Kinder haften für ihre Eltern

26.03.2015

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Pflegezusatzversicherungen verkaufen sich seit jeher schleppend. Dabei sollen sie ein drängendes Problem lösen: Das Einkommen und Vermögen der Betroffenen und ihrer Kinder schützen. Eine Lösung für den Vertrieb könnte ein neuer Beratungsansatz liefern, der zeigt, dass nicht jedes Kind gar nicht oder nur bedingt unterhaltspflichtig ist.

Bis zum Jahr 2050 soll es seriösen Schätzungen zufolge 4,5 Millionen Pflegebedürftige geben. Gegenüber heute wäre dies nahezu eine Verdoppelung. Schon aktuell ist mit dem Thema Pflege ein ungeheurer Finanzierungsbedarf verbunden, er wird sich in Zukunft aber noch dramatisch verschärfen. Einem Rechenschaftsbericht der PKV zufolge kostete eine vollstationäre Pflege im Jahr 2012 in der Pflegestufe III durchschnittlich monatlich knapp 3.237 Euro, Kosten von über 4.000 Euro im Monat sind jedoch keine Seltenheit. Davon übernimmt die Pflegepflichtversicherung 1.550 Euro. Die Differenz – so das allgemeine Credo – müssen die Betroffenen aus der eigenen Tasche finanzieren, über ihre Rente oder vorhandenes Vermögen. Wenn die eigenen Mittel des Pflegebedürftigen nicht ausreichen, um die Lücke zur Pflegepflichtversicherung zu schließen, sind automatisch die Kinder in der Haftung. Die Sozialämter schießen das erforderliche Geld nur vor, sie nehmen anschließend den Nachwuchs in die Haftung.

Doch gegen diese Falle lässt sich mit privaten Pflegezusatzversicherungen vorsorgen. Zumindest theoretisch, denn in der Realität zeigen sich die Deutschen mehr als nur zurückhaltend. Nur insgesamt rund 2,7 Millionen solcher Policen konnten die Vermittler in der Vergangenheit absetzen, darin enthalten sind allerdings rund 800.000 Pflege-Bahr-Verträge. Das ist ein riesiges Problem, auch wenn in offiziellen Verlautbarungen immer wieder eine andere Melodie angestimmt wird. So erklärte etwa Volker Leienbach, Direktor des PKV-Verbandes, anlässlich eines Festaktes „20 Jahre Pflegeversicherung" Mitte Januar: „20 Jahre nach Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung ist das Thema endgültig mitten in unserer Gesellschaft angekommen: Neben den rund 2,6 Millionen Pflegebedürftigen selbst sind davon insgesamt auch fast 30 Millionen Menschen aus dem engen persönlichen Umfeld betroffen." Ein Widerspruch zwischen Erfahrungswerten und tatsächlicher Vorsorgebereitschaft, der kaum lösbar erscheint. Dr. Stefan M. Knoll, Vorstand der DFV Deutsche Familienversicherung, fordert in diesem Kontext zwar: „Wir brauchen in Deutschland eine neue Vorsorgekultur." Doch es gibt noch einen anderen Weg, den Makler beschreiten können: Mehr Wahrheit in ihre Beratungsgespräche bringen, den Menschen nicht nur vorgestanzte Produkte verkaufen wollen, sondern die Vielschichtigkeit des Problems erklären. Und dazu gehört auch die selbst viele Fachleute überraschende Erkenntnis, dass so manche Familienkonstellation eine Kinder-Eltern-Haftung gar nicht erst entstehen lässt. Denn Selbstbehalte und Freibeträge führen dazu, dass vielfach der Sozialstaat selbst die Last zu tragen hat.

Denn prüfe, wer unterhaltspflichtig ist!

Da wären zunächst einmal die Unterhaltsansprüche des Ehepartners und der eigenen Kinder. Sie kommen natürlich vor den Ansprüchen der Eltern. Hinzu gesellen sich unterschiedliche Freigrenzen, die so genannten Selbstbehalte. Ein solcher Selbstbehalt liegt zurzeit pro Person normalerweise bei mindestens 1.800 Euro im Monat. Die Hälfte davon kommt noch einmal obendrauf, bei Partnerschaften ohne Trauring werden fünf Prozentpunkte abgezogen. Und es muss auch keine einschneidende Senkung des sozialen Rangs oder Lebensstandards hingenommen werden, erklärt die Regensburger Rechtsanwältin Gudrun Fuchs. Einem berufstätigen Ehepartner steht darüber hinaus ein eigener Selbstbehalt von mindestens 1.440 Euro zu. Ist er selbst nicht berufstätig, hat er gegenüber seinem Ehepartner ersatzweise einen Taschengeldanspruch zwischen 5 und 7 % des Nettoeinkommens. Allerdings hat der BGH entschieden (AZ: XII ZR 67/00, d. Red.), dass für den Ehegatten des auf Elternunterhalt in Anspruch genommenen Unterhaltspflichtigen nicht ein bestimmter Mindestbetrag maßgeblich ist, sondern der nach Maßgabe der ehelichen Verhältnisse bemessene höhere Unterhalt. Da er den Schwiegereltern gegenüber nicht unterhaltspflichtig ist, muss er keine Rücksicht auf deren nachrangige Unterhaltsansprüche nehmen.

