Einsturzgefahr

15.06.2015

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Der britische Premierminister David Cameron hat bei den jüngsten Parlamentswahlen einen unerwarteten Sieg eingefahren. Der wichtigste Trumpf seiner Wahlkampagne war der wirtschaftliche Erfolg der letzten Jahre mit beeindruckenden Wachstumszahlen und einer niedrigen Arbeitslosigkeit. Cameron sonnte sich im Licht großer Aussichten wie etwa der Erwartung, „Deutschland bis 2030 zu überholen".

Unter der glänzenden Oberfläche lauern ernstzunehmende Gefahren, es könnte sogar ziemlich heftig schiefgehen in UK, und das nicht nur wegen der ungelösten politischen Probleme. Wenn ausgerechnet Christine Lagarde, die ehemalige französische Finanzministerin und heutige IWF-Chefin, die Wirtschaftspolitik der konservativ-liberalen Regierung von David Cameron in höchsten Tönen lobt, dann ist etwas schiefgegangen. Schließlich steht Frau Lagarde ganz auf französische Tradition, die auf eine Politik der aktiven Wirtschaftssteuerung setzt und die Entwicklung der Schulden als nachrangig gegenüber Wachstum und hoher Beschäftigung ansieht. Diese Politik hat erfahrungsgemäß nur zeitlich begrenzten Erfolg, irgendwann erdrücken die auflaufenden Schulden das Wachstum. Und genau das scheint sich auch wieder in UK zu bestätigen.

Es läuft nicht mehr ganz so rund auf den Inseln.

Die jüngsten Wachstumszahlen lieferten nach britischen Maßstäben eine Enttäuschung, lediglich 2,4 % zum Vorjahresquartal lagen unter den Erwartungen (Konsens lautete 2,6 %) und auch unter dem Vorquartal mit 3 %. Das werteten die Wähler offenbar aber nur als kleinen Ausrutscher in einer Reihe von guten Zahlen. Und auch aus deutscher Sicht sind es immer noch beachtlich gute Werte. Allerdings bleiben die Schwächen klar erkennbar: Das Wachstum stützt sich hauptsächlich auf den privaten Konsum, finanziert auf Pump. Die Verwechslung von Wachstum mit wirtschaftlicher Stärke ist eine der gefährlichsten Fallen in der Wirtschaftspolitik. Denn das Wachstum wird von der Nachfrage her bestimmt und auch daran gemessen: Grundlage ist die Summe aus den Ausgaben der privaten Haushalte für ihren Lebensunterhalt (Konsum), den Investitionen der Unternehmen und des Staates. Dabei ist völlig unerheblich, ob diese Ausgabenzuwächse aus selbst erarbeitetem Einkommen oder aus Krediten des Auslands finanziert werden. Wachstum heißt nur, dass die Summe gestiegen ist. Das Wie und Warum ist zunächst irrelevant und wird gesondert analysiert und betrachtet.

Wachstum mit wirtschaftlicher Stärke ist nicht ungefährlich

Die Gefahren dieser Herangehensweise zeigt Spaniens Weg in die Krise besonders eindringlich auf. Spanien erlebte einen markanten Rückgang der Zinsen im Zuge der Euroeinführung, der die Konjunktur kräftig anspringen ließ und für schöne Wachstumsraten sorgte. Der Wachstumsspurt sorgte für das Interesse ausländischer Investoren und kräftige Zuflüsse aus dem Ausland, mit denen weitere Nachfrage der privaten Haushalte nach laufendem Konsum und vor allem nach Immobilien finanziert wurde. Der Haken an diesem Zirkel aus Auslandsgeld und Wachstum: Die ausländischen Anleger wollen irgendwann selbst Geld sehen in Form von Zinsen und Dividenden. Das lässt sich aber nicht mit Hilfe eines Immobilienbooms bewerkstelligen. Sobald die ausländischen Anleger ihren Irrtum bemerken, werden der Zustrom und damit die Nachfrage schwach, das Kartenhaus fällt in sich zusammen.

Es lohnt, die Geschichte im Hinterkopf zu behalten, wenn man die britischen Zahlen in den Jahren 2012 bis 2015 betrachtet:

(Deutschland zum Vergleich unten in Klammern, für 2015 jeweils die IWF-Prognosen): Im Durchschnitt wurde ein Wachstum von 1,975 % erreicht (1,25 %), der Saldo des Staats belief sich auf -5,28 % (+0,18 %, jeweils einschließlich der Sozialsysteme), der Saldo der Leistungsbilanz, d. h. die Nettoneuverschuldung im Ausland auf -3,9 % (+7,1 %, alle jeweils bezogen auf das reale BIP). Das Wachstum der Briten ist zwar schön, aber offenbar auch teuer: Sowohl die Staats- als auch die Auslandsschulden wachsen schneller als das Einkommen: Die von Christine Lagarde gelobte Politik hat (preisbereinigt!) für je 1 Pfund Einkommenszuwachs 2,67 Pfund zusätzliche Staatsschulden eingefahren, von denen 1,99 Pfund im Ausland aufgenommen wurden.

Uns fällt es schwer, da noch ein gutes Geschäft zu erkennen, zumal die Entwicklung der Investmentposition (Saldo aus Erträgen und Kapitaldienst gegenüber dem Ausland) zeigt, dass UK seit den 90ern „auf Verschleiß gefahren" wird: Aus dem einstigen Nettogläubiger wurde schon in den 90ern ein Netto-Schuldner, und das nicht zufällig. Der Kahlschlag in der britischen Industrie sorgte dafür, dass die wichtigsten UK-Autobauer heute BMW, Mitsubishi oder Toyota heißen. Dazu kommen die Inder, die die verbliebenen UK-Marken gekauft haben und die Stahlindustrie gleich dazu.

UK lebt mittlerweile schon zu mehr als einem Drittel vom Bankgeschäft der Londoner City.

Daneben gibt es noch ein paar internationale Pharma- und Rüstungsfirmen, dazu das seit 10 Jahren schrumpfende Ölgeschäft und natürlich die heimische Bauwirtschaft. Damit ist kaum ein Umschwung für die immer tiefer ins Defizit driftende Handelsbilanz zu schaffen, auch wenn die Verantwortlichen schon seit Jahren von einem „Rebalancing" zugunsten einer exportorientierten Industrie reden. Indes zeigte auch die jüngste Handelsbilanz, dass bei den Gütern ein Defizit von rund 10 Mrd. Pfund/Monat nur zu etwa 70 % durch Überschüsse bei den Dienstleistungen (vor allem der Banken) ausgeglichen werden. Und selbst dieser Beitrag der Banken steht auf der Kippe, wenn UK die EU verlässt. Damit würde UK auf den EU-Märkten zum „Drittstaat", deren Banken und Investmenthäuser sich besonderen Regulierungen unterwerfen müssten – oder aber in die EU umsiedeln.

Mittlerweile müssen die Briten fühlbar für ihre Auslandsschulden zahlen. Die Einkommensbilanz (Saldo aus Erträgen und Kapitaldienst gegenüber dem Ausland) ist ebenfalls längst ins Minus gedreht: Die britische Wirtschaft als Ganzes muss inzwischen sogar ihren Kapitaldienst auf Pump leisten. So sah denn auch BBC-Kommentator Robert Peston auch schon um die Jahreswende „… an old fashioned sterling crisis …" aufscheinen und meinte damit die bleiernen 70er Jahre, als UK noch regelmäßig IWF-Kunde war und mit Hilfskrediten über Wasser gehalten werden musste – bis Margaret Thatcher für eine neue Zeit sorgte. (mk)

Printausgabe 03/2015