In wirtschaftlicher Abschwächungsphase wird niemand die Zinsen erhöhen – zumindest nicht in Europa
16.03.2022
Wolfgang Juds, Inhaber der CREDO Vermögensmanagement GmbH in Nürnberg / Foto: © CREDO Vermögensmanagement
Der Krieg in der Ukraine ist das beherrschende Thema in diesen Wochen. Was bedeutet diese Auseinandersetzung für die Investoren? Kommen die avisierten Zinserhöhungen? finanzwelt sprach Anfang März mit Wolfgang Juds, Geschäftsführer CREDO Vermögensmanagement GmbH.
finanzwelt: Die aktuell eskalierende Lage in Russland stellt Anleger vor schwere Entscheidungen. Welchen „Rat“ würden Sie Investoren nun geben? Wolfgang Juds: Der wichtigste Rat, den ich Anlegern derzeit geben kann, ist es nicht die Nerven zu verlieren, und Ruhe zu bewahren. Keine Schnellschüsse und keine unüberlegten Handlungen im Affekt! Trotz aller Unsicherheiten werden die Börsen in ein paar Monaten vermutlich deutlich höher stehen als noch zur Zeit. Die Schwankungen sind zwar sehr hoch, aber sobald Klarheit über die Zukunft besteht, wird sich die Volatilität wieder drastisch reduzieren. Wir wissen nur nicht, wann das sein wird. Vermutlich werden die Kurse nach Beendigung des Krieges in der Ukraine wieder deutlich anziehen.
finanzwelt: Wie haben sich die Aussichten für die Aktien- und Anleihemärkte weltweit durch den Krieg in der Ukraine verändert? Juds: Der Krieg in der Ukraine hat die Aussichten für die Weltwirtschaft zumindest kurzfristig stark eingetrübt. Derzeit ist völlig offen, wie stark die Rückgänge und Einbußen für alle Beteiligten sein werden. Der Rubel wertet massiv ab und die russischen Anleihen stehen unter enormen Druck. Die russische Börse ist derzeit geschlossen. Fonds mit russischen Aktien sind derzeit nicht handelbar. Vorrübergehend kann niemand mit Gewissheit sagen, wie es weitergeht.
finanzwelt: Was bedeutet das für die deutsche Wirtschaft / die deutschen Aktienmärkte? Juds: Die Auswirkungen dürften je nach Branche und Unternehmen sehr unterschiedlich ausfallen. Die Verstrickungen der deutschen Wirtschaft mit Russland und der Ukraine sind nicht unbedeutend. Wieviel deutsches Kapital steckt da drin? Wie viele Fabriken und Produktionsstätten sind dort im Einsatz? VW und Zulieferer wie Leoni haben dort Werke, Metro seine Filialen und Banken ihre Geschäftsbeziehungen. Es bleibt nicht ohne Konsequenzen, wenn Daimler seine Kooperation mit den russischen Partnern aufkündigt. Was bedeuten die Produktionsausfälle für die Mutterkonzerne?
finanzwelt: Ist die Zinsangst angesichts der aktuellen Umstände übertrieben? Juds: Ja, denn in einer Phase wirtschaftlicher Abschwächung wird niemand die Zinsen erhöhen – zumindest nicht in Europa. Die EZB wird vermutlich bald wieder über die Aufnahme der Anleihe-Aufkaufprogramme nachdenken als über Zinserhöhungen. Der Bund-Future steigt Mitte Februar wieder deutlich an. Die langfristigen Zinsen gehen wieder zurück.
finanzwelt: Wird die Fed ihre avisierten Zinsschritte überdenken? Juds: Auch hier ein klares Ja! In den USA mag der Wirtschaftszyklus zwar anders als in Europa sein, aber auch hier werden nicht so viele Erhöhungen kommen wie vor kurzem noch befürchtet wurde! Ich rechne mit steigenden Energiepreisen und einer weiter hohen Inflation, die vorübergehend noch weiter steigen kann. Allerdings engt die geopolitische Situation den Handlungsspielraum für Zinserhöhungen deutlich ein.
finanzwelt: Die Flucht in Sicherheit ist in „Angstzeiten“ groß. Wie schätzen Sie die kurz- bis mittelfristige Lage bei Gold (und US-Dollar) ein? Juds: Gold ist derzeit vor allem als Krisenwährung gefragt. Gleiches gilt für den US-Dollar und die US-Treasuries. Sie bilden beide die „Verteidigung“ in einem gut diversifizierten Mischportfolio. Bei uns hat der hohe Anteil an Goldminenaktien ebenfalls dazu beigetragen, das Minus in engen Grenzen zu halten. Alles drei zusammengenommen ist unser „Bollwerk“ in unsicheren Zeiten! Das „Bollwerk“ halten wir solange aufrecht bis es eine signifikante Entspannung auf der geopolitischen Seite gibt. (ah)