Hilfreich kann auch ein Haushaltsbuch ein. Zeigt sich darin, dass das gesamte Einkommen für Ausgaben verbraucht wird, die nach den jeweiligen Einkommensverhältnissen einer angemessenen Lebensführung entsprechen, entfällt die Unterhaltspflicht. Dazu zählen auch berufsbedingte Aufwendungen, Nachhilfekosten, Kreditraten sowie Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung. Strittig ist aktuell noch, ob auch die Beiträge zu Krankenzusatzversicherungen abgezogen werden dürfen. Wohnt ein unterhaltspflichtiges Kind im eigenen Haus, zählt die ansonsten zu zahlende angemessene Miete mit zum Einkommen. Dies gilt jedoch nicht für den diesen Betrag übersteigenden „Wohnwert". Liegen Hypotheken, Instandhaltungskosten und andere verbrauchsunabhängige Kosten sogar über einer Vergleichsmiete, darf die Differenz abgezogen werden. Dies gilt auch für Rücklagen zur Instandsetzung des Hauses, nicht jedoch für Investitionen, die den Wert des Eigenheims steigern. Allerdings müssen solche Verpflichtungen vor dem Eintritt der Unterhaltspflicht vereinbart worden sein. Auch Vermögen muss nicht grenzenlos verwertet werden, wie Anwältin Fuchs erklärt: „Es gibt eine individuelle Vermögensgrenze von 5 % des aktuellen Bruttoeinkommens, das im Laufe des bisherigen Berufslebens mit einer Rendite von 3 % hätte angespart werden können. Bei einem Arbeitnehmer mit 40 Berufsjahren und einem Bruttoeinkommen von 2.300 Euro beläuft sich demnach das Schonvermögen auf rund 150.000 Euro. Darüber hinaus darf er noch eine angemessene selbstgenutzte Immobilie besitzen."

Ein einst per Schenkung übertragenes Vermögen kann das Sozialamt allerdings unter bestimmten Voraussetzungen zurückfordern. Denn hierbei spielt eine 10-Jahres-Frist die entscheidende Rolle. Bei einer Wohnimmobilie beispielsweise beginnt diese, sobald der Antrag auf eine Änderung des Grundbuches beim Amt eingegangen ist. Wird in dieser Zeit kein Elternteil pflegebedürftig, kann später auch nichts zurückgefordert werden, so der BGH. Andererseits sind Eltern verpflichtet, ihren Kindern eine Berufsausbildung zu finanzieren. Sie können ihnen zudem, quasi als Starthilfe ins Erwerbsleben, Vermögenswerte übertragen. Und auf diese „Ausstattung" hat das Sozialamt im Falle des Falles im Gegensatz zu einer eventuellen Schenkung kein Zugriffsrecht. Denn Erstere kann nicht widerrufen werden. Rechtsanwältin Fuchs rät deshalb: „Wegen der unterschiedlichen Wirkung auf den Pflichtteil und den Widerruf muss bei jeder Weitergabe unter Lebenden genau überlegt werden, ob ein Ausstattung oder ein Schenkung gewollt ist."

Die entscheidende Frage aber bleibt. Wie wirken sich

Freibeträge und Selbstbehalte auf die tatsächliche Haftung aus?

In Kooperation mit der ebenfalls in Regensburg ansässigen Steuerkanzlei Lerch & Prock hat Anwältin Fuchs hierzu konkrete Beispiele entwickelt. Die Ergebnisse der Berechnungen fallen ebenso verblüffend wie aussagekräftig aus. Überraschend beispielsweise deswegen, weil ausgerechnet der Doppelverdiener-Haushalt beste Chancen hat, im Ernstfall völlig ungeschoren davonzukommen. Hingegen werden Singles und Familien mit einem Einkommen notfalls kräftig zur Kasse gebeten. Dass eine Betrachtung über die ganze Familie hinweg geradezu eine Steilvorlage für den Vertrieb sein kann, ergibt sich von selbst. Im Einzelfall mag es zwar nicht zum Abschluss einer Pflegeversicherung kommen, vielfach ist es dafür auch bei den Kunden altersbedingt zu spät. Doch erstens positioniert sich ein Makler, der offen für ihn selbst möglicherweise eher hinderliche Dinge anspricht, als wahrer Sachwalter der Kundeninteressen. Zweitens vergrößert er automatisch sein Kundenpotenzial in erheblichem Maß. Und er trifft dabei – mit den Kindern in der Familie – automatisch auf mögliche Interessenten an Pflegepolicen. Die Wahrheit führt dann direkt zum Verkaufserfolg.

Beratungsansätze

Die Verbreitung der ungeförderten privaten Pflegezusatzversicherung schleppt sich dahin. Bei den meisten Beteiligten herrscht eher Ratlosigkeit bei der Frage, wie sich in Deutschland eine entsprechende Vorsorge-Kultur schaffen lässt. Immerhin bemühen sich einzelne Versicherer um neue Beratungsansätze. Nur 2,7 Millionen Verträge in den vergangenen zwei Jahrzehnten sprechen eine deutliche Sprache, wenn es um den Vertriebserfolg in Sachen Pflegeversicherung geht. Zumal gut 800.000 der in der Gesamtzahl enthaltenen Verträge staatlich subventionierte Pflege-Bahr-Tarife sind. Die Menschen haben zwar die Notwendigkeit einer zusätzlichen Vorsorge erkannt, handeln allerdings nicht danach. Der Vertrieb hat jedenfalls allergrößte Probleme, Kunden zum Vertragsabschluss zu bewegen. Ursachenforschungen dazu gibt es viele – Initiativen dagegen wenige. Immerhin sind einzelne Versicherer nicht untätig. So hat die Deutsche Familienversicherung AG (DFV) im vergangenen Jahr eine Qualifizierungsoffensive für Makler zum Thema Pflege gestartet. Deren Ziel ist es, eine verbesserte Weiterbildung für Makler und Vertriebspartner anzubieten. Dafür konnte die Deutsche Makler Akademie als Partner gewonnen werden. Die Pflegeabsicherung sei einer der elementaren Bausteine jeder nachhaltigen Beratung im Kundeninteresse, argumentiert das Team Partnervertrieb, das die Weiterbildung betreut. Dennoch wagten sich Makler, die vornehmlich in den Bereichen Finanzierung, Sachversicherung, Investment oder Altersvorsorge tätig seien, nur zurückhaltend an das Thema Pflege heran. Damit begäben sie sich laut DFV möglicherweise sogar in eine Haftungsfalle. Ein im Übrigen kluger Hinweis, schließlich müssen Makler laut Gesetz „kundengerecht" beraten, und dazu gehört nun mal eben auch die Aufklärung über die Pflegeproblematik. Die DFV unterstützt deshalb die Makler mit einer Webinar-Reihe und Beratungsunterlagen. Hierbei geht es um die gesetzliche Pflegeversicherung, Vorsorgevollmachten und die Kombination privater Pflegepolicen mit anderen Versicherungssparten. Der Vertrieb soll dabei lernen, wie er die Pflegethematik beim Kunden am sinnvollsten platziert. Auch die Gothaer ist in dieser Hinsicht aktiv geworden und bietet dem Vertrieb seit dem vergangenen Jahr eine spezielle Broschüre, die er vor Ort beim Kunden einsetzen kann. Unter dem Titel „Pflege braucht Vorsorge – Warum private Absicherung im Pflegefall unerlässlich ist" hat der Versicherer auf 20 Seiten die zentralen Informationen zur Pflege zusammengefasst. Auf einen Produktbezug wurde nach Unternehmensangaben bewusst verzichtet, weil die für das Beratungsgespräch wichtigsten Inhalte im Vordergrund stehen sollen. In Kooperation mit dem Vergleichsrechnerspezialisten ObjectiveIT (KV-Vergleichssoftware „LevelNine") wurde ein intuitiv zu bedienender Vergleichsrechner entwickelt, der alle am Markt gängigen Tarife nach den speziellen Wünschen des Kunden auswertet. Im Ergebnis kommt also nicht unbedingt ein Produkt der Gothaer heraus. Auch die DOMCURA AG hat neue Beratungsansätze geschaffen und gibt Maklern einen Taschenantrag für eine schnelle Antragsaufnahme in die Hand. Darüber gibt es weltweiten Schutz, eine Verdoppelung oder Verdreifachung des staatlichen Pflegegeldes, gleiche Leistungen stationär und ambulant, eine Beitragsbefreiung bei Arbeitslosigkeit, Arbeitsunfähigkeit und Pflege, Leistungen spätestens 48 Stunden nach Einstufung als Pflegefall und eine 24-Stunden-Hotline mit kostenfreien Hilfeleistungen. (hwt)

Pflege – Pflegeversicherung - Printausgabe 02/2015