Draghi: Ich habe fertig …

05.06.2016

Rolf Ehlhardt, Vermögensverwalter, I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH

Der EZB-Chef und sein Gremium haben die Zinsen noch weiter gesenkt. Der Strafzins für die Banken wurde auf - 0,4 % erhöht, der Leitzins auf Null gesetzt. Kreditinstitute, die keine, weil eventuell problematische Kredite vergeben, müssen dafür bezahlen.

Und bist Du nicht willig, dann brauch ich Gewalt…. Staaten und jetzt auch die Industrie werden mit noch höheren Voluminas finanziert. Retten wir ab sofort auch die Strauchelnden aus der Industrie? Weil 60 Milliarden im Monat nicht genug sind, hat Draghi auf 80 Milliarden erhöht. Wohlgemerkt: Das ist Geld, das die EZB nicht hat. Der Schuldenberg wird also weiter erhöht. Für eine Strategie, die in Japan seit 1990 erfolglos betrieben wird. Aber auch weder in den USA noch in Europa hat sich die Konjunkturdynamik seit Beginn der Gelddruckorgie nach 2007 wesentlich beschleunigt. War das jetzt schon ein Akt der Verzweiflung? Sind wir schon in der Sackgasse? Mark Twain formuliert das so: Als wir das Ziel aus den Augen verloren hatten, haben wir einfach den Einsatz erhöht. Sie rechtfertigen sich mit der „Bekämpfung der Deflation“. Und das bei einem Wachstum in den USA von knapp unter 3 % und in Europa von 1,6 %. Oder scheitert ihr Versuch, die ausgeuferten Schulden übersteigende Inflation abzubauen (rechnerisch)? Aber was können die Notenbanken tun, wenn die Inflation über 2 % steigt? Zinsen erhöhen? Unmöglich! Der Punkt von „no return“ ist überschritten. Die Politiker der EU sind froh über die Geldschwemme und die Null-Zins-Politik, weil sie keine unangenehmen Reformen durchführen müssen. Aber die niederen Zinsen sind nicht die Lösung sondern die Ursache vieler Probleme. Die Volkswirte schimpfen, die einen Banken spekulieren in verantwortungslosem Umfang, die anderen geraten in Ängste. Besonders die Geschäftsmodelle der Sparkassen und Volksbanken werden massiv unterlaufen. Pensionsfonds und Lebensversicherungen aber auch Stiftungen werden ihrer Sinnhaftigkeit beraubt oder müssen die Risiken erhöhen. Für keinen Arbeitnehmer macht es ab sofort Sinn, für das Rentenalter in bisheriger Form vorzusorgen, obwohl die scheinheiligen Politiker vor Altersarmut warnen (die sie selbst mit verursachen). Es macht überhaupt keinen Sinn mehr zu sparen. Aber wenn dann Sparer keine Staatsanleihen mehr kaufen, muss die EZB noch mehr Staatenfinanzierung betreiben. Dabei wird sie 2017 bereits 34 % der Bundesanleihen besitzen. Die FED liegt bereits bei 35 % der Treasuries, die BOJ bei 25 % japanischer Staatspapiere. Folge: Das grenzenlose Vertrauen in die Notenbankpolitik weicht der Skepsis über die Aufrechterhaltung einer erfolglosen Strategie. Die EZB will die Sparer mit Minuszinsen zwingen, ihre Notfallreserve zu konsumieren. Aber was macht Mario Draghi, wenn die Sparer ihr Geld nicht sinnlos ausgeben, sondern abheben und in ein Schließfach legen. Laut einer Umfrage, veranlasst von der Fondsgruppe Flossbach von Storch, wären rund 50 % dazu bereit, falls Minuszinsen eingeführt werden. Um dem vorzubeugen ist ja schon die Bargeldbegrenzung in Planung. Der Bankenrun muss vermieden werden. Oder aber die Sparer kaufen Gold und Silber in physischer Form oder führen sogar ihre Schulden (z. B. auf Immobilien) zurück? Noch mehr Geld