Im Schatten des LVRG
05.10.2014
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Die teilweise hoch emotional geführten Diskussionen um das LVRG, die Provisionsdeckelung und die Stornohaftzeiten scheinen zunächst beendet. Und doch ist die Realität eine andere: Im Schatten des LVRG wachsen Folgen für den unabhängigen Versicherungsvertrieb, die erst in einiger Zukunft spürbar werden.
Gleichwohl sind Tendenzen bereits erkennbar. finanzwelt wagt einen begründeten Ausblick auf die wahrscheinlichen Szenarien für den unabhängigen Versicherungsvertrieb und sein Umfeld in den nächsten Jahren.
Szenarien durch das LVRG
- Vergütungen sind tendenziell rückläufig, denn der Gesetzgeber fordert Einsparungen im Vertrieb.
- Orientierung in margenstarke Bereiche wird überlebensnotwendig.
- Versicherer werden vom Gesetzgeber weiter organisatorisch belastet.
- Die Nutzung von Skaleneffekten wird notwendig.
- Komplexe Vorgänge werden größere Maklereinheiten mit interner Spezialisierung erforderlich machen.
Das LVRG wirkt wie ein Fallbeil. Es erzwingt viele Entwicklungen, die bisher nur diskutiert wurden, da die Reduktion der Margen eine Kettenreaktion über viele Bereiche, die den unabhängigen Versicherungsvertrieb beeinflussen, auslösen wird. Der erste Schritt in diese Richtung wurde vor Jahren mit der Einführung der Stornohaftzeit von fünf Jahren getan. Die schrittweise Absenkung des Rechnungszinses, hohe Kosten und das anhaltende Niedrigzinsumfeld führten geradewegs zum LVRG und es steht zu befürchten, dass dies erst der Beginn einer Entwicklung sein könnte.
Die Absicht des Gesetzgebers hinter dem LVRG. Die Diskussion, ob Vergütungen im unabhängigen Versicherungsvertrieb sinken, gleichbleiben oder sich zeitlich anders verteilen, führt der Gesetzgeber nicht. Er äußert vielmehr eine unangenehm klare Meinung. Auf der Internetseite des Bundesfinanzministeriums findet sich zu den FAQs um das LVRG folgende unmissverständliche Formulierung: „… Das Maßnahmenpaket hat folgende Eckpunkte: … Die Unternehmen werden zu mehr Kostentransparenz verpflichtet und zu Kostensenkungen angehalten – vor allem im Vertrieb." Für den Gesetzgeber stellt sich also die brancheninterne Diskussion nicht. Vor allem die Kosten im Vertrieb sollen sinken. Und weil die Kosten des Einen eben auch die Vergütungen des Anderen sind, wird damit implizit, aber knallhart, ein tendenziell sinkendes Vergütungsniveau angekündigt. Eine unangenehme Realität, der sich die Vermittlerschaft aber stellen muss, wenn sie langfristig am Markt bleiben will.
Wo liegt künftig bei Versicherern der Gewinn-Schwerpunkt? Mit der Rechnungszinssenkung stellt sich die Frage, wo bei Versicherern künftig deren jeweiliger Gewinn-Schwerpunkt liegen wird. Was könnte passieren, wenn das „Profit-Center" Biometrie bei den Versicherern austrocknen würde? Denn die Biometrie ist von der Vergütungsseite her traditionell eine tragende Säule des unabhängigen Versicherungsvertriebs, mit der die Beratung von weniger margenstarken Produkten de facto quersubventioniert wurde. Erschwerend ist, dass Versicherungsnehmer nach LVRG künftig mit 90 % anstelle von 75 % an den Risikoüberschüssen beteiligt werden, was eine schmerzhafte Beschneidung der möglichen Gewinne für den betroffenen Versicherer bei gleichzeitig unveränderter Leistungspflicht ergibt. Die Versicherer müssen daher tendenziell hart auf die Kostenbremse treten, am einfachsten und schnellsten geht dies im Vertrieb.
Das Unternehmensrating gewinnt an Bedeutung. Der Makler muss seine gegenüber dem Kunden ausgesprochene Empfehlung begründen und auch dokumentieren. Gerade weil in der Biometrie vielfach langjährige Leistungsversprechen gegeben werden, sind diese letztlich nur so gut wie die Leistungsfähigkeit zum Einhalten der gegebenen Versprechung. Der Makler ist aufgrund seiner ausgesprochenen Empfehlung in der Haftung für die Einhaltung dieser Versprechen, daher hat er im Eigeninteresse die Pflicht, sich zukünftig vertieft mit den Unternehmenskennzahlen der Versicherer auseinanderzusetzen. Die Kehrseite dieser Medaille ist für die Versicherer, dass diese zukünftig wettbewerbsfähige Unternehmenskennzahlen liefern müssen, was bestimmte Kapitalquoten, bald auch erschwert durch Solvency II, betrifft. Dies führt vermehrt bereits zur Einstellung einzelner unprofitabler Bereiche und der Zunahme des professionellen Run-off-Managements. Als weitere Folge der zunehmenden Bedeutung von Unternehmenskennzahlen ist nicht auszuschließen, dass einzelne, kapitalschwächere Versicherer sich mit stärkeren zusammenschließen, wo mit die Gesamtzahl von Versicherern und damit die Produktauswahl sinken würde. Durch die zunehmende Bedeutung der Unternehmensqualität wird der Markt tendenziell enger.
Die „Ware" ändert sich und stellt Versicherer vor organisatorischen Herausforderungen. Was in der Diskussion um Prozent-Bruchzahlen gern vergessen wird: Durch die Änderung des Rechnungszinses ändert sich die „Ware" Versicherung komplett. Von einer Änderung des Rechnungszinses zur anderen erfordert es seitens der Versicherer der Erstellung einer gänzlich neuen Modellgeneration der „Ware" Versicherung, die unter Blech und Motorhaube wenig mit dem Vorgängermodell zu tun hat. Ein solcher Wechsel der Modellgeneration durch einen veränderten Rechnungszins wäre, als ob die neue Baureihe des Porsche 911 anstelle von über 300 nur noch 50 PS hätte. Nicht nur die Leistung und der Motor ändern sich, sondern auch das ganze System Auto, vom Radlager bis hin zur Elektrik, denn alles ist mit allem verbunden und muss optimal mit allem zusammenarbeiten können. Der Aufwand endet nicht mit der Leistungsreduzierung, dort fängt er erst an. Der Rechnungszins hat sich über die Jahre von ca. 4 % auf nach LVRG 1,25 % reduziert. Jede Änderung bedingt jeweils eine komplett neue „Modellgeneration" der Ware. Genau wie man für eine komplett neue Auto-Modellgeneration in der Werkstatt alle Ersatzteile, Diagnosegeräte und Mechanikerschulungen vorhalten muss, so ist es mit Bestandssystem Unterlagen, Schulungsunterlagen, Tarifen, Berechnungen etc. beim Versicherer ähnlich. Geht man weiter davon aus, dass bei einem Versicherer je Versicherungs-„Ware" ca. 200 verschiedene IT-Programme von der Erfassung bis zur Bilanz zusammenwirken, erkennt man schnell, warum die IT-Abteilung eines typischen Versicherers stets leicht überfordert wirkt und warum bei manchen Versicherern die IT-Kosten bis zu 25 % der internen Kosten ausmachen sollen. Einsparungspotenziale gibt es hier kaum– diese werden eher im Vertrieb gefunden werden können.
Storno wird zu teuer – die Kundenbindung wird zum Faktor 1 für den Makler. Der Umgang mit dem Stornorisiko wird zukünftig zum erfolgsentscheidenden Faktor für den unabhängigen Versicherungsvertrieb, denn jedes einzelne Storno tut dem Makler nach dem LVRG weit mehr weh als zuvor. Die Tatsache, dass nicht alle biometrischen Verträge kundenseitig bis zum Laufzeitende durchgehalten werden, ist bereits nicht hilfreich. Gerade deswegen wird der Makler künftig noch mehr dafür sorgen müssen, dass jeder einzelne seiner Kunden auch Kunde bleibt. Egal, ob es vertiefte Beratung, verbessertes Informationsverhalten oder andere, wertige Formen der Kundenbetreuung sind – die Kundenbindung wird für mehr personellen und finanziellen Aufwand in einem Umfeld tendenziell sinkender Margen sorgen, die für einen Einzelmakler alter Schule kaum mehr zu bewältigen sein werden. Als Folge ist mit einer Industrialisierung der Kundenbindungsprozesse und zwecks Erzielung von Skaleneffekten mit größeren Maklereinheiten zu rechnen. Das Geschäft des Einzelmaklers alter Schule wird sich immer schlechter rechnen.
Orientierung in die Qualität. Hohe Margen werden sich in Zukunft bei qualifizierten, hochwertigen Kunden durch ebenso qualifizierte Berater und unter Einsatz von hohem persönlichen Betreuungsaufwand erzielen lassen. Ein Top-Service kann selbstverständlich nur für auskömmliche Margen geboten werden, es setzt daher verkaufsfähige Produkte, hervorragende Mitarbeiter in kompetent organisierten Einheiten und industrialisierte interne Abläufe voraus. Makler, die sich aktiv an der Qualität orientieren und den erforderlichen Aufwand auch leisten können, gehören zu den Gewinnern der Branche. Gleichwohl ist erkennbar, dass sich dieser Weg nicht für Jedermann öffnet.
