Irgendwann wird Frau Yellen zinspolitische Farbe bekennen müssen

24.09.2015

*Robert Halver spricht Tacheles

Erinnern Sie sich noch an die Herren Alan Greenspan und Ben Bernanke? Bei beiden US-Notenbankpräsidenten wusste man als Anleger immer, woran man war. Zinserhöhungen oder -senkungen wurden durch feine Verbalerotik frühzeitig vorbereitet.*

Die offiziellen Fed-Sitzungen waren dann nur noch Vollzugstermine, die niemanden mehr überraschten.

Diese feine Gelddiplomatie hat Janet Yellen von ihren Vorgängern nicht geerbt. Von tendenziösen Vorfestlegungen in Sachen Zinspolitik hält sie nicht viel. Schon gar nichts hält sie von nachhaltigen Zinserhöhungs- oder -senkungszyklen, die sich an wirtschaftswissenschaftlichen Bäumen der Erkenntnis orientieren. Da ist Frau Yellen eher vom Stamme Pragmatismus. Sie meint, dass selbst die edelste, aus irgendwelchen Denkschulen wie Harvard, Stanford oder Princeton stammende Zinserhöhungstheorie zu einer praktischen Katastrophe werden kann. So geschehen zwischen Sommer 2004 und Sommer 2006: Damals wollte die Fed die außer Rand und Band geratene US-Immobilienblase wieder auf den Boden der Realität zurückholen. Nicht weniger als 17mal hatte die Fed in Trippelschritten zu je 0,25 Prozentpunkten ihre Leitzinsen von zunächst einem Prozent auf schließlich 5,25 Prozent erhöht. Und der Plan ging tatsächlich tadellos auf. Irgendwann musste auch die robuste Immobilienblase vor der Zinssteigerungswut kapitulieren. Die hässliche dicke Fliege „Hauspreiswahnsinn“ wurde erschlagen.

Doch hatte man wohl nicht berücksichtigt, dass die Fliege auf einer Vase gesessen hatte, die den Namen „Weltfinanzmärkte“ trug. Diese Vase hatte man mit den dramatischen Zinserhöhungen gleich mit zertrümmert. Diese konnte Ben Bernanke u. a. mit Zinssenkungen zwar wieder kitten. Zum Schluss stand der Leitzins mit 0,25 Prozent Anfang 2009 jedoch noch tiefer als zu Beginn des vorhergehenden Zinserhöhungszyklus.

Die Frau, die auf Daten schaut, aber auf welche?

Als damalige Präsidentin der Federal Reserve Bank of San Francisco war sie bei diesem Zinsdesaster live dabei. Sie sah, dass selbst kleine Zinserhöhungsmücken irgendwann Elefantenhorden werden können, die (finanz-)wirtschaftlich alles niedertrampeln. Als ein gebranntes Kind scheut sie also das Feuer. Frau Yellen will diesen Fehler quasi automatischer Zinserhöhungen zur Bekämpfung von aktuellen Blasen insbesondere am Anleihemarkt und Wertpapierkreditblasen am Aktienmarkt nicht noch einmal begehen. In der Tat sind die heutigen Blasen größer als die frühere am US-Häusermarkt. Wenn diese platzen, ist unsere Finanzwelt definitiv zu Ende.

So hat sie bislang keine Zinsen erhöht, obwohl alle Finanzwelt schon seit mindestens 18 Monaten davon spricht und Mitglieder der Fed diese Diskussion selbst anheizten. Sie setzt lieber auf das Vorliegen von Daten. Auf den ersten Blick ist das ein sinnvolles Unterfangen: Erst wenn die Daten es hergeben, sollten die Zinsen angehoben werden.

Darf chinesische Planwirtschaft relevant für die US-Zinspolitik sein?

Datenabhängigkeit ist das Eine, aber welche Daten ist das Andere. Soll man auf die US-Daten schauen oder doch besser auf die Konjunkturdaten anderer großer Wirtschaftsländer wie in Asien. Muss sie also von Zinserhöhungen absehen, um keine globale Kapitalflucht aus Asien und Lateinamerika Richtung USA auszulösen, die im Extremfall eine Asien-Krise 2.0 heraufbeschwören könnte, die dann schließlich auch die US-Wirtschaft nicht kalt ließe?

