Globale Industrie unter Druck – löst aber keine Wirtschaftskrise

05.10.2015

In den USA ist die Stimmung des verarbeitenden Gewerbes im letzten Monat auf das tiefste Niveau seit Mitte 2013 gefallen und weist nun auf eine Stagnation der US-Industrie hin.

Ein ähnliches Bild bietet sich uns in China, wo das Sentiment auf einen starken Abschwung der Produktion hindeutet. Nur in Europa vermag sich die Industriestimmung (noch) dem negativen Trend zu entziehen. Viele Investoren deuten die Eintrübung der Gemütslage im verarbeitenden Gewerbe als ein Vorbote für eine Wirtschaftskrise. Weshalb aber erhalten diese Stimmungsindikatoren überhaupt so viel Aufmerksamkeit? Schliesslich ist in einer modernen Dienstleistungsgesellschaft wie den USA das verarbeitende Gewerbe nur noch für knapp 12% der Wirtschaftsleistung und für weniger als 9% der Beschäftigung verantwortlich. Es sind andere Gründe, welche die starke Beachtung rechtfertigen. Die Industrie reagiert oft schneller und stärker auf neue Trends in der Weltwirtschaft als der Dienstleistungssektor und dient damit als ein wichtiger Indikator für die Entwicklung in der gesamten Volkswirtschaft. Das erklärt denn auch die grossen Sorgen der Investoren.

Das oben beschriebene Muster wird heute allerdings in Frage gestellt. So hat in den USA beispielsweise die Stimmung im verarbeitenden Gewerbe zwar markant nachgelassen, im Dienstleistungssektor ist sie seit Jahresbeginn jedoch stark angestiegen. In China steht einem ausgeprägten Rückgang des Industrie-Sentiments eine robuste Stimmung bei den Dienstleistungen entgegen. Die unterschiedliche Entwicklung widerspiegelt letzten Endes die vorherrschenden Trends in der Weltwirtschaft. Das Wachstum in den Schwellenländern hat sich signifikant verlangsamt, was einen starken Preisrückgang bei den Rohstoffpreisen zur Folge hat. Diese Entwicklungen haben unterschiedliche Auswirkungen für den zweiten und dritten Sektor. Die Industrie kommt unter immer stärker unter Druck. Die Nachfrage nach Exporten (wovon ein Grossteil aus Industriegütern besteht) leidet unter dem schwachen Wachstum in den Schwellenländern und unter der Abwertung deren Währungen. Des Weiteren schwächen die tiefen Rohstoffpreise die Investitionsfreude im Rohstoffsektor. Im Gegensatz dazu können Dienstleister von den globalen Trends profitieren. Dank den tiefen Erdölpreisen steigt die Kaufkraft der Konsumenten, was in einer Stärkung der privaten Konsums resultiert. Aus diesem Grund wird wohl die Stimmungseintrübung im verarbeitenden Sektor auch nicht zu der befürchteten Wirtschaftskrise führen, wenigstens nicht in den rohstoffimportierenden Volkswirtschaften. In den USA und in Europa wird die schwache Industrieproduktion temporär auf dem Wachstum lasten. Dank der Unterstützung durch den privaten Konsum dürften die westlichen Industrieländer diese Abschwächung jedoch verkraften.

Autor: Alessandro Bee, Ökonom, Bank J. Safra Sarasin AG