„Die Gesundheit der Zukunft“

12.03.2020

Foto: Prof. Dr. Christian Karagiannidis, Co-Autor des Buches „Die Gesundheit der Zukunft“ © Prof. Dr. Christian Karagiannidis, Hirzel Verlag

Das deutsche Gesundheitssystem steht vor enormen Herausforderungen: Überbordende Kosten, Fachkräftemangel, stetig steigende Krankenkassenbeiträge und eine Gefährdung der Versorgungssicherheit. In ihrem Buch „Die Gesundheit der Zukunft. Wie wir das System wieder fit machen“ analysieren die Autoren Prof. Dr. med. Christian Karagiannidis, Prof. Dr. Boris Augurzky und Prof. Dr. Mark Dominik Alscher die zentralen Herausforderungen des Systems und präsentieren konkrete, umsetzbare Lösungen für ein bezahlbares und zukunftsfähiges Gesundheitssystem. Im Interview spricht Prof. Dr. Christian Karagiannidis über die drängendsten Probleme und die effektivsten Lösungsmöglichkeiten.

finanzwelt: Herr Prof. Dr. Christian Karagiannidis, was hat Sie und Ihre Co-Autoren zu dem Buch „Die Gesundheit der Zukunft“ inspiriert? Welche Zielgruppen sprechen Sie an?

Christian Karagiannidis» Unsere Gesellschaft steht vor gewaltigen Herausforderungen. Demographischer Wandel, eine nie für möglich gehaltene geopolitische Lage, aber auch eine immer trägere Wirtschaft und sehr stark steigende Sozialabgaben mit absehbar sehr hohen Lohnnebenkosten. Trotz der hohen Ausgaben für Gesundheit, herrschen im System eine zunehmende Unzufriedenheit und heterogene Qualität. Wir halten grundlegende Gesundheitsreformen gerade unter diesen Rahmenbedingungen für unabdingbar und sehen die Chance das System nachhaltiger, effizienter und gleichzeitig qualitativ höherwertig aufzustellen. Und uns bleibt nur noch wenig Zeit. Dazu sprechen wir Bevölkerung wie Politik gleichermaßen an.

finanzwelt: Was sind aktuell die drängendsten Herausforderungen des deutschen Gesundheitssystems?

Karagiannidis» Wir müssen die individuelle Arbeitslast gerade in dem so wichtigen Basisbereich der Medizin reduzieren, um mehr Zeit für die Patienten zu haben, gleichzeitig aber die Kostenexplosion in den Begriff bekommen, sonst ist die Wirtschaft durch die hohen Sozialabgaben absehbar nicht mehr wettbewerbsfähig. Ganz zu schweigen davon, dass das Geld an anderer Stelle fehlt. Vor allem müssen wir uns aber wieder auf eine qualitativ hochwertige medizinische Grundversorgung konzentrieren und die extreme Mengenausweitung in den Griff bekommen. Der demographische Wandel wird auch das Personal, vor allem Pflegepersonal und Hausärzte betreffen, sodass wir hier schnell Lösungen, wie z.B. KI in der Medizin oder alternative Notfallversorgungs-möglichkeiten vorantreiben müssen.

finanzwelt: Der Fokus des Buches liegt auf „Gamechangern“, also gut umsetzbaren Lösungen für ein bezahlbares und zukunftsfähiges Gesundheitssystem. Können Sie einige herausragende Beispiele nennen?

Karagiannidis» Das deutsche Gesundheitswesen hat sehr viel ungehobenes Potential. Prävention ist bisher allenfalls mäßig wirksam und muss zukünftig ökonomisch gekoppelt werden, wenn sie eine echte Wirksamkeit entfalten soll. Pflege muss endlich eigenverantwortlich und fallabschließend behandeln dürfen, Arzneimittelpreise brauchen einen vernünftigen Rahmen, mit dem alle Seiten leben können, die Krankenversicherung eine echte Selbstbeteiligung, die elektronische Patientenakte muss der Dreh- und Angelpunkt werden, Hausärzte zu echten Primärärzten und zum Wächter des Systems werden, Notfallleitstellen ein zentrales Steuerungselement,  und, und, und. Die Liste des ungehobenen Potentials ist sehr lang. Und das ist unsere große Chance.

finanzwelt: Die steigenden Beiträge zur Krankenversicherung belasten sowohl Arbeitnehmer als auch Unternehmen. Welche Reformansätze könnten diese Kosten langfristig stabilisieren?          

Karagiannidis» Ein wesentlicher Schlüssel liegt in der Reduktion der unglaublich hohen Zahl von Arzt/Patientenkontakten. Wir sind im ambulanten Bereich alleine bei 1 Mrd. pro Jahr! Jeder von uns geht damit im Schnitt 12x im Jahr alleine ambulant zum Arzt. Mindestens doppelt so häufig wie international üblich. Eine Selbstbeteiligung, wir schlagen 1% des beitragspflichtigen Einkommens vor, würde dies Zahl massiv und vor allem schnell senken können. Damit entsteht wieder mehr Zeit für kränkere Patienten, die Arbeitslast sinkt, die Qualität steigt und Kosten sinken. Das, was wir alle wollen. Wir müssen aber auch so ehrlich sein, dass wir um eine Zentralisierung von Krankenhausstandorten nicht herumkommen. Weniger Kliniken, dafür personell und technisch besser ausgestattet. Auch eine zügige Notfallreform mit einer Steuerung der Patienten vor dem Krankenhaus zum best möglichen Angebot ist ein nicht unerheblicher Hebel.