Warum nicht auch mal jammern?

22.04.2024

Wirtschaftspsychologin Sabine Prohaska - Foto: seminarconsult.at

 „Jammern“ ist in Unternehmen meist verpönt. Dabei hat das Jammern auch eine soziale Funktion. Und nicht selten ist es sogar ein Frühwarnsystem für Defizite, die zu massiven Problemen führen können.

Jeder tut es – mehr oder weniger oft und mal mehr oder weniger laut: jammern. Über das Wetter, das körperliche Wohlbefinden, die Arbeitsbelastung, den schlechten Service, die zahllosen Veränderungen und vieles mehr. Trotzdem hat das Jammern einen schlechten Ruf, und wer zu oft und laut jammert wird nicht selten mit dem Etikett „Jammerlappen“ versehen. Oder die betreffende Person wird zum Beispiel von ihrer Führungskraft in die Kategorie „Ja, aber-Mensch“ einsortiert,

- die, egal was passiert, immer etwas zu mäkeln und beklagen hat, und

- die man im Auge behalten sollte, unter anderem damit sie mit ihrem ewigen Negativ-Denken nicht das Team infiziert.

Zweifellos gilt: In der heutigen Arbeitswelt – in der von den Mitarbeitenden Eigeninitiative und eine große Veränderungsbereitschaft erwartet wird – wird ein „Jammern“ nicht goutiert. Dabei hat es auch positive Funktionen im menschlichen Miteinander, weshalb man es keinesfalls stets als ein Zeichen mangelnder Motivation und Identifikation interpretieren sollte. Zuweilen ist sogar das Gegenteil der Fall.

Jammern hat auch positive Effekte

Jammern kann zum Beispiel zu einer emotionalen Entlastung führen, so dass der Druck im Kessel sinkt – was, wenn Menschen unter einem enormen Arbeits- oder Veränderungsdruck stehen, manchmal schlicht nötig ist. Für manche Menschen ist das Klagen sogar eine wichtige Bewältigungsstrategie für schwierige Lebensumstände und Aufgaben.

Jammern hat zudem eine soziale Funktion, denn hierbei teilen Menschen ihre Sorgen und Nöte mit anderen Personen. Das kann sogar den Teamgeist fördern, denn hierdurch wird dem jeweiligen Gegenüber die Möglichkeit gegeben, Mitgefühl zu zeigen und Hilfe anzubieten. Ein gemeinsames Lamentieren erhöht zuweilen auch die Identifikation mit dem Team. Wenn die Teammitglieder erkennbar gewisse Sorgen, Nöte und Frustrationen teilen, stärkt dies oft die persönliche Beziehung zwischen ihnen und somit auch das Wir-Gefühl.

Ein Jammern weist zudem oft auf Probleme und Missstände hin, die ansonsten unerkannt blieben. Nicht selten hat es die Funktion eines Frühwarnsystems, indem es auf Schwachstellen in der Organisation verweist, die dringend behoben werden sollten – zum Beispiel um ein Abwandern von Leistungsträgern, ein Scheitern des Projekts oder das Nicht-Erreichen der Unternehmensziele zu vermeiden.

Das Jammern hat aber auch Schattenseiten

Doch auch für das Jammern gilt das Bonmot „Jede Medaille hat zwei Seiten“. So zeigt zum Beispiel die Studie wie „Yes, we complain … so what?“ von Caroline Aubé und Vincent Rousseau (2016), dass ein Jammern oft die Teamleistung mindert. Zudem belegen weitere Studien: Wird das Jammern zu einem Teil der Unternehmenskultur, beeinflusst dies die Arbeitsmoral, Kreativität und Produktivität negativ.

Führungskräfte sollten sich dieser Ambivalenz des Jammerns bewusst sein. Zuweilen erfordert es ihre Funktion jedoch sogar, dieses zu stimulieren. Zum Beispiel, indem sie, wenn ihr Team erkennbar gestresst ist, ein Meeting mit folgenden Worten eröffnen: „So, nun sagt mal alles, was Euch in Zusammenhang mit unserem aktuellen Großprojekt xy stört.“ Denn dies eröffnet den Mitarbeitern die Chance, ihre Bedenken und Probleme so zu artikulieren, dass sie nicht nur die Gerüchteküche nähren, sondern anschließend im Team besprech- und bearbeitbar sind.

Dabei muss die Führungskraft jedoch darauf achten, dass das konstruktive Beklagen nicht in destruktives Jammern umschlägt. Deshalb sollte die Führungskraft, nachdem sie einige Zeit den Klagen der Mitarbeiter lauschte, zum Beispiel sagen: „Wenn ich Eure Voten richtig interpretiere, kämpft Ihr aktuell primär mit folgenden drei Problemen: A, B und C. Lasst uns einmal gemeinsam überlegen, wie wir welche Probleme lösen können und mit welchen wir schlicht leben müssen, weil sie sich unserem Einfluss entziehen.“ Denn so wird der Diskurs in Richtung Problemlösung gelenkt: Er bleibt nicht bei einem gemeinsamen Beklagen der Ist-Situation stehen.

Bei einem chronischen Nörgeln intervenieren

Generell sollte eine Führungskraft unterscheiden,

- jammert eine Person situationsgedingt oder

- handelt es sich bei ihr sozusagen um einen Dauernörgler, der mit seinem permanenten Negativ-Talk die Leistung des Teams negativ beeinflusst.

Ist Letzteres der Fall, dann sollte die Führungskraft auf alle Fälle intervenieren und von der betreffenden Person ein anderes Verhalten einfordern – mit Nachdruck.

Tipps für Führungskräfte im Umgang mit Jammern:

- aktiv zuhören und empathisch sein

-  zwischen konstruktivem und destruktivem Jammern unterscheiden

- eine positive Arbeitsumgebung schaffen

- ein aktives Konfliktmanagement betreiben

- regelmäßig Feedback geben

- die nötigen Ressourcen bereitstellen

- Transparenz und Fairness gewährleisten

- bei Bedarf frühzeitig eingreifen.

Generell gilt jedoch: Eine von Wertschätzung für die Mitarbeiter geprägte Arbeitsumgebung und eine Führungs- und Kommunikationskultur, die ein offenes Feedback fördern, reduziert die Zahl der destruktiven Klagen. Entsprechend differenziert sollten Führungskräfte auf ein Jammern reagieren. Einerseits müssen sie den Bedürfnissen und Emotionen ihrer Mitarbeitenden Beachtung schenken, andererseits aber auch stets die Auswirkungen der Klagen auf die Teamdynamik und Produktivität im Auge behalten.

Von zentraler Bedeutung ist hierbei das Erkennen und Akzeptieren, dass Jammern nicht per se negativ ist. Es kann im Führungsalltag auch ein wertvolles Feedback-Instrument sein, das hilft, Probleme zu identifizieren und zu lösen.

Auch „Chefs“ dürfen mal jammern

Übrigens, auch Führungskräfte dürfen ab und zu mal klagen bzw. stöhnen zum Beispiel über die vielen Veränderungen, die sich im Umfeld des Unternehmens vollziehen und die zahlreichen Herausforderungen, die hieraus für sie resultieren. Tut dies eine Führungskraft wohlüberlegt und -dosiert, kann dies sogar ihre Beziehung zu ihren Mitarbeitern fördern – unter anderem, weil diese dann registrieren: Unser „Chef“ ist auch ein Mensch.

Gastbeitrag von Wirtschaftspsychologin Sabine Prohaska, seminar consult prohaska, Wien.