Gedanken zu den Griechenland Verhandlungen

08.06.2015

Markus Schuller

Trotz allseits seit Monaten verkündetem Willen zur Lösung bringt einzig die zugespitzte Solvenzlage beide Seiten einem Abschluss näher. Wie kürzlich auf Twitter kommentiert: die Griechen spielen ihre schlechten Karten gut aus.

Wie gut, zeigt abermals Finanzminister Varoufakis in einem Project Syndicate Beitrag von letztem Wochenende („Speech of Hope"). Sie kontrollieren das Narrativ der Verhandlungen. Auch, weil sie in der Kontextbeschreibung darüber wie die ökonomische Situation zu interpretieren ist, die Empirie nach 7 Jahren Krisenpolitik auf ihrer Seite haben. (Exkurs: Wer mehr über spieltheoretische Anreizsysteme in Volkswirtschaften lesen will, dem empfehle ich die Publikationen von Stephan Schulmeister.)

Griechenlands Eigenverantwortung

To be clear: zu einer sich dynamisch ausweitenden volkswirtschaftlichen Fehlentwicklung wie in Griechenland nach Beitritt zur Währungsunion gesehen, tragen mehrere Stakeholder bei. Primär verantwortlich bleibt Griechenland selbst. Auch wenn einem billige Kredite von deutschen, französischen, etc. Banken angeboten werden, man muss sie nicht annehmen. Selbst wenn die europäische Rüstungsindustrie gerne Waffensysteme nach Griechenland liefert, um einen überbewerteten Regionalkonflikt weiter zu befeuern. Man muss den Kaufvertrag nicht unterschreiben. Also nochmals, Griechenland ist nicht nur, aber primär für seine Vorkrisen-Entscheidungen und seine dementsprechende Krisenanfälligkeit 2008/09 verantwortlich. Hier sind bewusst alle Griechen und nicht nur die dynastisch-plutokratischen Eliten angesprochen. Stille, über Jahrzehnte anhaltende Duldung der Verhältnisse macht die gesamte Bevölkerung mitverantwortlich.

Kann ein aus der vorangegangenen Übertreibung führender, volkswirtschaftlicher Anpassungsprozess ohne Schmerzen funktionieren? Nein. Die Dosis ist aber durchaus steuerbar. In Griechenland führten die umgesetzten Maßnahmen der letzten 5y zu Schmerzen, die in systembedingten, massiven humanitären Notfällen endeten (fast 1/3 der Bevölkerung ohne Krankenversicherung). Hier beginnt die Vergleichbarkeit mit Rumänien, Portugal, Irland et al zu enden. Problem: die bereits erlittenen massiven Schmerzen führten noch zu keinem System- und Kulturwandel in Griechenland, weil Vorgängerregierungen „low hanging fruits" ernteten (Massensteuern, etc) und an eben diesem fundamentaleren Wandel nicht interessiert waren – weil als alte Garde davon profitierend. Wie wenig sich die Vorgängerregierungen in Griechenland an die Abmachungen hielten, zeigt ein kürzlich erschienener Lokalaugenschein in der FAZ.

Die nun von der Troika erwarteten Cuts (neue Frühpensionsregelung, etc) sind im Vergleich zu den bereits geleisteten Cuts in diesen Bevölkerungsschichten relativ klein. Es geht hier den Geldgeber auch um Symbolpolitik, um ein Exempel punkto „Regeln respektieren" zu statuieren. Hier scheint Syriza nun ebenso „ums Prinzip" zu kämpfen in seinem Narrativ richtig zu liegen und zugleich seine Insolvenz abzuwenden.

Eurozone als Kerneuropa

Vor 5 Jahren war die Frage nach Kerneuropa „ja"/"nein" nur am Rande geführt. Heute wird sie von gewichtigen Akteuren in Kontinentaleuropa getragen und von einem populistischen Großbritannien provoziert. Die Konzepte zur Ausgestaltung eines Kerneuropas werden dementsprechend konkreter, weil in der Zwischenzeit die EU sich weiter integrierte (Bankenunion, ESM, CMA, etc) und die Notwendigkeit einer status-quo Veränderung noch offensichtlicher vorliegt. Beispiel hierzu ist das letzte Woche präsentierte Konzept von den Ministern Sigmar Gabriel (GER) und Emmanuel Macron (FRA) mit guten ersten Schritten in die Verwirklichung eines vorangehenden Kerneuropas.

