Die unerträglichen Wartezeiten der Währungshändler
14.06.2016
John J. Hardy
Die Zeit bis zum Volksreferendum in Großbritannien am 23. Juni tickt. Und dieses Ticken ist mittlerweile ein ohrenbetäubender Trommelschlag, nachdem die letzte Umfrageserie ein Umschwenken zum EU-Ausstieg verzeichnete - am dramatischsten zu sehen in der Lücke von 10 Prozentpunkten zwischen Verbleib und Ausstieg, die in den ORB-Umfrageergebnissen vom Freitag klaffte.
Der Markt für den Handel mit der britischen Währung ist im Vorfeld dieses Ereignisses absolut zum Erliegen gekommen, und die Liquidität für Optionen am Optionsmarkt, die erst nach der Abstimmung fällig werden, hat sich praktisch in Wohlgefallen aufgelöst. Die implizierte Optionsvolatilität für die wenigen Optionen, die überhaupt noch gehandelt werden, ist auf ein Niveau geschnellt, das es so noch nicht einmal in der tiefsten Weltwirtschaftskrise gab. Und abgesehen von den Währungen schlägt die jüngste Verschärfung der Brexit-Ängste nicht nur an den Devisenmärkten und den britischen Inlandsanlagemärkten hohe Wellen, sondern hat nach dieser Freitagsumfrage auch einen immer stärker werdenden Ansteckungseffekt über sämtliche globalen Anlagemärkte hinweg ausgelöst. Eine Prognose der potenziellen Auswirkungen aus einem Brexit-Szenario ist völlig unmöglich, aber die Volatilität wird sich zwangsläufig sehr schnell beruhigen, wenn der Markt sich auf die neuen Gegebenheiten einstellt, wobei die Bank von England und vielleicht sogar die Europäische Zentralbank helfend einspringen dürften, falls die Märkte völlig aus den Fugen geraten. Die längerfristigen Probleme für das britische Pfund Sterling bleiben bestehen, insbesondere das weltweit größte strukturelle Defizit in einem Industrieland, das bei mehr als 5 % des BIP liegt. Eine Erholung des Pfunds für den Fall des Verbleibs könnte sich also nur als recht kurzlebig herausstellen, besonders wenn die jüngsten schwachen US-Daten auf eine schnurstracks bevorstehende Rezession in den USA hindeuten. Eine Rezession in den USA würde sich unvermeidlich in schwachen Anlagemärkten niederschlagen, und schwache Anlagemärkte bestrafen Kontokorrent-Sünder, wenn die Investoren ihre Finanzmittel zurückholen, so dass Länder mit Defiziten ohne Finanzierung dastehen. Das bringt uns zur nächsten und sogar noch unerträglicheren Wartezeit, die die Märkte sofort heimsuchen wird, sobald das Heulen und Zähneklappern angesichts des britischen Referendums abgeklungen ist: die viereinhalb Monate bis zur US-Präsidentschaftswahl am 8. November. Solange die Umfragen auch nur den Hauch einer Chance erkennen lassen, dass ein Donald J. Trump der nächste Präsident der USA werden könnte, verharren die Weltmärkte in einem unerträglichen Wartezustand. Warum? Eine Präsidentschaft von Clinton würde bloß den Status-quo-Stillstand aus den Jahren unter Obama verlängern. Aber eine Präsidentschaft von Trump? Mal abgesehen von seiner unberechenbaren, umstrittenen Persönlichkeit, wäre Trump etwas ganz Neues. Mit einer Mehrheit im Kongress wäre Trump der erste Präsident seit Reagan, der die finanzpolitische Bühne aus den Händen einer US-Notenbank reißen würde, die ihre Glaubwürdigkeit schon längst überstrapaziert und verloren hat. Und es gibt noch mehr unerträgliche Wartezeiten, die jede Andeutung längerfristiger Tendenzen bei den Devisen im Keim ersticken könnten, zumindest bis nach der US-Präsidentschaftswahl. Wann wird China endlich die Augen öffnen und die Realität der Währung erkennen? Was bedeutet ein möglicher Brexit für Europa und die nächsten großen Wahlen in Europa? Und kurzfristiger gesehen: Wo liegt der Schmerzpunkt in der Stärke des japanischen Yen, bei dem die japanische Zentralbank und/oder die Regierung Abe ihren nächsten großen Schritt tun? Es gilt allgemein als unbestritten, dass die BoJ aus einer Erweiterung des bestehenden QE-Programms nichts gewinnen kann und dass nur ein gemeinsamer Wirtschaftsruck durch die Finanzpolitik und die japanische Zentralbank das japanische BIP nominell in Schwung bringen kann. Der einzige Trend, der hier klar und deutlich durchschimmert: Die finanzpolitischen Schachzüge der Zentralbanken werden weiterhin ins Leere zielen, wenn sie ihren Einfluss auf den Markt verlieren. Die Frage nach fast 10 Jahren fruchtloser Zentralbankpolitik löst nur unerträgliche Unsicherheit inmitten der unerträglichen Wartezeiten aus: Wie geht es weiter?
von: John J. Hardy, Saxo Bank