Klein schlägt groß
04.10.2023
Hans-Marius Lee Ludvigsen. Foto: DNB AM
Analysten und Vermögensverwalter richten ihren Fokus derzeit zunehmend auf das Segment der Small Caps. Tatsächlich ist jetzt ein besonders guter Zeitpunkt, auf kleine Unternehmen zu setzen. Gerade die nordischen Länder sind einen besonderen Blick wert, da sie eine einzigartige Investitionslandschaft bieten, die Vielfalt mit Stabilität verbindet. Sie gleichen einer Miniaturausgabe dieser Welt und zeichnen sich durch ein hohes Wirtschaftswachstum, ein robustes Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt, unerschütterliche politische Stabilität sowie eine gut etablierte Governance-Struktur aus. Diese Region ist nicht nur für börsennotierte Unternehmen vorteilhaft, sondern gleichermaßen für Anleger, die dort über viele Jahre überdurchschnittliche Aktienrenditen erzielen konnten.
Aktuell werden nordische Small-Caps mit dem rund 13-fachen des nächstjährigen Gewinns pro Aktie gehandelt, was bezogen auf ihre höher kapitalisierten Pendants einen rekordhohen Abschlag bedeutet. Zugleich ist zu erwarten, dass kleine nordische Unternehmen auch weiterhin schneller wachsen als Large Caps. Dies macht sie speziell für Investoren attraktiv, die ihrem Depot wachstumsstarke Aktien beimischen wollen. Chancenreich erscheinen zurzeit vor allem schwedische Small-Caps, die sich in den Jahren 2022 und 2023 erheblich schwächer entwickelt haben als die größeren Unternehmen. Dies hat zu historisch niedrigen Bewertungen geführt. Wir glauben, dass sich der schwedische Markt deutlich erholen kann, sobald die Zinssätze ihren Höchststand erreicht haben.
Zwar hat sich bereits in den vergangenen 18 Monaten abgezeichnet, dass kleinkapitalisierte Unternehmen mit Schulden in ihren Bilanzen stärker von höheren Finanzierungskosten betroffen waren. Dennoch glauben wir, dass diese Firmen einen Aufschwung erleben werden, sobald sich die Zinssätze stabilisieren.
Niedrige Bewertungen im Gaming-Sektor
Eine Abschwächung der Wirtschaft könnte sich in doppelter Hinsicht auf die nordischen Small Caps auswirken: im Zuge der hohen Exportabhängigkeit direkt auf die Unternehmen und indirekt über die Anlegerstimmung. Davon unabhängig umfasst dieses Anlageuniversum 2.000 Unternehmen, die eine Vielzahl von Opportunitäten bieten. Immer wieder ergeben sich Gelegenheiten, Firmen zu identifizieren, die weniger anfällig für wirtschaftliche Abschwünge sind und sogar in turbulenten Zeiten florieren.
Zu den interessantesten Sektoren zählt die wachstumsstarke Gaming-Industrie. Handy- und Videospiele bieten nicht nur eine erschwingliche Form der Unterhaltung mit einer Vielzahl attraktiver Facetten. Sie bringen darüber hinaus Menschen zusammen, bieten spannende Herausforderungen und bergen einen Wettbewerbsvorteil. Insbesondere der Glücksspielmarkt dürfte strukturell weiter an Bedeutung gewinnen. Überdies zeichnet sich die Spieleindustrie durch ein hochgradig skalierbares Geschäftsmodell aus, das durch den digitalen Vertrieb vorangetrieben wird, der erhebliche Größenvorteile mit sich bringt. Wir rechnen mit einem Wiederaufleben der Nachfrage seitens der Spieler, die sich nach dem Corona-Boom etwas verlangsamt hat.
Daneben beobachten wir bei den strategischen Akteuren einen ausgeprägten Appetit auf Content und gehen von einer weiteren Marktkonsolidierung aus. Aktuelle Beispiele sind die Übernahme von Activision durch Microsoft und die zunehmenden Gaming-Bestrebungen von Firmen wie Amazon und Netflix. Diese Entwicklung deutet auf einen wachsenden Markt hin. Interessant für Anleger ist der Sektor vor allem dank seiner niedrigen Bewertungen. Auf Sicht der kommenden zwölf bis 18 Monate dürfte dazu vor allem die zunehmende Aktivität bei Fusionen und Übernahmen beitragen, die von den günstigen Bewertungen bei Small-Cap-Unternehmen und der Stabilisierung der Finanzierungskosten unterstützt wird.
Software mit positiven Perspektiven
Bewegte Marktphasen wie derzeit sind häufig ein günstiger Moment, qualitativ hochwertige Unternehmen zu deutlich reduzierten Preisen zu erwerben. Ein Beispiel ist der schwedische Medienkonzern Embracer Group, der im August vergangenen Jahres die Markenrechte an „Herr der Ringe“ kaufte. Hier dürften die laufenden Umstrukturierungsmaßnahmen einen erheblichen Wert freisetzen. Außerdem waren die jüngsten Spielveröffentlichungen sehr stark, so dass wir davon ausgehen, dass dies den Aktienkurs beflügeln könnte. Trotz der zuletzt schwachen Kursentwicklung verfügt Embracer über ein wertvolles Portfolio von IPs und einen reichhaltigen Spielekatalog. Der innere Wert übersteigt den aktuellen Aktienkurs deutlich.
Vielversprechend erscheint auch der Softwaresektor. Die schwedische Software-as-a-Service-Firma Pagero etwa steht an der Spitze des Megatrends Digitalisierung und Compliance positioniert, weist ein robustes Wachstum auf und investiert momentan stark in ihre führende Position in einem wachsenden Markt. Die aktuellen Schlüsselkennzahlen – allen voran die hohen Kundenbindungsraten und das starke Trendwachstum – unterstreichen, dass Pagero eine höhere Bewertung verdient.
Ein weiteres Beispiel für ein Unternehmen, das vom Markt verkannt wird, ist die ebenfalls in Schweden ansässige Humble Group. Das Unternehmen setzt sich dafür ein, Produkte und Markenpotenziale in den Bereichen Functional Food, Öko, Nachhaltigkeit und Vegan (ohne Milchprodukte und Fleisch) zu ermöglichen. Das Konsumgüterunternehmen erzielt beeindruckende operative Ergebnisse, hat seine bilanziellen Herausforderungen erfolgreich bewältigt und wird auf dem aktuellen Niveau sehr günstig bewertet. Nach unserer Einschätzung liegt der faire Wert 50 bis 100 Prozent über dem aktuellen Kurs.
Marktkommentar von Hans-Marius Lee Ludvigsen, Lead Portfolio Manager bei DNB Asset Management.