Kein Grund zur Panik
02.06.2014
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Die Erfolgsgeschichte Chinas ist einzigartig. Von der verlängerten Werkbank hat sich das Land in den vergangenen Jahren mit teilweise zweistelligen Wachstumsraten zu einem der bedeutendsten Investitionsplätze weltweit entwickelt.
Investoren sehen nun, dass ein Prozess der Transformation einsetzt und die Wirtschaft mit gedrosselter Stärke wächst. An der unveränderten positiven Prognose ändert das aber wenig.
Die Botschaft ist klar und eindeutig. China muss und will unabhängiger vom Export werden und im Gegenzug den Binnenkonsum stärken. In den zurückliegenden Monaten schwächte sich das Wirtschaftswachstum etwas ab. Zudem nahmen wir Meldungen wahr, die durchaus Skepsis an der unverminderten Stärke der „neuen" Weltmacht hervorrufen konnten: ein mögliches Platzen der Immobilienblase oder die durchaus ernstzunehmenden Probleme um Schattenbanken. Die Regierung hat reagiert und eine Reform des Finanzsystems beschlossen. Im Reich der Mitte scheint man sich der Probleme bewusst zu sein und steuert dagegen.
finanzwelt diskutierte in einem Expertengespräch die Zukunftsaussichten Chinas.
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Thomas Gerhardt**, Head of Global Emerging Markets Edmond de Rothschild Asset Management Deutschland
Jan Meister, Geschäftsführer Meritum Capital Managers GmbH
Dr. Kilian Reber, Schwellenländer-Stratege, UBS CIO Wealth Management
Guido vom Schemm, Geschäftsführer GVS Financial Solutions GmbH
finanzwelt: Noch in diesem Jahr wird China als Wirtschaftsmacht die Vereinigten Staaten von Amerika hinter sich lassen. Dies, obwohl die chinesische Wirtschaft zuletzt langsamer gewachsen ist als die von der Regierung in Peking gesetzte Zielmarke von 7,5 %. Ein Schritt zur „Normalität" oder Vorbote einer nachhaltigen Abschwächung?
Gerhardt: Dieser Tage liest man viel darüber, dass die (noch) zweitgrößte Volkswirtschaft mit Kreditausfällen, Immobilienblasen und Kapitalflucht zu kämpfen hat. Pessimisten gehen sogar davon aus, dass die nächste Weltwirtschaftskrise ihren Ursprung in China finden könnte. Wir sehen momentan keine Anzeichen für diese Schwarzmalerei. Die chinesische Wirtschaft befindet sich in einem Transformationsprozess, in dessen Zuge sich das Wachstum der Anlageinvestitionen abschwächt. Die Entscheidungsträger setzen bewusst auf ein verstärktes qualitatives Wachstum statt reiner Quantität wie noch in der Vergangenheit.
vom Schemm: Unserer Ansicht nach sind die Sorgen überzogen. Denn China ist, die Außenhandelsbilanz betreffend, fundamental in einer viel stärkeren Verfassung als viele andere Schwellenländer. Von den Devisenreserven ganz zu schweigen. China will nichtmehr länger als verlängerte Werkbank des Westens fungieren, sondern setzt andere Akzente. Der Binnenkonsum steht im Fokus. Überlegungen, in absehbarer Zeit angesichts der Vergreisung der Gesellschaft eine Art Rentensystem zu etablieren, greifen um sich. Investoren müssen kurz- bis mittelfristig mit einer erhöhten Schwankungsfähigkeit chinesischer Titel rechnen, aber auf lange Sicht stimmt die Story.