Verlagerung ins gewerbliche Geschäft. Die künftig tendenziell sinkenden Vergütungen in der Biometrie werden eine Verlagerung in margenstärkere Bereiche, voraussichtlich ins gewerbliche Geschäft und/oder in Richtung ganzheitlicher Beratung von Gutverdienern bzw. einkommensstarker Zielgruppen, attraktiver machen. Die Zielgruppen decken sich größtenteils, da es sich vorwiegend um Unternehmer und Gewerbetreibende handeln dürfte, die sowohl ihre geschäftlichen als auch privaten Belangen bei einem und demselben Makler unterzubringen pflegen. Eine solche Ausrichtung dürfte jedoch viele Makler vor erhebliche Probleme stellen, erfordert sie oft einen Kulturwandel in der Beratung. Ganz schlicht: Gewerbliches Geschäft kann nicht jeder, gerade wenn es sich um komplexe sachliche und betriebliche Bereiche handelt. Auch hier werden nur diejenigen, die sich diesen Markt erschließen, zu den Gewinnern der Veränderungen zählen.
Die Neudefinition des Kunden wird notwendig. Bisher war das Geschäft des unabhängigen Versicherungsvertriebs, junge Menschen an die Altersvorsorge und die Absicherung ihrer Arbeitskraft heranzuführen – so entstanden hohe Abschlussvergütungen. Diejenigen, die bereits eine entsprechende Versorgung hatten, waren bislang eher Bestandskunden und damit von der Vergütung her Kunden „zweiter Ordnung". Dies ändert sich: Jüngere Menschen leiden unter der Prekarisierung ihrer Arbeitswelt, an den zunehmend verkürzten Arbeitsbiografien und ganz schlicht unter weniger verfügbarem Einkommen als ihre Vorgängergeneration. Daher kann es für den unabhängigen Versicherungsvertrieb notwendig werden, den Kunden neu zu definieren: Die Kunden, die bereits über eine Altersvorsorge verfügen oder die ein oder zwei Jahrzehnte älter sind als die traditionellen Kunden, denn diese verfügen über Einkommen und Vermögen und sind weit mehr beratungsbedürftig als die jüngere Generation. Die Entwicklung geht über in einen „Small-Service" für jüngere Kunden mit geringem verfügbaren Einkommen, einem „Mittleren Service" und einem „Full-Service" für High-End-Kunden – vom Gutverdiener aufwärts oder Ruheständler mit hohen Bezügen und Vermögen. Im letzteren Fall wird eine andere Beratungsphilosophie erforderlich werden, denn die ältere Generation hat andere Schwerpunkte – nicht die Renditemaximierung ist im Vordergrund, sondern das Bewahren des Vermögens sowie das Vermögen risikoavers aufzubauen und gegebenenfalls an die nächste Generation zu überführen.
Probleme am soziodemografischen Rand. Die aufwändige Beratung des soziodemografisch „unteren" Viertels der Kundschaft, gemessen an Einkommen, Vermögen, ggfls. Bildungsgrad etc., wird bei sinkenden Margen wirtschaftlich zunehmend unattraktiver. Hier ist mit einer geringen Vertragszahl und geringen Vergütungen pro Kopf bei geleichbleibendem Betreuungs- und steigendem Verwaltungsaufwand zu rechnen. Als Folge wird diese Gruppe im Schnitt tendenziell weniger bedient werden. Beispiel für die zukünftige Entwicklung ist England: Dort sind für diese Kundengruppe fast ausschließlich Internetangebote, kaum noch persönliche Beratung vorhanden, was aber auch eine hohe Kundenpartizipation voraussetzt. Da die Komplexität einer Beratung insbesondere für Alters- und Gesundheitsvorsorgeprodukte von Vergleichsportalen erfahrungsgemäß nicht umfänglich erbracht werden kann, ist mit einer schweren Benachteiligung der Kunden, die die qualitativ beste mögliche Beratung benötigen, um aus dem Wenigen zumindest Etwas zu machen, zu rechnen. Diese Folge kann politisch nicht gewollt sein und wird daher mit Sicherheit für immer weitere Gesetze, die auch die unabhängige Versicherungsvermittlung beeinflussen, sorgen.
Weniger Vergütung, mehr Nachwuchsprobleme. Zur Bewältigung eines zunehmend qualifizierten Geschäfts für tendenziell hochwertige Kunden sind zukünftig ebenso qualifizierte Mitarbeiter und Nachwuchsmakler gefragt. Diese werden, auch aufgrund der Alternativen, die sich ihnen entsprechend ihrer Qualifikation bieten, aber auch qualifizierte Entwicklungs- und Verdienstmöglichkeiten nachfragen. Vor dem Hintergrund sinkender Margen klafft zukünftig eine immer weitere Schere zwischen Nachwuchsbedarf und der in Anbetracht der wirtschaftlichen Verhältnisse der Branche möglichen Angeboten. Noch hat niemand einen Königsweg zur Auflösung dieses Problems gefunden. Die Unternehmerpersönlichkeiten im unabhängigen Versicherungsvertrieb, die die Lösung des Problems finden, werden am Ende die Sieger sein. (cs)