Fallstrick „Hypothekenvortilgung“ & Co.

11.10.2015

Foto: © fotola70 - Fotolia.com

Insbesondere im Lager der Strukturvertriebe war es über viele Jahre hinweg einer der provisionsträchtigsten Verkaufsschlager: Die Vermittlung von Kapitallebensversicherungen für den Zweck, dass sich „König Kunde“ über diesen für ihn mutmaßlich intelligenten wie vorteilhaften Weg, den Traum von den eigenen vier Wänden erfüllen kann.

Sogar gestandenen Bankkaufleuten ist der Begriff Hypothekenvortilgung, mit Kürzel HVT, in aller Regel bis heute völlig unbekannt. Dahinter verbirgt sich nichtsdestotrotz ein zugkräftiges wie für Kunden mitunter folgenschweres Verkaufskonzept insbesondere aus den Reihen jener altbekannter freien Vertriebe, die vor allem seit den 70er Jahren mit ihrem Allfinanzkonzept um Kundschaft werben.

Verkaufsidee HVT.

Zunächst: Im wörtlichen Sinne gesehen existiert eine sogenannte Hypothekenvortilgung nicht, da eine nicht vorhandene Hypothek unmöglich vorab getilgt werden kann. Die fantasievolle Begriffskombination wird jedoch aufgrund ihrer verkaufsfördernden Wirkung gerne als Synonym zum Versicherungsdarlehen angewendet. HVT bedeutet einfach übersetzt, dass der Kunde in eine wie auch immer geartete Kapitallebensversicherung (KLV) einzahlt und diese dann zum Zeitpunkt des Immobilienerwerbs als Finanzierungsbaustein einsetzt, um hierüber die Tilgung als endfällige Zahlung zu bewerkstelligen. Demzufolge muss man über die gesamte Darlehenslaufzeit die Zinsen auf die volle Kredithöhe zahlen, da diese über die Laufzeit hinweg und anders als bei einem Tilgungs- oder Annuitätendarlehen nicht sinkt. Geschilderte Finanzierungsstrategie kann sich dabei im Einzelfall als durchaus denkbare Variante erweisen, so zum Beispiel beim Erwerb einer Immobilie als Kapitalanlage, da man in diesem Fall die im Schnitt höhere Zinsbelastung steuerlich geltend machen kann. Für den privaten Eigenbedarf stellt sie hingegen ein weit höheres Risiko dar, worauf bis heute nicht nur zahlreiche Verbraucherschützer immer wieder mahnend hinweisen. Ein gewichtiges Argument der Kritiker: Nicht nur Garantiewerte, sondern unverbindliche Überschussversprechen des LV-Anbieters fließen gleich mit in die Finanzierungskalkulation ein.

Professionelle Hilfe ist angeraten.

Nun erwirtschaften LV-Policen aus hinlänglich bekannten Gründen seit längerem immer weniger Überschüsse, so dass sich aufgrund dessen inzwischen mehrere Tausend Darlehensnehmer mit einem neuerlichen Schuldenberg konfrontiert sehen. Statt sicherem Eigenheimglück sehen sie sich gezwungen, neue Kredite aufzunehmen, die damit den ursprünglich kalkulierten Finanzierungsrahmen schlicht zu sprengen drohen.

Kurzum: Was seinerzeit für viele Kunden überzeugend

klang, offenbart sich heute als mitunter

hochexplosive Tretmine.

Da eine Patentlösung nicht in Aussicht steht, ist aus Betroffenensicht unabhängiger wie professioneller Rat dringend angeraten. Christian Kraus, Leiter Unternehmenskommunikation der Interhyp Gruppe, hierzu: „Wie ganz grundsätzlich bei einer komplexen Materie wie der Baufinanzierung lassen sich hier keine Pauschalaussagen treffen, sondern es muss im Beratungsgespräch der individuelle Fall betrachtet werden. Dabei ist es wichtig, die Struktur der Erstfinanzierungslösung genau zu analysieren und auf die veränderte Situation hin zu prüfen. Fragestellungen lauten: Hat das Objekt in der Zwischenzeit erheblich an Wert gewonnen, so dass die ‚Finanzierungslücke‘ ein Stück weit ausgeglichen wird? Besteht die Möglichkeit, das Darlehen umzuschulden? Lässt sich dann durch die niedrigen Zinsen eine entsprechende Tilgung ‚einbauen‘?“ Auch Marc-Philipp Unger, Leiter Immobilien und Finanzierung bei MLP, unterstreicht: „Mögliche Maßnahmen hängen eng von der jeweiligen Situation des Kunden ab. Denkbare Optionen könnten zum Beispiel die Nutzung von Sondertilgungsoptionen oder aber die Umstellung auf eine annuitätische Tilgung bei Zinsbindungsende sein.“

Heikle Haftungsfrage.

