicherungen. Das Schicksal meinte es nicht gut mit de Witt, er wurde gemeinsam mit seinem Bruder in Den Haag am 20. August 1672 auf offener Straße gelyncht. Literarisch wurde die Ermordung der Brüder de Witt von Alexandre Dumas in seinem Roman „Die schwarze Tulpe“ verarbeitet. Dank des berühmten holländischen „Riechers“ für gute kaufmännische Geschäfte gelang es dem mit 41.548 km² kleinen Land und einer Bevölkerung von heute 16,7 Millionen Menschen (im Vergleich: Bayern hat eine Fläche von 70.551,57 km² und 12,666 Millionen Einwohner), sich an die Spitze des globalen Versicherungs- und Finanzdienstleistungsmarkt zu etablieren. Viele Innovationen in der Versicherungswirtschaft sowie am Markt für Finanzanlagen und Investitionen in Sachwerte sind unter der Beteiligung niederländischer Banken und Versicherer entstanden.

Vieles, was in anderen europäischen Ländern noch kontrovers diskutiert wird – wie Bürgerversicherung als Zwangskasse in der Krankenversicherung, private und staatliche Altersvorsorge sowie das Verbot von Provisionen – ist in den Niederlanden bereits teilweise reformiert oder gesetzlich neu geregelt, wie nachfolgende Beispiele zeigen.

PKV/GKV: Das Verhältnis zwischen privater Krankenversicherung (PKV) und gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) wurde in den Niederlanden für europäische Verhältnisse sehr früh neu definiert. Anstatt einer Versicherungspflichtgrenze wurde eine so genannte Ausscheidegrenze installiert. Fortan war es trotz Überschreiten einer Einkommensgrenze für Pflichtversicherte nicht mehr möglich, ein freiwilliges Mitglied in der GKV zu werden und konnten nur noch eine PKV abschließen. Um den Zugang zu erleichtern, waren die privaten Versicherer allerdings zum Angebot eines Standardtarifs mit gesetzlich festgelegter Prämie verpflichtet. Hierfür war ein Ausgleich über einen gemeinsamen Risikopool zwischen den Privatversicherern vorgesehen. Ähnliches galt für die Beziehung zwischen PKV und GKV. Weil sich die Vergütungsmethoden und -höhe im privaten und gesetzlichen Sektor anglichen, also eine Honorardifferenzierung bei der Beschaffung von Gesundheitsleistungen nichtmehr stattfand, wurde ein Solidarbeitrag der PKV zugunsten der GKV eingeführt. Dieser sollte den höheren Anteil an Rentnern, die kostenintensiv in der GKV verblieben waren, pauschal ausgleichen. Ende der 80er Jahre wurde alternativ zum einkommensabhängigen Beitrag der Pauschalbeitrag zugelassen. Seit Anfang der 90er Jahre sind als Zeichen der Deregulierung und Liberalisierung alle Krankenkassen berechtigt, landesweit tätig zu werden und eigene Vertragsbeziehungen mit den Leistungserbringern einzugehen. 1992 fusionierte der PKVV er band mit dem der GKV zu einer gemeinsamen Interessensvertretung.

Provisionsverbot: In den Niederlanden ist ein Provisionsverbot seit dem 01.01.2013 gesetzlich geregelt. Bereits im Februar 2010 ging es in der niederländischen Stadt Den Haag (also da, wo de Witt mit seinem Bruder gelyncht wurde), um mehr Verbraucherschutz in der Vermittlung von Versicherungen. Die Interessen der Kunden sollten im Mittelpunkt stehen. Versicherungsvermittler, die an Provision- und Courtage- Einnahmen orientiert sind, sollten zwar nicht gelyncht, aber zugunsten einer Honorarberatung vom Markt verdrängt werden. Wenn Politiker und Verbraucherschützer fordern, dass Provisionen im Sinne eines idealisierten Verbraucherschutzes zu verbieten seien, obwohl Versicherungsvermittler daraus ihr für die Kundenberatung und Service notwendiges Einkommen bestreiten, ist das nicht ungewöhnlich – das ist es aber dann, wenn es Repräsentanten der Branche selbst sind, die das Provisionsverbot auf den Weg bringen, nämlich der Verband der Versicherungskonzerne in den Niederlanden.

Nachdem selbst die Branchenvertreter eine solche Änderung in der Vergütung für Vermittler gefordert haben, hat das holländische Parlament in letzter Konsequenz das Provisionsverbot beschlossen. Seit 1. Januar 2013 müssen nun niederländische Kunden ihre Versicherungsberater auf Honorarbasis bezahlen.