Meister: Das Land lebt von Größe. Das chinesische Bruttoinlandsprodukt (BIP) kommt zu einem Großteil aus Großstädten. Neue Studien belegen, dass die 20 größten Städte demnach jeweils mehr als 1 % zum BIP beitragen. Der Trend zur Urbanisierung in China wird sich aber genauso verlangsamen müssen wie die Wachstumsraten bei den Investitionen. Zweifellos geht das Land durch einen Transformationsprozess, der nicht einfach zu managen ist. Die gute Nachricht ist aber, dass sich die Verantwortlichen in Peking dieser Aufgabe bewusst sind und den richtigen Weg eingeschlagen haben. Umweltschutz und zunehmende Investitionen in Bildung sind Themen, die vorangetrieben werden. Auch die derzeit enorm hohe Sparquote der Privathaushalte von knapp 30 % bietet Potenzial für mehr Konsum, wenn das Verbrauchervertrauen z. B. über bessere soziale und medizinische Absicherungssysteme gesteigert werden kann.
finanzwelt: Legen wir die Finger mal in eine Wunde. Auch die Chinesen werden aufgrund der Ein-Kind-Politik durchschnittlich immer älter. Wie wirkt die drohende Überalterung auf das Wachstum?
Dr. Reber: Der Effekt der Überalterung der Gesellschaft in China auf das Wachstum wird oft überschätzt. Einerseits war es in den letzten rund 20 Jahren nicht das Bevölkerungswachstum, das hauptsächlich zu Chinas starkem Wirtschaftswachstum beigetragen hat, sondern vielmehr veränderte institutionelle Rahmenbedingungen. Zweitens vollziehen sich demografische Veränderungen nur sehr langsam und sollten keinen spürbaren Einfluss auf die Wachstumsraten Chinas haben. Viel wichtiger werden marktwirtschaftliche Reformen sowie eine Flexibilisierung des Wechselkurses, der Abbau von Bürokratie und die Mobilität von Arbeitskräften sein.
vom Schemm: Auch in diesem Aspekt zeigt sich die chinesische Führung lernwillig, wenn man das so nennen kann. Ende vergangenen Jahres fanden die Pläne der Regierung Zustimmung, die Ein-Kind-Politik an die demografische Entwicklung anzupassen. Diese Politik, wonach Paare im bevölkerungsreichsten Land der Erde nur in wenigen Ausnahmen mehr als ein Kind bekommen dürfen, besteht seit Jahrzehnten. Aber es reift die Erkenntnis, dass man mit einer überalternden Bevölkerung die Probleme von morgen nicht in Griff bekommt. Indien beispielsweise hat bezüglich Demografie einen eindeutigen Wettbewerbsvorteil. Megathemen wie den demografischen Faktor sollten langfristige Investoren auf dem Schirm haben.
finanzwelt: Investoren machen sich aber nicht nur wegen der Demografie Sorgen. Der Bankensektor und die Kreditvergabe sind in den vergangenen Jahren fast aus dem Ruder gelaufen. Wie ernst sind die Probleme des chinesischen Schattenbanksystems?
Gerhardt: Die Entschlossenheit der chinesischen Zentralbank, das teilweise rasante Kreditwachstum im Land zu bremsen, hat die Zinsen im Interbanken-Geschäft zeitweise auf Rekordhöhen getrieben. Angesichts des sich abschwächenden Wirtschaftswachstums müsste die Anzahl fauler Kredite deutlich zunehmen, was wir noch nicht erkennen. Diese kritischen Aspekte sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Markt als Ganzes trotzdem funktioniert. Wir teilen daher nicht die vorhandenen Krisenängste.
Meister: Dass in Chinas Finanzsektor Risiken schlummern, ist unbestritten. Die Finanzbranche wird von großen Staatsbanken dominiert, ausländische Institute können nur sehr begrenzt in China arbeiten. Anfang des Jahres hat die Führung beschlossen, diesen streng kontrollierten Finanzsektor ein Stück zu öffnen. Gerüchte über drohende Pleiten machten die Runde und verunsicherten in den vergangenen Monaten die Investoren. Aber auch im Land selbst stellt man sich die Frage, ob man die Schattenbanken-Fonds jetzt fallen lässt oder die Investoren herausgekauft werden sollen. Die jüngst bekannt gewordene Meldung, dass erstmals eine chinesische Firma eine Anleihe nicht bedienen konnte, sollte keine Panik aufkommen lassen, sondern als Zeichen der „Normalisierung" verbucht werden.
finanzwelt: Die USA haben zum wiederholten Mal die Politik des schwachen Renminbi kritisiert. Inwieweit ist die Bedeutung der chinesischen Währung im internationalen Kontext schon gestiegen?
