Grundsatzentscheidung zu Diesel-Skandal
12.12.2017
Andreas W. Tilp / Foto: © TILP Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Durch eine Grundsatzentscheidung des Landgerichts Stuttgart sind die Chancen für Anleger, aufgrund des VW-Dieselskandals Entschädigungen zu erhalten, deutlich gestiegen. Das Unternehmen muss nun selbst nachweisen, nicht grob fahrlässig gehandelt zu haben.
Im gestrigen Bundesanzeiger wurde eine Grundsatzentscheidung des Landgerichts Stuttgart veröffentlicht. Damit hat die Entscheidung, die von der TILP Rechtsanwaltsgesellschaft mbH erstritten wurde, eine bindende Wirkung im Sinne des § 6 Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG). Mit dem Vorlagebeschluss werden zwei weitere Musterverfahren gegen VW eingeleitet, welche vor dem Oberlandesgericht Stuttgart durchzuführen sind. Dabei geht es nach dem KapMuG um Fragen der Zuständigkeit in den verschiedenen Anlegerklagen gegen VW und die Porsche Automobil Holding SE (PSE) wegen der Kursstürze nach Bekanntwerden des VW-Dieselskandals, insbesondere die Schäden in Aktien von VW und PSE.
Aktuell findet die Aufarbeitung der Anlegerentschädigungen durch VW und PSE in zwei unterschiedlichen Gerichtsbezirken statt. Während es vor dem OLG Braunschweig in einem Musterverfahren gegen VW um eine Gesamtforderung von über 9 Mrd. Euro geht, beschäftigt sich das Stuttgarter Gericht mit einem Musterverfahren gegen PSE, in dem es um eine Gesamtforderung von ca. 1 Mrd. Euro geht. Daneben hängen vor verschiedenen Kammern des LG Stuttgart über 100 Klagen gegen VW, diese sind von den jetzt eingeleiteten Musterverfahren wegen Fragen der Gerichtszuständigkeit betroffen.
„Der gestern veröffentlichte 92-seitige Vorlagebeschluss der 22. Zivilkammer des LG Stuttgart kann mit Fug und Recht als Grundsatzentscheidung bezeichnet werden. Erstmals erklärt ein deutsches Gericht zum Komplex der Anlegerklagen wegen Dieselgate, dass sowohl Ansprüche gegenüber der Volkswagen AG wie auch der Porsche Automobil Holding SE wegen fehlerhafter Finanzberichterstattung als auch aufgrund von Compliance-Verstößen im Konzernverhältnis ernsthaft in Betracht kommen“, beurteilt Rechtsanwalt Andreas Tilp, Geschäftsführer von TILP, die jetzige Entscheidung.
Das LG Stuttgart qualifiziert die Vorschriften der §§ 37 v und 37 w des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG), welche Vorgaben zum Inhalt der Finanzberichterstattung von börsennotierten Unternehmen enthalten, als sogenannte Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB mit der Folge, dass Anleger bei fehlerhafter Berichterstattung Schadensersatz fordern können. Diese sind nach der Entscheidung des LG Stuttgart besonders anlegerfreundlich ausgestaltet, da im Falle fehlerhafter Berichterstattung eine Beweislastumkehr zu Lasten des schädigenden Unternehmens erfolgt. Einerseits muss dieses nachweisen, allenfalls mit einfacher Fahrlässigkeit gehandelt zu haben, andererseits, dass die Anlageentscheidungen des Anlegers ohne Kausalität zur Finanzberichterstattung erfolgten. Derartige Gegenbeweise gelingen den Unternehmen in der Praxis nur in den seltensten Fällen.
Die zweite rechtsgrundsätzliche Bedeutung des Vorlagebeschlusses des LG Stuttgart besteht in seinen Ausführungen zur „konzerndimensionalen Betroffenheit“ der PSE als Mutterunternehmen von VW. Den Muttervorstand treffe im Grundsatz eine konzernweite Compliance-Verantwortung. Dabei müsse „der Muttervorstand insbesondere durch Einrichtung eines konzernbezogenen Berichtssystems dafür Sorge tragen, dass Informationen von einem abhängigen Unternehmen nach oben weitergeleitet werden.“ Würden dementsprechende Pflichten verletzt, könne dies eine eigenständige Haftung des Mutterunternehmens wegen Verletzung des Insiderinformationsrechts begründen.
„Mit dem jetzigen Vorlagebeschluss des LG Stuttgart sind die Chancen der klagenden Anleger gegen die Volkswagen AG und die Porsche Automobil Holding SE deutlich gestiegen, sowohl der Klagen in Stuttgart als auch der Klagen in Braunschweig“, betont Rechtsanwalt Tilp. „Die Strategie unserer Kanzlei, die Volkswagen AG an zwei unterschiedlichen Gerichtsständen in eine Flügelzange zu nehmen, hat sich als richtig erwiesen. Die jetzige Grundsatzentscheidung des LG Stuttgart beschleunigt die juristische Aufarbeitung der Anlegerklagen im Fall Dieselgate“, schließt Tilp sein Resümee. (ahu)