Adipositas – eine Volkskrankheit aus Investorensicht

18.08.2022

Maximilian-Benedikt Köhn / © DJE Kapital AG

Adipositas (Fettleibigkeit) ist weltweit auf dem Vormarsch und wortwörtlich eine Last nicht nur für Betroffene. Auch die Gesundheits- und Sozialsysteme von Volkswirtschaften belastet diese Erkrankung. Mehrere vielversprechende neue Medikamente sind aktuell in Studien oder bereits zugelassen und könnten teure Magenverkleinerungen obsolet machen. Unternehmen hinter diesen möglichen Blockbustern von morgen sind einen genaueren Blick wert, ebenso wie Covid-19-Impfstoffhersteller, da das Virus Adipositas-Erkrankte deutlich stärker gefährdet.

Adipositas (Fettleibigkeit) – Ein spannender und wachsender Health Care-Markt

Aktuell gibt es weltweit über 764 Millionen adipöse Menschen, definiert mit einem Body-Mass-Index (BMI) über 30. Der BMI errechnet sich aus dem Gewicht einer Person geteilt durch die Körpergröße in Metern zum Quadrat. Bis 2030 sollen weltweit über eine Milliarde Menschen an Adipositas leiden. Adipositas führt bei den Betroffenen zu einem erheblichen subjektiven Leidensdruck, ist aber vor allem auch mit multiplen Folgeerkrankungen verbunden. Dennoch werden aktuell nur ca. 2% aller Betroffenen weltweit medizinisch behandelt. Demnach ist der Bereich Adipositas bislang kaum erschlossen und ein ausgesprochener Wachstumsmarkt.

Wegovy – ein vielversprechendes Medikament

Operative Magenverkleinerungen zur Behandlung von Adipositas sind zwar erfolgreich und zunehmend etabliert, stellen aber einen invasiven Eingriff dar, der nicht-reversibel ist und lebenslange Kontrollen nach sich zieht. Aus diesem Grunde suchte man schon früh nach medikamentösen Behandlungsstrategien, die – selbst, wenn sie erfolgreich waren – häufig wegen ihrer Nebenwirkungen abgesetzt oder sogar ganz vom Markt genommen wurden.

Durchgesetzt haben sich bislang allein Medikamente aus der Diabetologie, sog. GLP-1- Rezeptor-Agonisten. Als Weiterentwicklung des bewährten, aber nur mäßig effektiven Wirkstoffs Liraglutid gibt es nun hochdosiertes Semaglutid (unter dem Produktnamen Wegovy) von Novo Nordisk. Semaglutid ist in niedrigerer Dosis unter dem Produktnamen Ozempic weltweit seit Jahren in der Diabetologie bewährt und anwendungssicher. Wegovy hat in großen Studien Gewichtsreduktionen von über 15 Prozent nachweisen können und ist bereits in den USA als reines Abnehmmedikament offiziell zugelassen. Eine europaweite Zulassung erfolgte Anfang 2022. Die Nachfrage nach Wegovy ist so hoch, dass Novo Nordisk mit der Produktion nicht nachkommt. Infolgedessen wird hier derzeit teilweise das niedriger dosierte Ozempic (als Off-Label-Use) in der Adipositasbehandlung angewendet.

Neues vielversprechendes Medikament Mounjaro von Eli Lilly mit Blockbusterpotenzial

Die Wirksubstanz Tirzepatid des US-Pharmakonzerns Eli Lilly ist als sogenanntes Twinkretin zunächst einmal eine Weiterentwicklung in der Diabetologie, da sie zusätzlich zu GLP-1- auch GIP-Rezeptoren adressiert.

Die in Studien gezeigten Effekte auf den Blutzucker übertrafen die der reinen GLP-1- Rezeptor-Agonisten. Und auch die Gewichtsreduktionen waren eindrucksvoll: Mit bis zu 22,5 Prozent Gewichtsabnahme übertrifft diese Substanz nicht nur alle bislang bekannten Medikamente, sondern nähert sich als Medikament erstmals einer Schallmauer, die bislang nur von der Magenverkleinerung bekannt war. In Europa erwartet Eli Lilly bis Jahresende eine Zulassung, ab 2023 könnte die Spritze mit dem Wirkstoff Tirzepatid unter dem Produktnamen Mounjaro auch hierzulande gegen Diabetes (Typ 2) auf ärztliche Verordnung verfügbar sein. In den USA ist das Medikament bereits seit einigen Monaten auf dem Markt.

Tirzepatid gilt daher als eine der vielversprechendsten Neuentwicklungen der letzten Jahre mit hohem Blockbuster-Potential. Abzuwarten bleiben die Outcome-Studien in der Diabetologie, die tatsächliche Verträglichkeit und Wirkung unter „real-life“ Bedingungen. Spannend wird dann sein, ob Tirzepatid auch allein zur Therapie der Adipositas zugelassen werden wird. Hier wird eine Entscheidung im Jahr 2023 erwartet.

Eine Win-Win-Situation für Betroffene und Kostenträger

Die globalen negativen wirtschaftlichen Auswirkungen von Fettleibigkeit werden auf ca. drei Prozent des weltweiten BIPs geschätzt. Verursachte direkte und indirekte Kosten durch Fettleibigkeit werden somit jährlich auf über 900 Milliarden USD geschätzt.