Überhaupt, was heißt Datenlage am konkreten Beispiel China? Soll man etwa US-Zinspolitik an dortigen Konjunkturindikatoren festmachen, die eine geschönte Realität wiedergeben? Oder ist etwa Chinas Aktienmarkt das Maß aller Dinge, weil Aktienhaussen und-baissen die Konsumneigung der Chinesen und damit die Weltnachfrage positiv oder negativ beeinflussen? Müsste also die Fed in letzter Konsequenz planwirtschaftliche Maßnahmen der KP in China stützen, die der Stabilisierung der Aktienkultur in China dienen? So viel Zusammenarbeit von Markt- und Planwirtschaft hätte es wohl noch nie gegeben.

Kann die Psychologie das Maß aller Dinge für die Fed sein?

Muss die Fed nicht ohnehin auch noch auf die Psychologie achten? Wir haben doch alle 2008 miterlebt, dass die Pleite der kleinen Lehman-Bank, die über kein Einlagengeschäft verfügte, kein Kreditgeschäft betrieb und auch als Transaktionsbank keine bedeutende Rolle spielte, das Kopfkino der Anleger und Investoren so negativ beherrschte, dass zum Schluss aus der vorher noch granitharten Weltkonjunktur eine weich gekochte Spaghetti wurde. Nur umfangreiche staatliche Konjunkturprogramme konnten sie wieder erhärten. Und die Rentenmärkte konnten das dramatische Anwachsen der Staatsverschuldung nur durch von der Geldpolitik gedrückte Anleiherenditen überstehen.

Und angesichts dieser ultimativen geldpolitischen Rettung haben heutzutage Frau Yellen und ihre Herren im Offenmarktausschuss der Fed offensichtlich große Angst schon vor einer einzigen Zinserhöhung, obwohl sie die Zinslandschaft nicht wirklich verteuern würde. Sie haben Angst, dass eine realwirtschaftliche Verschlechterung, dann bei einem nicht mehr großen Zinssenkungshebel – negative Leitzinsen wären absurd – nicht mehr beigelegt werden könnten.

Wer nach allen Seiten offen ist, ist nicht ganz dicht

Mit der Rücksichtnahme auf alle Daten, die eine autoritäre geldpolitische Erziehung vermeintlich nicht mehr möglich machen, macht sich die Fed selbst zu einem großen Verunsicherungsfaktor. Der Fluch ihrer guten Beruhigungstat für Weltkonjunktur und Weltfinanzmärkte ist die größte Liquiditätsausweitung seit der Sintflut, die einen gigantischen Anlagebedarf geschaffen hat. Auf der Suche nach attraktiven Renditen erlebte u. a. Asien dramatische Aktienkurszuwächse. Als die Renditen dort abgeweidet waren, wurde das Anlagegeld plötzlich abgezogen und führte zu so schweren Vermögensverlusten, die selbst die chinesischen Konsumenten veranlassten, ihr Portemonnaie zuzunageln. Mittlerweile ist die gesamte asiatische Realwirtschaft verunsichert.

Früher noch hat die Realwirtschaft den Taktstock für die Finanzmärkte geschwungen. Heute wedelt der Schwanz mit dem Hund. Das ist keine gesunde Entwicklung, weil sich damit die bislang wichtigste Instanz der Finanzwelt – konkret die wirklich mächtigste Frau der Welt – zum Erfüllungsgehilfen macht, die aber über zunehmende Marktschwankungen das Gegenteil von der beabsichtigten Rettung erzielt.

Und nun? Die Fed kann sich nicht um alle Dinge, um alle Daten kümmern. Denn dann ist der Willkür Tür und Tor geöffnet, warum Leitzinsen steigen oder fallen. Eine Neue Sachlichkeit ist angesagt. Die Fed muss wieder zurückkommen zur nationalen Datenlage. Denn wer es allen Recht machen will, macht es am Ende keinem Recht.

Diese „neue“ Fed-Politik wäre sicherlich mit vielen Risiken verbunden. Der Schuss kann nach hinten losgehen und die Finanz- und Realmärkte erschüttern.

Doch Frau Yellen muss sich eine entscheidende Grundsatzfrage stellen. Will sie ihre zinspolitischen Hände aus Angst vor aufkommender Panik an den Finanzmärkten mit vermeintlichen Ausstrahleffekten auf die Realwirtschaft weiter in den Schoß legen? Oder erklärt sie eine weiter ungehemmte US-Geldpolitik – frei nach dem Motto „Wer geldpolitisch zu spät kommt, den bestraft das finanzwirtschaftliche Leben" – zu einem Systemrisiko, dem man entgegenwirken muss?

Sie braucht jetzt Mut, viel Mut. Sie sollte sich allmählich für die zweite Variante entscheiden.