Aktien: Prognosen ohne Wert

26.03.2018

Dr. Marc-Oliver Lux, Geschäftsführer Dr. Lux & Präuner GmbH & Co. KG in München / Foto: © Dr. Lux & Präuner

Immer mehr Firmen verfehlen ihre eigenen Geschäftsprognosen. Die schlechte Nachricht: Korrekturen nach unten haben dabei deutlich größere Auswirkungen als Ausreißer nach oben.

Es war eine negative Überraschung für hiesige Anleger: völlig unerwartet ging die Aktien von Schaeffler auf Talfahrt, nachdem der Auto- und Industrie-Zulieferer Anfang diesen Monats wiederholt seine Gewinnaussichten nach unten geschraubt hatte, und damit den Anteilseignern erneut vor den Kopf stieß. Durch einen Konzernumbau würden Einmalkosten und Investitionen entstehen, erklärte der Vorstandschef die enttäuschenden neuen Prognosen beim Großaktionär des DAX-Konzerns Continental. Doch Investoren zeigten wenig Verständnis dafür, und ließen die Schaeffler-Papiere binnen Minuten um mehr als ein Zehntel einbrechen.

Schaeffler befindet sich in guter Gesellschaft. Denn immer häufiger sehen sich Unternehmen in Deutschland gezwungen, ihre Geschäftsprognosen zu korrigieren: 59 Prozent der bedeutendsten in Deutschland börsennotierten Firmen haben 2017 ihre ursprünglichen in Aussicht gestellten Umsatz- und Gewinnzahlen revidiert. Das sind 21 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr und so viel wie noch nie seit 2011. In absoluten Zahlen: 155 Korrekturen im Jahr 2016, 294 im Jahr 2017. Das sind die Ergebnisse einer aktuellen Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY. Für die Analyse wurden alle 304 Unternehmen aus dem Prime Standard der Frankfurter Börse betrachtet.

Das hat gravierende Folgen für Anleger: Analysteneinschätzungen zu einzelnen Dividendenpapieren und auch für Börsenmesslatten wie DAX und Co werden fehleranfälliger. Besonders deutliche Spuren an den Börsen hinterlassen solche Korrekturen, wenn die ursprünglichen Vorhersagen, wie jüngst bei Schaeffler, nach unten angepasst werden: um durchschnittlich acht Prozent ließen Gewinn- und Umsatz-Warnungen dann den Aktienkurs binnen einer Woche abrutschen. Korrekturen dieser Art kommen trotz des Wirtschaftsbooms in Europa inzwischen deutlich häufiger vor: im vergangenen Jahr wurden 95 Gewinn- oder Umsatzwarnungen gezählt, das waren 44 Prozent mehr als im Vorjahr und der höchste Wert seit 2011, als die Erhebung erstmals durchgeführt wurde.

Vier maßgebliche Gründe dafür listet die Studie von EY auf: steigende Rohstoffpreise, der Höhenflug des Euros, der neue Kurs der US-Regierung und die nachlassende Dynamik der britischen Wirtschaft führen bei einigen Unternehmen zu spürbaren Einbußen - je nachdem, ob und in welcher Form sie auf den betroffenen Märkten aktiv sind.

Es gibt aber auch gute Nachrichten für Aktionäre. Denn auch erfreuliche Abweichungen nach oben kletterten im vergangenen Jahr auf einen neuen Höchststand. Hier hat sich die Zahl im Vergleich zu 2016 mehr als verdoppelt, von 89 auf 199. Wermutstropfen für Anleger ist allerdings: positive Überraschungen wirken sich in der Regel nicht einmal halb so stark auf die Aktienentwicklung aus. Aufwärtskorrekturen führen im Schnitt nur zu einem Kursgewinn von drei Prozent binnen einer Handelswoche.

Mit besonders vielen Korrekturen nach oben haben 2017 im DAX gelistete Konzerne ihre Anteilseigner überrascht: 47 Prozent der Schwergewichte aus Deutschland erster Börsenliga erhöhten ihre Geschäftsprognose mindestens einmal, mehr als in allen anderen Segmenten. Und nur jeder zehnte der 30 Blue Chips enttäuschte Investoren mit Abwärtsrevisionen. Auch hier schneidet der DAX besser ab als die übrigen hiesigen Börsensegmente.

Die Ursache für steigende Tendenzen liegt vor allem im volkswirtschaftlichen Aufschwung: die Konjunktur hat sich in den vergangenen Monaten besser entwickelt als erwartet, sowohl in Europa als auch in anderen Regionen wie Asien und Nordamerika. Was Anleger in diesem Fall gefreut haben dürfte, wird für Analysten jedoch zum Problem: die Gewinnprognosen erweisen sich als extrem unsicher. Die Schätzfehler sind hoch.

Das hat laut Experten beispielsweise maßgeblich dazu beigetragen, dass sich der deutsche Leitindex DAX im vergangenen Jahr mit einem Plus von mehr als zwölf Prozent knapp sechsmal stärker entwickelte als es die meisten Strategen der Geldhäuser zuvor bei ihren Zwölf-Monats-Prognosen vorausgesagt hatten. Unterschätzt hatten die Marktbeobachter genauso wie die Firmen die Dynamik des Wachstums in den entwickelten Volkswirtschaften. Vor allen aus Furcht vor den zahlreichen politischen Krisen wurden sehr defensive Gewinnschätzungen zugrunde gelegt.

Unsere Einschätzung: Die Studie von EY deutet darauf hin, dass sich Anleger wenig auf Prognosen verlassen sollten. Unternehmerische Geschäftsentwicklungen sind letztlich immer auch unsicher – im positiven wie im negativen Sinne. Auch politische Entscheidungen sind wenig berechenbar. Bestes Beispiel ist die US-Steuerreform, die Ende 2017 beschlossen wurde: während etwa Daimler und BMW daraufhin ihre Gewinnprognosen erheblich nach oben korrigierten, wiesen Konzerne wie die Deutsche Bank auf zusätzliche Belastungen in Höhe von rund 1,4 Milliarden Euro im vierten Quartal hin, was den Kurs abstürzen ließ.

Kolumne von Dr. Marc-Oliver Lux, Dr. Lux & Präuner GmbH & Co. KG in München