Umso höher ist der Druck nicht nur auf staatliche Kostenträger, sondern auch auf die Betroffenen, diese Kosten zu reduzieren. Medikamente sollen erst zum Einsatz kommen, wenn durch Lebensstiländerungen keine oder eine unzureichende Gewichtsabnahme erzielt wird. Ultima ratio ist bei erfolgloser Therapie dann die operative Magenverkleinerung. Hierbei wird das Volumen des Magens verkleinert und Körpergewichtsreduktionen von rund 25-30 Prozent sind die Folge. Aber die Kosten hierfür sind hoch: In den Vereinigten Staaten belaufen sich die Kosten einer Magenverkleinerung auf etwa 25.000 bis 35.000 USD. In Deutschland kostet eine solche Operation zwischen 8.000 und 15.000 Euro.

Umso spannender sind die neuen möglichen Medikamente. Wegovy von Novo Nordisk ist in den USA bereits zur Behandlung von Adipositas zugelassen und kostet leicht mehr als 1.000 USD pro Jahr - wohlgemerkt bei einer möglichen Gewichtsreduktion von über 15 Prozent. Das neue Medikament von Eli Lilly mit mehr als 20 Prozent Gewichtsreduktion wird wahrscheinlich ähnlich bepreist werden, sodass viele staatliche Kostenträger die einfachere und günstigere Variante einer medikamentösen Behandlung gegenüber der Magenverkleinerung vorziehen könnten.

Hohe Marktdurchdringung nur mit genügend klinischen Daten

Bei einer medikamentösen Behandlung von nur zehn Prozent der weltweit über 750 Millionen adipösen Menschen mit jährlichen Kosten von 1.000 USD pro Jahr für Wegovy oder Mounjaro wäre der Markt über 70 Milliarden USD groß: ein Markt mit genügend Platz für zwei große Pharmaunternehmen. Voraussetzungen sind aber positive Studienergebnisse, ein Nachweis der Verträglichkeit und vor allem die Entscheidung der Kostenträger, auch die oben genannten Medikamente in die Erstattungspflicht bei gegebener Indikation einzubeziehen. Die Notwendigkeit dafür ist gegeben. Zahlreiche Folgeerkrankungen von Adipositas sind bekannt (und kostenintensiv), wie z.B. Praediabetes, Diabetes Mell. Typ 2, Bluthochdruck, kardiovaskuläre Erkrankungen, obstruktive Schlafapnoe, Leberveränderungen etc. Aus gutem Grunde hat die WHO Adipositas offiziell als Erkrankung und nicht nur als Beeinträchtigung klassifiziert.

Covid-19 und Adipositas: Höheres Risiko für Hospitalisierung

Aufmerksamkeit gilt auch dem Zusammenhang zwischen Covid-19 und Adipositas, denn letztere scheint einen schweren Verlauf von Covid-19 zu begünstigen. Laut der deutschen Adipositas-Gesellschaft und Studien von der Universität Oxford haben Menschen mit Adipositas ein zweifach erhöhtes Risiko für eine Hospitalisierung im Falle einer Covid-19-Erkrankung. Rasche Booster-Impfungen seien auch für Menschen mit schwerem Übergewicht wichtig zum Schutz vor einem schweren Verlauf und helfen, Todesfälle zu vermeiden. Somit zählt starkes Übergewicht neben Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes zu den häufigsten Risikofaktoren für einen schweren Verlauf von Covid-19. Dieses ist besonders in der aktuellen Zeit der Corona-Sommerwelle relevant und dürfte mit der möglicherweise anstehenden Herbst-Welle noch stärker an Bedeutung gewinnen.

Umso wichtiger werden die Studiendaten von BioNTech/Pfizer oder Moderna zu den modifizierten Impfstoffen im Herbst sein, die eine erneute Booster-Impfung wahrscheinlich sinnvoll erscheinen lassen, um für die mögliche Herbst-Welle einen besseren Schutz zu bieten. Technologisch führend bleiben auch im Jahr 2023 BioNTech/Pfizer und Moderna.

Fazit:

Weltweit prognostizieren Studien einen Anstieg an Adipositas-Erkrankungen auf rund 1 Milliarde Menschen. Die Anzahl der Diabetiker (Typ 1 und 2) wird mit einem Anstieg auf 587 Millionen Menschen im gleichen Zeitraum erwartet. Pharmaunternehmen mit Schwerpunkt auf Therapien für Diabetes und Adipositas bleiben somit weiterhin interessant. Besonders das Jahr 2023 wird für die Unternehmen Novo Nordisk und Eli Lilly spannend. Novo Nordisk sollte bis dahin die hausinternen Lieferketten-Probleme bei Wegovy in den Griff bekommen haben, und Eli Lilly könnte mit einem rasanten Volumenwachstum den Markt durchdringen. Sowohl kurzfristige (Herbst-Welle) als auch langfristige (mRNA-Technologie in anderen Indikationen) Therapiechancen werden für die mRNA-Technologie-Unternehmen eine Rolle spielen. Denn (nicht nur) Covid-19 wird uns auch leider im Jahr 2023 weiter begleiten.

Gastbeitrag von Maximilian-Benedikt Köhn, Analyst und Fondsmanager bei der DJE Kapital AG