Der Patient ist genesen

04.02.2014

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Vor einem Jahr stand Europa kurz vor dem Abgrund. Die Schuldenkrise ist zwar bis heute nicht gelöst, aber man könnte meinen, dass wir das Schlimmste hinter uns gelassen haben. Die Erholung der Weltwirtschaft hilft vielen auf dem europäischen Kontinent ansässigen Unternehmen. Aktives Management ist das Gebot der Stunde, zumal viele Börsen im vergangenen Jahr sehr gut gelaufen sind.

Guillaume Rambourg, Ex-Starmanager der Gartmore Group, brachte es jüngst auf den Punkt: „Europäische Aktien bieten derzeit die besten Chancen auf Gewinne seit fünf Jahren", prognostiziert er und führt dies in erster Linie auf das Versprechen der Europäischen Zentralbank zurück, bei einer Verschärfung der Lage Staatsanleihen zu kaufen. Diese Zusage hat Sorgen der Investoren vor einem Auseinanderbrechen des Euroraums zerstreut und mit dazu beigetragen, den Blick vermehrt auf die Fundamentaldaten der Unternehmen zu richten. Auch EU-Währungskommissar Olli Rehn verkündete Ende 2013, dass die europäische Wirtschaft einen Wendepunkt erreicht habe. Es sei aber noch zu früh, einen Erfolg zu verkünden, so Rehn. Insbesondere die Arbeitslosigkeit bleibe auf einem nicht hinnehmbaren Niveau.

Chancen überwiegen Risiken. Die Optimisten sind in der Überzahl und europäische Titel sind fast schon alternativlos geworden. Spätestens im vergangenen Sommer setzten europäische Aktien und vor allem europäische Value-Investments zu einer kräftigen Rallye an. Diese Aufwärtsbewegung ist mittlerweile so ausgeprägt, dass einige Marktteilnehmer bereits eine Übertreibung befürchten. Gibt es überhaupt noch günstig bewertete Aktien in Euroland? Werden die europäischen Aktienmärkte nach zwei Jahren Aufwärtsbewegung trotz fehlendem Wirtschaftswachstum weiter nach oben klettern? „Die starke Performance des europäischen Aktienmarktes geht auf größeres Anlegervertrauen und die damit verbundenen Mittelzuflüsse zurück. Das passt jedoch nicht zur schwachen Entwicklung der Unternehmensgewinne. Die Marktperformance basiert hauptsächlich auf einer optimistischeren Neubewertung der Gewinne im Laufe der vergangenen fünf Jahre", sagt Franz Weis, Leiter europäische Aktien bei Comgest. Auch Uwe Zöllner, Head of Pan-European Equity der Franklin European Equity Group, zeigt sich grundsätzlich optimistisch, was die Chancen auf den europäischen Aktienmärkten angeht. „Es bestehen nach wie vor Risiken. Doch für den Moment sind wir der Ansicht, dass die potenziellen Vorteile eines Europas am Wendepunkt, das günstige Bewertungen bietet, die Gefahren bei weitem wettmachen." Beide sind sich einig, dass Stock-Picking in diesem Jahr kriegsentscheidend ist.

Laut Lipper-Datenbank gab es Ende letzten Jahres 414 Europa Aktienfonds mit Vertriebszulassung im deutschsprachigen Raum sowie einem langfristigen Track Record von mindestens fünf Jahren. Der Comgest Growth Europa mit einem Fondsvolumen von 1,4 Mrd. Euro überzeugt mit einer 5-Jahres-Performance von aktuell 106 %, lässt den Vergleichsindex MSCI Europe Growth hinter sich und gehört zu den herausragenden europäischen Aktienfonds. Fondsmanager Weis verzichtet gänzlich auf Banken und Versicherungen, was er auf deren intransparenten Geschäftsmodellen zurückführt, die keine soliden Prognosen für das Gewinnwachstum auf längere Sicht geben könnten. „Insbesondere kurzfristig sind die Risiken zu groß", ergänzt Weis. John Bennett, Director Europäische Aktien bei Henderson Global Investors, ist in diesem Punkt nicht ganz so ablehnend. Ende 2012 sei ein vergleichsweise guter Einstiegszeitpunkt in Finanztitel gewesen, und auch aktuell könnten Investoren punktuell und zaghaft nach entsprechenden Werten Ausschau halten. Für Bennett sind aber Pharma-, Automobil- und Technologietitel spannender und aussichtsreicher.

Die Absatzrenner der Europafonds. Zum Stichtag Ende November 2013 machten Unternehmen aus dem Finanzdienstleistungssektor rund ein Viertel im Portfolio des 1,5 Milliarden schweren Henderson Gartmore Cont Euro aus. Auf Ein-Jahressicht schlägt der Henderson Fonds den Wettbewerber aus dem Hause Comgest, hat aber längerfristig das Nachsehen. Der Franklin European Growth, ein Dickschiff mit 2,5 Mrd. Euro, ist ein weiterer heißer Kandidat bei den Absatzrennern unter den Europa-Aktienfonds. Von Morningstar mit 5 Sternen bewertet, schlägt er sowohl kurz- als auch langfristig den Vergleichsindex MSCI Europe. Zur ersten Garde aussichtsreicher Europafonds gehört zudem der Allianz Wachstum Europa unter dem Fondsmanagement von Thorsten Winkelmann. Konsumgüter, Technologie und Industriewerte kommen auf rund 60 % in seiner Portfolioallokation.

Peripheriemärkte kein Tabu. Der Deutsche Aktienindex (DAX) überzeugte mit seiner Performance im vergangenen Jahr. 25 % ging es mit dem Börsenbarometer in die Höhe. Auch der europäische EURO STOXX 50 erklomm Stufe um Stufe, hat jedoch gegenüber dem deutschen Leitindex mittelfristig noch deutliches Nachholpotenzial. Neben den Kernmärkten Deutschland, Frankreich und Großbritannien könnte die Hoffnung auf der Peripherie ruhen. Spanien will keine Finanzhilfen mehr, auch Portugal will in Kürze ohne neue Hilfen an den Kapitalmarkt zurückkehren. Anfang 2014 hatte Portugal erstmals seit Monaten Staatsanleihen ausgegeben und damit über 3 Mrd. Euro eingenommen. Dass die südlichen Mittelmeeranrainer kein grundsätzlich grünes Licht erhalten, dafür gibt es triftige Gründe. Für die Krisenländer wie Griechenland und Spanien wird dieses Jahr mit einer Arbeitslosenquote von jeweils rund 26 % (!) gerechnet. Circa 10 % machen die Peripheriestaaten in den Portfolien der erwähnten Fonds aus.

Europa kurz und bündig

• Vorteilhafte Bewertung europäischerTitel imVergleich zu US-Aktien

• Internationalität der Unternehmen

• Stock-Picking-Markt (Qualität der aufgenommenen Aktien im Vordergrund)

• Deutschland alsWachstumslokomotive

• Gefahr: Schwelende Eurokrise

Fazit

Wohin fährt der europäische Zug? Europa steht für Vielfalt; auch für eine Vielfalt der Chancen. Damit der Euroraum in der Spur bleibt, muss unbedingt das Problem der großen internen Ungleichgewichte in Angriff genommen werden. Das extreme Ungleichgewicht zwischen Nord- und Südeuropa erschwert den Genesungsprozess. Anlageberater sollten ihren Kunden raten, nicht wahllos in den Markt hineinzugehen, sondern Produkte bester Qualität empfehlen. Hier ist Stock-Picking entscheidend. Letztlich besteht die Krise weiter, doch Optimismus liegt inder Luft.

(Alexander Heftrich)

Europa - Printausgabe 01/2014