Ebenso sind die niederländischen Versicherungsvermittler bei der Kundenberatung zur Dokumentation und Transparenz der Kosten verpflichtet. Bereits 2002 hat dies der niederländische Verband der Versicherer im Verhaltenskodex (GIDI) als Selbstverpflichtung eingeführt. Ab Januar 2006 wurde die Vermittlung von Versicherungen in den Niederlanden durch die Schaffung des Vermittlerrechts (IMD) gesetzlich geregelt. Vermittler sind aufgrund dessen per Gesetz verpflichtet, für Privat- und Geschäftskunden, die auf der Suche nach einem komplexen Produkt wie Lebensversicherung, Finanzanlagen oder Finanzierung sind, eine Bedarfsanalyse durchzuführen sowie ein individuelles Risikoprofil zu erstellen und dies zu dokumentieren. Sie müssen bedarfsgerecht beraten und dürfen nur Abschlüsse tätigen, die dem Kundenprofil entsprechen. Auch müssen Vermittler ihre Kunden über die Ausgewogenheit ihrer Auswahl an Lösungen informieren – d.h. die Auswahl stützt sich auf eine ausreichend große Anzahl von passenden Finanzprodukten. Zudem besteht für den Vermittler eine Informationspflicht zur Art der Produktauswahl, zur rechtlichen Beziehung zum Versicherer sowie zu einer finanziellen Beteiligung des Versicherers am Vermittlerunternehmen. Die Aufsichtsbehörde (AFM) überwacht die Einhaltung dieser rechtlichen Vorschriften. Auch in der Unfall- und Schadensversicherung gibt es gesetzliche Anforderungen an Vermittler wie Sachkunde, Weiterbildung und Integrität. Seit dem 1. Januar 2006 ist die Laufzeit für private Versicherungsverträge auf die Dauer von 5 Jahren begrenzt, die meisten Verträge werden für ein Jahr abgeschlossen.

Fazit. Der Beschluss und die Inkraftsetzung eines Provisionsverbots seit Jahresbeginn 2013 spaltet Europa in Nord und Süd. Im Norden Europas haben bereits Skandinavien und Großbritannien Provisionen verboten. Ob die Nachbarn aus den Niederlanden jetzt nur einer europäischen Regelung zuvorgekommen sind, kann auch für deutsche Vermittler eine Umkehr in der Praxis, Provisionen auf Abschlüsse zu bezahlen, nach sich ziehen .Die Lobby der Verbraucherschützer und die Zahl der Vertreter von europäischen Mitgliedsstaaten, die ein Verbot der nur am Abschluss orientierten Courtage oder Provision befürworten, wächst. Sollte die EU-Kommission in Brüssel, neben der Offenlegung von Provisionen gegenüber Kunden, doch noch ein Verbot beschließen, dann wären deutsche Vermittler gut beraten, jetzt schon ihre Dienstleistungen wie beispielsweise den Service, die Analyse des Kundenbedarfs und die Erstellung von Angeboten nach Aufwand zu kalkulieren und Preise zu benennen, da das Honorar für die Beratung, den Verkauf und der fortlaufenden Betreuung zu begründen wäre.

Deutsch-niederländische Partnerschaften

In 2003 wurde das Unternehmen Allianz Nederland offiziell im niederländischen Markt eingeführt und zeichnet sich dort mit einer starken Marktposition in den drei Kerngeschäftsfeldern Sach- und Unfallversicherung, Lebensversicherung und Vermögensmanagement aus. Die HDI-Gerling Industrie Versicherung AG übernimmt Anfang 2011 den niederländischen Sachversicherer Nassau Verzekering Maatschappij N.V. Ein etablierter Nischenversicherer, der sich in den Niederlanden auf Spezialsparten wie Berufshaftpflicht, D&O und Krisenmanagement konzentriert hat. Ein anderes Beispiel ist der ING Konzern. Die ING entstand im Jahr 1990 aus der Fusion der Nationale-Nederlanden mit der NMB Postbank Group und nannte sich Internationale Nederlanden Groep (ING). Die Abkürzung ING wurde so bekannt, dass der Name geändert und zur Marke wurde. Nach den Fehlspekulationen Nick Leesons und dem Zusammenbruch der britischen Barings Bank wurde diese für den symbolischen Preis von einem Pfund Sterling im Jahre 1995 übernommen. Im Jahre 1999 wurde die angeschlagene deutsche BHF-Bank integriert. Die ING Groep N.V. ist eine Holding, die als Muttergesellschaft für Banken und Versicherer fungiert, so für die niederländische ING Bank oder die deutsche Tochter ING-DiBa. In der Marktkapitalisierung ist die ING der achtgrößte Finanzdienstleister weltweit und damit der Spitzenreiter in den

Niederlanden.

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Dietmar Braun_

Blick über denTellerrand V - Printausgabe 02/2013