Vor diesem Hintergrund stellt sich aus Beratersicht nicht minder die Frage, inwieweit er gegebenenfalls mit Haftung rechnen muss. Norman Wirth, Vorstand des Bundesverband Finanzdienstleistung e. V. (AfW), hierzu: „Die Frage stellt sich auf jeden Fall. Bei Geld hört bekanntlich die Freundschaft auf, und erst recht auch eine vielleicht schon langjährige Kundenbeziehung. Jeder Vermittler muss damit rechnen, dass Kunden, denen jetzt derartiges passiert, alles hinterfragen. Dazu gehört auch, wie und vor allem mit welchen Argumenten und Versprechungen es zur der ursprünglichen Vermittlung der Baufinanzierung und der kapitalbildenden Lebensversicherung kam. Das wird in der Regel eine Einzelfallbetrachtung erforderlich machen. Vermittler, welche dem Kunden quasi garantiert haben, dass mit der ablaufenden Lebensversicherung die Finanzierung gesichert ist, werden Probleme bekommen.“ Da es erst seit Mai 2007 eine Versicherungspflicht für Berufshaftpflicht-Risiken von gewerblich tätigen Versicherungsvermittlern gibt, droht demzufolge insbesondere all jenen, denen aus Zeiten ohne Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung eine Pflichtverletzung vorgeworfen oder nachgewiesen werden kann, womöglich noch großes Ungemach.

Die Zukunft des HVT.

Wer nun glaubt, dass das werbliche Zugpferd HVT aufgrund geschilderter Problemstellung nunmehr von der Bildfläche verschwindet, sieht sich getäuscht. Stand September 2015 lassen sich im Internet weiterhin Werbeaussagen finden, die das System offenkundig bewerben. Gefragt nach der Rolle, die das Konstrukt „Baufinanzierung mittels Lebensversicherung“ in neuerer Zeit spielt, erläutert Kraus: „Wir bei der Interhyp Gruppe haben die endfällige Tilgung mittels Tilgungsersatzprodukt schon immer differenziert gesehen. Zudem hat die Kapitalanlagefinanzierung, die sich traditionell dieses Konstrukts bediente, längere Zeit nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Aufgrund des gegenwärtigen Zinsumfelds sehen wir jedoch wieder eine steigende Nachfrage von Kapitalanlegern.“ Unger konstatiert aus Sicht des Wieslocher Vertriebs: „Endfällige Baufinanzierungen spielen bei MLP im Neugeschäft nur eine untergeordnete Rolle. In den vergangenen zwei Jahren hat etwa jeder zehnte Finanzierungskunde endfällig finanziert. Insbesondere in Verbindung mit dem Erwerb fremdgenutzter Immobilien wird diese Tilgungsvariante von Kunden immer wieder gewünscht. In diesen Fällen gilt es, wie sonst auch, eng am jeweiligen Bedarf verschiedene Lösungen abzuwägen. Allerdings hat sich die Welt der Kapitalanlagefinanzierung deutlich verändert: Sowohl ein relevanter Eigenkapitaleinsatz als auch eine Basistilgung sind zunehmend Usus geworden und werden von vielen Banken erwartet bzw. gerne gesehen. Ob zusätzlich ein Tilgungsersatzprodukt sinnvoll sein könnte, ist nur im konkreten Einzelfall zu entscheiden und muss daher im Beratungsgespräch mit all seinen Vor- und Nachteilen erörtert werden.“

Zu guter Letzt.

Da sich von Produktgeberseite aus zwischenzeitlich der Trend eindeutig hin zu völlig garantiefreien LV-Produkten bewegt, bleibt nicht weniger spannend zu beobachten, inwieweit künftig eine KLV als Grundlage für ein endfälliges Darlehen, sprich langfristig verlässliche Finanzierungsbasis, überhaupt noch Akzeptanz findet. _(sf)

_

finanzwelt 05/2015