Doch lebt ein sich weiter integrierendes Kerneuropa umso mehr davon, ob sich dessen nationalstaatlich organisierte Mitglieder an die selbstbestimmten Regeln auch halten.

Glaubwürdigkeit

Wie wollen wir eine Eurozonen/Kerneuropa-weite Regelgebundenheit etablieren? Anders gefragt: wie können wir die Glaubwürdigkeit der handelnden Repräsentanten der Mitgliedsländer erhöhen?

Im Fall Griechenlands argumentiert Syriza, dass Vorgänger-Regierungen, weil Teil des alten Systems, Vieles versprachen, von dem sie wussten, dass es nicht umgesetzt werden wird. Syriza will nun nur eine Vereinbarung eingehen, deren Abmachungen sie halten kann – sagen sie. Soll man ihnen nun eine Chance geben? Soll man Frankreich und Deutschland glauben, europäische Vereinbarungen zu respektieren, nachdem sie unter Schröder den Stabilitätspakt ignorierten? War die neue Chance verdient? Soll man Merkel noch eine Chance geben, obwohl sie im BND/NSA Skandal gelogen hat? Soll man Bulgarien und Rumänien noch in der EU halten, obwohl nachweislich signifikante Teile der EU Förderungen in dunklen Kanälen versickerten? Mein Punkt ist: solange wir nationale Partikularinteressen vor europäisches Gesamtinteresse stellen, ist der nationale Politiker versucht, Abkürzungen zu nehmen. Deshalb lässt sich das „Regeln halten" Thema zwar mit Griechenland gut veranschaulichen, aber nicht lösen.

Glaubwürdigkeit zurückgewinnen macht Sinn – für beide Seiten. Ich hörte noch kein mea culpa von Regierungsvertretern der Eurozone, dass die verabreichte Medizin in Griechenland fatal wirkte – viel rascher und stärker als in den anderen Peripherals. IMF und OECD hingegen gestanden sich ein, Multiplikator-Effekte überschätzt zu haben und ein zunehmendes Sparen des öffentlichen Sektors bei sich vertiefender Rezession kein probates Mittel war. Eine kluge Zusammenfassung über falsche Krisenpolitik wurde vor wenigen Tagen von Nobelpreisträger Amartya Sen publiziert („The economic consequences of austerity").

Trigger zur Institutionenreform

Unabhängig vom Ausgang der Verhandlungen mit Griechenland gilt: Wenn die Message der restlichen EU27 oder EUR18 nur auf die Griechen ausgerichtet bleibt, ist der Lerneffekt für die anderen gering – weil nur implizit und daher indirekt verpackt. Deshalb soll die finale Grenzziehung im Entgegenkommen gegenüber Griechenland zugleich einen Trigger auslösen, der alle anderen in Zukunft direkt und explizit bindet. Griechenland soll als Auslöser für eine demokratisch legitimierte Institutionenreform in Richtung Kerneuropa wirken.

Gerne erläutere ich im Detail, welche Maßnahmen wir von Panthera Solutions bereits 2010 ff anregten, deren große Teile auch heute noch Relevanz haben. Das konkrete Term Sheet einer Griechenland-spezifischen Lösung ist aber ohne den Trigger-Effekt nur von sekundärer Relevanz. Griechenland würde sich vergleichbar gut als Trigger anbieten, wie die Finanz(system)krise Auslöser der Bankenunion (SSM, SRM, EFSF, ESM) war. Der Trigger sollte zum Beispiel ein geordnetes Insolvenzverfahren für Staaten, wie es Paulus und Fuest in Deutschland bereits vorschlugen, beinhalten.

Gedanken, Ende. Ernüchtert.

Autor: Markus Schuller, Founder of Panthera Solutions