„Wunschdenken der häuslichen Pflege!“

18.09.2013

*Thomas F. Roth, Vorstand der IMMAC Holding AG, Hamburg. IMMAC ist ein auf das Segment „Health Care" spezialisiertes Emissionshaus mit über 100 Objekten (Pflegeheime, betreutes Wohnen und Kliniken).*

Die medizinischen Fortschritte führen zu einer längeren Lebensdauer. Die Menschen überleben heute viele Krankheiten, die früher noch einen tödlichen Ausgang hatten. Mit zunehmendem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit der Pflegebedürftigkeit. Es kommt zu einer Kumulation von Erkrankungen, auch Multimorbidität genannt, und zu altersbedingten Funktionseinschränkungen. Auch die Fälle von Demenz nehmen mit zunehmender Lebensdauer überproportional zu. Die Anzahl der Pflegebedürftigen wird steigen, wenngleich die Verweildauer im Pflegeheim sinkt.

Gerade bei den altersbedingt Pflegebedürftigen, die ein wesentlich höheres Eintrittsalter in die Pflege haben als früher, gibt es wegen der Schwere der Pflegebedürftigkeit in vielen Fällen keine Alternative zur stationären Unterbringung. Das Wunschdenken der häuslichen Pflege durch Angehörige, auch mit Unterstützung durch einen ambulanten Pflegedienst, scheitert vielfach schon an den heutigen Haushaltsstrukturen. Über 50 Prozent der Haushalte in Ballungsgebieten sind Single-Haushalte. Da gibt es keinen Platz für einen Pflegebedürftigen. Die Singles von heute sind die Pflegebedürftigen von morgen, die keine Angehörigen haben. Durch die medizinischen Fortschritte und die später eintretende Pflegebedürftigkeit sind viele Angehörige heute selbst in einem Alter, in dem sie durch die Pflege hoffnungslos überfordert sind, physisch und psychisch.

Die Schätzung von Ernst & Young, wonach bis 2020 etwa jedes siebte Pflegeheim vom Markt verschwinden wird, ist richtig, aber man darf keine falschen Schlüsse aus ihr ziehen. Das heißt nicht, dass jeder siebte Pflegeplatz bedroht ist, da es sehr viele kleine Einrichtungen gibt, die im Wettbewerb gegen große Einrichtungen unterliegen. Da fehlen Synergien, Einkaufsvorteile und teilweise auch das Personal- und Qualitätsmanagement. Natürlich sind auch größere Betriebe bedroht, die in Immobilien arbeiten, die nicht mehr marktfähig sind, also Instandhaltungsstaus vor sich herschieben oder der Heimmindestbauverordnung nicht mehr entsprechen. Für die laufende Dekade beziffert Ernst & Young den Aufwand für Modernisierung oder Ersatzerstellung höher als den für die Schaffung zusätzlicher Pflegeplätze. Das macht den Unterschied zwischen quantitativem und qualitativem Bedarf bewusst. Außerdem kommen insbesondere auf kleinere Betreiber und Familienbetriebe in der Zukunft die stark steigenden Bankenanforderungen aus „Basel III" hinsichtlich der Eigenkapitalausstattung zu. Viele Kleinbetriebe kommen an ihre Grenzen, sobald sie durch außerordentliche Aufwendungen z. B. in der Immobilie belastet werden.

(Thomas F. Roth)

Meinung - Printausgabe 05/2013