Dr. Reber: Der chinesische Renminbi ist nicht frei handelbar; er wird von der Chinesischen Zentralbank durch gezielte Devisenmarktinterventionen innerhalb eines engen Bandes an den US-Dollar gebunden. Zwar hat die Chinesische Zentralbank die Währung in den letzten Jahren schrittweise aufwerten lassen, trotzdem ist man mit dem jetzigen Wechselkurssystem sowie der Existenz von Kapitalverkehrskontrollen noch weit von der freien Konvertierbarkeit des Renminbi entfernt. Damit ist auch die Bedeutung des Renminbi als etwaige Leitwährung im internationalen Kontext noch sehr gering.
vom Schemm: Die Bedeutung des Renminbi wächst weiter. Insbesondere langfristig aufgestellte institutionelle Investoren vertrauen auf verlässliche Währungen, und auch diesbezüglich befindet sich das Land auf einem langsamen Transformationsprozess. Der Renminbi ist auf dem Weg, den bisher dominierenden Weltwährungen wie US-Dollar und Euro Konkurrenz zu machen. Zwar wird noch ein Großteil des chinesischen Außenhandels in US-Dollar abgewickelt. Der Anteil der Im- und Exporte, die in Renminbi verrechnet werden, ist aber stark steigend.
finanzwelt: Welche Branchen treiben Ihrer Meinung nach das chinesische Wachstum an?
Gerhardt: Wir behalten Unternehmen im Blick, bei denen sich der Staat raushält. Da der staatliche Einfluss nach wie vor sehr groß ist (ca. 75 %), kommen viele Branchen- und Einzelwerte für uns nicht in Betracht. Positiv gestimmt sind wir insbesondere für den Konsumgütersektor, die Pharmabranche und Clean Energy. Auch der Versicherungssektor wird aus den genannten Gründen zunehmend interessant, wohingegen Banken nicht auf unserer Kaufliste zu finden sind.
Dr. Reber: Das sehen wir ähnlich. Der Konsumgütersektor, angetrieben von der Priorität der chinesischen Regierung, den Privatkonsum zu stärken, wird einer der Wachstumssektoren der nächsten zehn Jahren sein. Speziell auch die Pharmaindustrie sollte von dem Ausbau des Gesundheitswesens im Lichte der Überalterung der Gesellschaft profitieren.
finanzwelt: Ist die Sorge um eine Abschwächung demnach übertrieben?
Meister: Im Rahmen eines global ausgerichteten und über viele Anlageklassen verteilten Portfolios spielt China eine Rolle. Wir sehen momentan einen Prozess der Normalisierung, der im Zuge der Transformation weg von einer exportbasierten hin zu einer stärker binnenmarktorientierten Wirtschaft völlig nachvollziehbar ist. China ist schlussendlich langfristig auf dem richtigen Weg. Die Bewertungen sind durchaus differenziert und reflektieren die Risiken des Transformationsprozesses. Unter Chance-/ Risikogesichtspunkten halten wir eine kleine Beimischung in einem globalen Portfolio für gerechtfertigt.
Fazit
Den Berechnungen der Weltbank zufolge könnte China bis Ende dieses Jahres hinsichtlich der Wirtschaftsleistung unter Berücksichtigung der inländischen Kaufkraft zur Wirtschaftsmacht Nummer 1 der Welt aufsteigen. Dies, obwohl der Export, der das Wachstum wesentlich antrieb, aktuell ins Stottern geraten ist. Reformbestrebungen wie die Zulassung von Privatbanken und eine weitere Öffnung des Kapitalmarkts für internationale Investoren sollten dem Land weiter Auftrieb verleihen, was sich auch an der Börsenentwicklung niederschlagen könnte. (ah)