Frischzellenkur mit Billionen

23.03.2015

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Die Investorenlegende George Soros hat jüngst seine Positionen in US-amerikanischen Aktien verringert und stattdessen Gelder global angelegt. Auch andere US-Investoren bevorzugen derzeit europäische Aktien, die fast schon als Favoriten des Jahres angepriesen werden.

Europa scheint so beliebt wie nie zu sein. Hängt der „alte Kontinent" die USA ab? Zumindest an einigen europäischen Börsen geht die Rallye in die nächste Runde. Stockpicker sind hierbei im Vorteil.

Einer Prognose der Vereinten Nationen zufolge wächst Europas Wirtschaft, wenn auch nur zaghaft. Es wird für 2015 Wachstum vorhergesagt, das jedoch mager ausfällt. Nach einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in Westeuropa um 1,2 % in 2014 werde es in diesem Jahr voraussichtlich 1,5 % betragen, heißt es in einer Prognose der Vereinten Nationen. Zudem sei das Wachstum ungleich verteilt. Für Deutschland 2015 werden erneut nur 1,4 % und danach 1,7 % erwartet. Das Sorgenkind bleibt Frankreich, das weiter stagniert, und auch für Italien würden die Wachstumsraten sehr bescheiden ausfallen. Dagegen dürfte Großbritanniens Wirtschaft 2015 und 2016 jeweils um 2,5 % zulegen. Drei Themen werden dabei die unmittelbare Zukunft der europäischen Wirtschaft auch künftig bestimmen: zum einen die ungelöste Griechenland-Krise und deren mögliche Folgewirkungen auf weitere Mitgliedstaaten. Zweitens die Stärke/Schwäche unserer Gemeinschaftswährung. Der schwache Euro ist nicht unbedingt schlecht für Deutschland. Selbst die EZB fördert die Entwicklung. Ein billiger Euro wirkt wie ein großangelegtes Konjunkturprogramm für Europas Exportindustrie. Was in Europa erzeugt wurde, kann jetzt außerhalb Europas billiger verkauft werden. Umgekehrt werden nicht-europäische Waren relativ teurer, was deren Wettbewerbsfähigkeit verringert. Last but not least bestimmen die Notenbanker den weiteren Verlauf auf dem Börsenparkett. Die Währungshüter haben die Notenpresse angeworfen. Bis mindestens September 2016 wollen sie Monat für Monat für 60 Mrd. Euro Staatsanleihen und andere Wertpapiere kaufen. Das dürfte Aktien weiteren Rückenwind geben.

finanzwelt analysierte mit Experten die Attraktivität Europas:

Frank Fischer, Vorstand Shareholder Value Management AG

Frank Huttel, Leiter Portfoliomanagement FiNet Asset Management AG

Robert Mazzuoli, Portfoliomanager Franklin Templeton Investments

finanzwelt: Wohin steuert Europa? Angesichts der Griechenland-Thematik ist das eine der bewegendsten und relevantesten Fragen an den Kapitalmärkten. Außenstehende haben den Eindruck, dass, trotz ungelöster Krise, die Aktienmärkte in Europa ihrer eigenen Philosophie folgen. Der Russell Developed Europe Index hat seit Jahresbeginn 13,7 % zugelegt. Wie geht es mit dem „alten Kontinent" weiter?

Mazzuoli: Zunächst möchte ich kurz auf das Thema Griechenland eingehen. Das Land wird mit internationalen Hilfskrediten in dreistelliger Milliardenhöhe über Wasser gehalten. Damit nun neue Mittel fließen können, muss die griechische Regierung allerdings noch Hausaufgaben erfüllen und die vereinbarten Reformen durchführen. Davon abgesehen ist die wirtschaftliche Bedeutung Griechenlands für Gesamteuropa zu vernachlässigen und wir können zum momentanen Zeitpunkt nicht erkennen, dass eine Ansteckungsgefahr auf die anderen PIGS-Staaten (Portugal, Italien und Spanien) ausgehen könnte, die in den vergangenen Jahren Fortschritte erzielt haben. Generell lässt sich sagen, dass die verbesserten Konjunkturindikatoren und die Anleihekäufe seitens der Zentralbank ein weiter positives Umfeld für europäische Aktien schaffen sollten.