drucken? Steuersenkungen? Sollen Staaten, die schon bis über beide Ohren verschuldet sind, sich noch höhere Schuldenberge aufbauen. Helikoptergeld? Das ist wie einen Geisterfahrer überholen. Hilflosigkeit pur! Draghi & Co. haben weitestgehend ihr Pulver verschossen. Die Zinsen müssen jedoch überlebensnotwendig nieder bleiben. Aber: Wenn das unheilvolle Konzept versagt, kollabiert das gesamte System. Realisten müssten die Revolution ausrufen. Kritiker, wie unter anderen Prof. Werner Sinn oder Marc Faber werden schnell als Verschwörungstheoretiker betitelt. Andere sprechen von Chaos. Der Münchner Rück-Chef giftet über die EZB und hortet Bargeld und Gold in den eigenen Safes. Jens Weidmann kritisiert, aber nur so leise, dass es ihm nicht den Arbeitsplatz kostet. Politiker sind mit sich selbst beschäftigt, mit Wählerumfragen, Böhmermann- bzw. Boateng-Zitaten oder mit der Flüchtlingsproblematik. Und oft hat man das Gefühl, dass sie die Zusammenhänge und vor allem die Auswirkungen der Notenbankpolitik eh nicht so recht verstehen (wollen). Ich verstehe die Notenbankbeschlüsse auch nicht mehr. So hat die FED im Februar zwar die Fed Funds Rate gesenkt, aber die Wirtschaft stabiler als im Januar eingeschätzt. Jetzt droht sie mit Zinserhöhung, obwohl die Unternehmensgewinne seit 2015 zurückgehen. Oder tut sie das, um bei weiterer Verschlechterung der Daten die Zinsen wieder senken zu können (und als Maßnahme verkaufen)? Immer mehr erscheinen mir Notenbänker wie Heroinsüchtige, die nicht mehr ab und zu einen Joint rauchen, sondern die regelmäßig eine Spritze benötigen, und zwar in immer höheren Dosen und in immer kürzeren Abständen. Wer das Ende nicht ahnt, sollte seinen Arzt konsultieren. Viele Staaten rutschen immer mehr in den Schuldenschlamassel. Mit ihnen die Banken. Die Deutsche Bank fühlte sich genötigt darauf hinzuweisen, dass sie ihre Zinsen zahlen kann! Italienische Banken kämpfen mit über 200 Mrd. ausfallgefährdeten Krediten. Und die Kurse der Bankaktien weltweit sind auffallend nahe an Tiefstkursen. Das kann nur bedeuten: Das Finanzsystem ist fragiler, als man uns wissen lässt. Hoffentlich sind die Verantwortlichen nicht Nachkommen der Musiker auf der Titanic. Das Vertrauen in die Notenbankpolitik wird schneller fallen, als die Wählergunst für die eine oder andere Partei. Die Flüchtlingswelle verursacht immense Kosten. Jetzt gehen seriöse Analysten auch noch von einer weltweiten Wirtschaftsberuhigung aus. Dann würden die Missstände noch deutlicher sichtbar. Die volatilen Börsenreaktionen in beide Richtungen nach Bekanntgabe von Maßnahmen zeigen die große Verunsicherung. Pauschal empfehle ich eine individuell ausgerichtete Diversifikation in Liquidität und Sachwerte wie Immobilien, Qualitätsaktien und Edelmetalle. Aktien von Banken würde ich weiter meiden. Der Anleger muss durch die „Bail-in-Gesetze“ die Bonität seiner Bank eingehend hinterfragen. Er muss sich die Risiken seiner Kapitalanlagen bewusst machen bzw. überprüfen lassen. Unabhängige Berater sind gefragt. Auf weisungsgebundene Bankberater sowie auf Draghi und seine Notenbänker sollte man sich jedenfalls nicht verlassen. Aber: Es ist letztendlich nicht wichtig, ob ich die Überschwemmung vorhergesagt, sondern ob ich ein Boot gebaut habe.

Von: Rolf Ehlhardt, Vermögensverwalter, I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH