Das lange Warten um den „Deckel“

04.06.2014

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Die Lebensversicherer kämpfen zurzeit an vielen Fronten. Wie sollen Kunden an den Bewertungsreserven beteiligt werden? Verdient der Vertrieb zu viel? Antworten will jetzt die Bundesregierung geben.

Während alle Beteiligten gespannt auf Ergebnisse aus Berlin warten, tun sich unerwartete Gräben auf. Dabei könnte am Ende eine Lösung stehen, mit der Versicherer wie Vermittler entspannt umgehen dürften.

In diesen Monaten für einen Lebensversicherer verantwortlich zu sein, ist wahrlich ein harter Job. Während einerseits Bewertungsreserven in Milliardenhöhe an kündigende Kunden ausgeschüttet werden müssen, müssen die Unternehmen unbedingt ihre Kosten senken. Immerhin hat sich jetzt die Bundesregierung mit dem Thema beschäftigt.

Viel war im Vorfeld diskutiert worden, Kaffeesatzleserei war en vogue. Werden am Ende 20 bis 25 Promille Abschlussprovision herauskommen, zuzüglich einer 2 %igen Bestandsprovision auf den Jahresbeitrag? Und eine Stornohaftung von fünf Jahren? Oder vielleicht doch anfangs mehr Geld für die Vertragsunterschrift – bei einer Provisionshaftungszeit von 10 Jahren? Oliver Pradetto jedenfalls, Geschäftsführer bei blau direkt, hielt die vergangenen Monate für einen unerträglichen Zustand. Und war bereits überzeugt: „Dass die Deckelung sicher kommen wird, hat bislang kaum jemand realisieren können. Man darf nicht vergessen, dass die Versicherer sich sehr wohl bewusst sind, dass sie ihren Geschäftspartnern in den Rücken fallen, um sich einseitig einen Vorteil zu verschaffen." Von den eigenen Interessenvertretungen zeigt sich Pradetto enttäuscht: „Auch die Maklerverbände leben ein Stück weit davon, dass sie ihren Mitgliedern vormachen, sie hätten irgendeinen Einfluss in Berlin. Deswegen wird ein bisschen so getan, als sei noch nichts entschieden. Je später das rauskommt, desto mehr Überraschung lässt sich vortäuschen." So könnten die Versicherer ihre eigene Rolle kaschieren und die Schuld auf verbraucherschutzhörige Politiker schieben. Vor allem aber wiege das die Vermittler in falscher Sicherheit und verhindere, dass sie sich frühzeitig darauf vorbereiten könnten.

Doch nun ist alles anders gekommen, als Pradetto und mit ihm wohl auch die große Mehrheit der Brancheninsider erwartet hatten. Mitte Mai hatte Dr. Walter Botermann, Vorstandschef des ALTE LEIPZIGER-HALLESCHE-Konzerns, bereits erklärt: „Ob es in der Lebensversicherung überhaupt zu der derzeit diskutierten Provisionsdeckelung kommen wird, ist noch völlig offen." Sicher sei lediglich, dass das Bundesfinanzministerium das Institut für Transparenz (ITA) um eine Begutachtung und Stellungnahme gebeten habe. Es sei durchaus denkbar, dass in dieser Hinsicht alles beim Alten bliebe und Finanzminister Schäuble sich mit einer größeren Transparenz unter dem Stichwort Reduction in Yield (RiY) zufrieden gebe. Und Norbert Porazik, Geschäftsführer bei Fonds Finanz, sieht es so: „LV- und PKV-Vermittler suchen bereits seit Jahren Ergänzungen zu ihrem bestehenden Produktportfolio. Die Berichterstattung über den LV-Deckel, der vielleicht kommen sollte, verstärkt diesen Trend. Daher erweitern wir für unsere Vermittler ständig unser Produktangebot und bieten professionelle Lösungen zum Beispiel auch in Privatsach, KFZ, Gewerbesach und Baufinanzierung sowie Bankprodukte und Investment."

Dr. Botermann sollte am Ende Recht behalten. Die Bundesregierung wird keinen Provisionsdeckel für die Lebensversicherung einführen.

Stattdessen dürfen die Versicherer Provisionen nur bis zu einer Höhe von 25 Promille bilanziell verwerten. Die Zukunft muss zeigen, wie der Markt damit umgehen wird.

Ein nichtminder großer Brandherd ist die Beteiligung an den Bewertungsreserven. Als das Bundesverfassungsgericht 2005 den Kunden auch bei vorzeitiger Kündigung eine Beteiligung an den stillen Reserven zugesprochen hat, war vom Niedrigzins noch nichts in Sicht. Dass die Lebensversicherer nun einen großen Batzen aus Kursgewinnen, die derzeit nur auf dem Papier vorhanden sind, ausschütten müssen, belastet sie nicht nur finanziell über Gebühr – es geht dabei noch um eine andere Frage, wie Ralf Berndt, Vorstand Vertrieb und Marketing der Stuttgarter, erläutert: „Bei der Diskussion geht es in erster Linie nicht um die Frage, wie stark die Versicherungsgesellschaften hierdurch belastet werden, sondern hauptsächlich darum, wie die Bewertungsreserven innerhalb eines Versicherungskollektivs fair und gerecht unter den Versicherten verteilt werden. Die augenblicklich gültige Regelung gefährdet in höchstem Maße eine der wesentlichen Funktionen eines Lebensversicherungskollektivs, nämlich den Zinsausgleich über die Zeit." Da die Stuttgarter zu den Lebensversicherern mit den höchsten stillen Reserven gehöre, zahle sie zurzeit hohe Summen an ausscheidende Versicherte aus. Diese Beträge stünden dem Versichertenkollektiv naturgemäß für die Zukunft nicht mehr zur Verfügung. Allerdings habe dies keinen Einfluss auf die Stabilität und Finanzstärke der Stuttgarter Lebensversicherung, so Berndt: „Unsere Szenario-Rechnungen ergeben, dass die Stuttgarter auch bei anhaltender Niedrigzinsphase in den nächsten zehn Jahren keine Probleme haben wird, ihre Garantieverpflichtungen zu erfüllen."

Auch Frank Hilbert, Vorstandssprecher der Hannoverschen, gibt Entwarnung: „Für die Hannoversche Leben als substanzstarkes Unternehmen mit einer hohen Solvabilität von über 160 % und exzellenten Ratings ist diese gesetzliche Vorgabe natürlich eine Belastung, mit der wir aber umgehen können." Allerdings lässt er eine Menge Unmut durchblitzen: „Mittlerweile bekommen die 5 % jährlich abgehenden Kunden einen höheren Betrag an Bewertungsreserven ausgezahlt als das, was die 95 % verbleibenden Kunden an laufender Überschussbeteiligung erhalten. Das ist nicht im Sinne der Versichertengerechtigkeit."

Dr. Botermann hingegen ärgert noch etwas Anderes. Dass die Neuregelung bei den Bewertungsreserven der Öffentlichkeit als „Hilfspaket" verkauft werde, sei ein Unding. Tatsächlich gehe es nämlich darum, einen früher von der Politik begangenen Fehler wiedergutzumachen. (hwt)

Herausforderungen in der Lebensversicherung – Printausgabe 03/2014