Huttel: Das sehe ich in einigen Aspekten anders. Ich stimme zu, dass die wirtschaftliche Bedeutung Griechenlands gering ist. Jedoch stellt sich für mich die entscheidende Frage, ob wir in Europa wirklich viel weiter sind als noch im Jahre 2011 und wie stringent die Reformbemühungen tatsächlich umgesetzt werden. Italien, Frankreich und auch wir in Deutschland tun uns doch schwer mit der Umsetzung notwendiger wirtschaftlicher Anstrengungen und partieller Neuerungen. Europa dividiert sich auseinander, anstatt zusammen zu wachsen und politisch als auch wirtschaftlich eine kraftvolle Einheit zu bilden.

Fischer: Europa ist einerseits geprägt von innovativen, hervorragend geführten Unternehmen mit glänzenden Zukunftsaussichten und andererseits politischen Unwägbarkeiten wie der Russland/Ukraine-Krise bzw. „Grexit", also dem Austritt Griechenlands aus der EU. Während die Unternehmen, auch durch den Kursverfall der Gemeinschaftswährung Euro und der Rohstoffpreise, momentan relativ günstiger bewertet sind als z. B. US-Papiere, sorgen die politischen Unruheherde für erhöhte Nervosität der Anleger. Dies lässt sich an der momentan überdurchschnittlichen Volatilität, also der Schwankungsbreite der Kursbewegungen ablesen.

finanzwelt: Kommen wir zur möglichen Attraktivität europäischer Aktien zurück. Welche Gründe lassen sich, auch vor dem Kontext des bereits Gesagten, hierfür ausmachen?

Mazzuoli: Argumentativ müssen wir zwischen zwei Ebenen unterscheiden. Zum einen das aktuelle Bewertungsniveau, das zwar in der historischen Betrachtung nicht mehr als günstig zu bezeichnen ist. Aber im Vergleich mit anderen Assetklassen wie beispielsweise US-Aktien oder Staatspapieren zeigt sich jedoch, auch unter Bewertungsaspekten, die Attraktivität europäischer Titel. Daneben ist das in Aussicht gestellte Gewinnwachstum der Unternehmen relevant. Der in den letzten Monaten verzeichnete Einbruch bei den Energiepreisen wird die Reallöhne und somit den Konsum ankurbeln. Nachdem auch das Bankensystem umstrukturiert wurde, scheinen sich zudem die Aussichten für das Kreditwachstum und die Kreditvergabe zu verbessern. Diese einsetzende Dynamik dürfte die Binnennachfrage gut stützen und europäischen Aktien zugutekommen.

Fischer: Europäische Aktien sind im Vergleich zu amerikanischen Papieren zurzeit relativ unterbewertet. So beträgt das Kurs-Gewinn-Verhältnis deutscher Aktien ca. 13,5 und das der Aktien des EuroStoxx 50-Index ca. 15, während bei amerikanischen Standardwerten momentan bereits ein KGV von 17,4 eingepreist ist. Es ist aber vor allem das billige Geld, das durch die EZB zur Verfügung gestellt wird. Dazu kommt das milliardenschwere Ankaufprogramm von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank. Das wird die Börsen weiter treiben. Und last but not least: Es gibt im Moment keine Alternative zu Aktien. Wir leben in Zeiten historisch niedriger Zinsen.

finanzwelt: Herr Huttel, lässt sich dagegen etwas einwenden?

Huttel: Im Zusammenhang mit Erwartungen einer weiteren Lockerung der Geldpolitik der EZB herrscht oftmals die Meinung vor, dass Europa die Region ist, die man 2015 in den Portfolios übergewichten muss. Ich möchte differenzieren und nicht alle Märkte über einen Kamm scheren. Jetzt noch wahllos kaufen oder aufstocken ist nicht zielführend. Die Wirtschaftsdaten sind nicht so erbauend, dass man gänzlich abstreiten könnte, dass Europa auf einem wackligen Fundament steht. Dank der wirtschaftlichen Größe bietet der europäische Kontinent aber Chancen, die es aufzuspüren gilt. Stockpicking, das selektive Investieren in Unternehmen mit langfristig guten Geschäftsmodellen, ist das Gebot der Stunde. In diesem Kontext ein klares Plädoyer für aktives Management in den europäischen Märkten.

finanzwelt: Stockpicking ist ein gutes Stichwort, wie gehen Sie hierbei vor?

Fischer: Unsere Philosophie folgt konsequent den Prinzipien des Value Investing von Benjamin Graham und Warren Buffet. Das heißt: die antizyklische Kapitalanlage in unterbewertete Titel mit Sicherheitsmarge. Primäres Ziel ist der Kapitalerhalt sowie die Vermeidung des permanenten Kapitalverlustes. Dabei gelten im Kern die vier einfachen Prinzipen des Value-Investing: Die Sicherheitsmarge („Margin of Safety"), investiere in Unternehmer („Business Owner"), der wirtschaftliche Burggraben („Economic Moat") und schließlich die Psychologie der Börse („Mr. Market"). Nach diesen Prinzipien wird entschieden, ob ein Unternehmen in die nähere Auswahl kommt. Sie stellen einen elementaren Bestandteil des Investmentprozesses dar.

Mazzuoli: Beim Franklin European Growth Fund folgen wir einem disziplinierten Bottom-up-Verfahren. Das heißt, der Fonds konzentriert sich auf europäische Unternehmen mit einem klaren Wettbewerbsvorteil und nachhaltigem Wachstumspotenzial sowie attraktiver Bewertung. Eine detaillierte Einzeltitelselektion mündet dann in einem konzentrierten Portfolio. Industrietitel und zyklische Konsumgüter machen aktuell gut die Hälfte in der Branchengewichtung aus.

Fischer: In den letzten Jahren haben wir unser Research auch in den Peripherieländern stark ausgebaut, dennoch finden wir in Deutschland aktuell die besten Ideen. Generell suchen wir nach temporär unterbewerteten Unternehmen im Small- bis Mid Cap Bereich, gerne auch in Branchen (wie zuletzt die Rohstoffbranche), die temporär unbeliebt sind und von anderen Investoren daher gemieden werden. Trotz der bereits gestiegenen Bewertungen finden wir nach wie vor genügend unterbewertete Titel, von denen wir uns in den nächsten Jahren überdurchschnittliche Wertsteigerungen versprechen.

finanzwelt: Lassen Sie uns noch einmal auf das Thema Wettbewerb zurückkommen. Inwiefern stellt die mangelnde Konvergenz der Wettbewerbsfähigkeit der Euroländer ein Risiko dar?

Huttel: Ziel der europäischen Wirtschaftsintegration war es, dass die weniger wohlhabenden Mitgliedstaaten durch Wachstum ihren Einkommensrückstand auf die industrialisierten Partner wettmachen. Das ist nur zum Teil geglückt. Geradezu besorgniserregend ist auch, dass Ökonomien wie Frankreich und Italien, die früher dynamisch waren und glänzten, in ihrer Wettbewerbsfähigkeit deutlich zurückgefallen sind. Das Auseinanderdriften der Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Mitgliedstaaten schwächt den Kontinent als Ganzes.

finanzwelt: Welche Schlussfolgerungen leiten Sie letztlich für europäische Aktien ab?

Mazzuoli: Europa und die USA sind nach wie vor die wirtschaftlichen Schwergewichte der globalisierten Welt. Anlagelösungen mit Schwerpunkt Europa werden, aufgrund der wirtschaftlichen Stärke und Innovationskraft der Unternehmen, immer gefragt sein. Dem Unternehmenssektor geht es derzeit relativ gut, so dass wir selektiv durchaus noch Kurspotenzial sehen. Für weiter steigende Aktienkurse in Europa spricht auch das EZB-Kaufprogramm, das analog zur Entwicklung in den USA eine ähnliche Wirkung entfalten könnte. Ein zusätzlicher Impuls wird von der niedrigen Bewertung des Euro ausgehen. Dies sollte sich in der nächsten Berichtssaison europäischer Unternehmen bereits zeigen.

Huttel: Ich bin nicht ganz so optimistisch was die Aussichten europäischer Aktien betrifft. Die Größe und Vielfalt des Kontinents spielen Stockpickern zweifellos in die Hände. Auf der anderen Seite gibt es langfristige Trends wie beispielsweise den demografischen Faktor, die andere Märkte (USA, Asien und Afrika) attraktiver erscheinen lassen.

Fazit

Die Geldschwemme der EZB wird die Aktienmärkte weiter beflügeln. Dazu kommt das milliardenschwere Ankaufprogramm von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank. In der Summe einleuchtende Argumente für ein Investment in europäische Aktien, die nach wie vor ein Basisinvestment im Portfolio sein könnten. Auch aus Bewertungsaspekten spricht einiges für ein selektives Engagement in Europa. Europäische Titel sind im Vergleich zu amerikanischen Papieren derzeit relativ unterbewertet. Zudem gilt, dass es aktuell keine attraktiven Alternativen zu Aktien gibt. (ah)

Expertengespräch „Europa“ - Printausgabe 02/2015