Sell in May and… – oder lieber doch nicht?

28.05.2018

Martin Stötzel, Managing Partner bei Rhein Asset Management / Foto: © Rhein Asset Management

Börsenweisheiten sind eine unerschöpfliche Quelle mehr oder weniger ernstgemeinter Ratschläge für Investoren. Einer der bekanntesten ist wohl „Sell in May and go away… and don`t come back till St. Leger`s Day”. Die Die St. Leger Stakes sind ein Galopprennen, das seit 1776 jährlich am 24. September ausgerichtet wird. Und so lange sollte ein Investor nach einem Ausstieg im Mai warten, bis er wieder Aktien kauft.

Doch ist wirklich etwas dran an der Börsenweisheit? Zumindest teilweise, zeigt eine aktuelle Untersuchung der Fondsgesellschaft Fidelity. Seit 1988 die „Sell in May“-Strategie 16 Mal aufgegangen. 14 Mal hätten Anleger allerdings falsch gelegen. Etwas anderes zeigt die Erhebung übrigens auch: Wer im Mai 1988 10.000 Euro in den Dax investierte, seine Anteile jedes Jahr Anfang Mai verkaufte und Anfang September wieder einstieg, hätte sich im August 2017 über die Summe von 133.223 Euro freuen können. Ein Anleger, der seit Mai 1988 permanent im Dax investiert geblieben wäre, hätte 114.332 Euro erzielt – knapp 20.000 Euro weniger.

Das kann natürlich purer Zufall sein. Denn statistisch ist der DAX im Mai total unauffällig. Der schwächste Börsenmonat ist eindeutig der September. Und schaut man auf den wichtigsten Börsenindex der Welt, den Dow Jones, dann liegt die Kaufen-und-Halten-Strategie sogar fast gleichauf. Also lohnt sich der Ausstieg doch nicht?

Doch, er kann sich lohnen! Analysten von HSBC Trinkaus haben in ihren Berechnungen einmal den statistisch signifikant schwachen September eliminiert. Schon ändert sich das Bild. Und geht man noch einen Schritt weiter und legt das Verkaufsdatum auf den letzten Handelstag im Mai, lässt sich mit der optimierten Börsenregel nun ein mehr als dreimal so hoher Gewinn erzielen wie mit der einfachen Durchhaltestrategie.

Gewiss, jetzt haben diese Betrachtungen einen Nachteil. Sie beziehen sich auf die Vergangenheit und lassen sich nicht einfach in die Zukunft extrapolieren. Und so manche prominente Ausnahme bestätigt die Regel. Wie etwa im Sommer 1993: Damals legte der DAX von Anfang Mai bis Ende August fast 20 Prozent zu. Oder der Mai 2013, als der deutsche Aktienmarkt stolze sechs Prozent zulegte. Und im Krisenjahr 2008 wäre es sogar der beste Tipp gewesen, im September zu verkaufen und erst im Mai 2009 wieder einzusteigen. Denn in den Monaten von Mai bis August 2009 stieg der DAX um fast 15 Prozent.

In diesem Sommer wäre eine bescheidene Entwicklung keine echte Überraschung. Nach mehr als neun Jahren Aufwärtstrend an Wall Street mehren sich die Warnzeichen. Die durchschnittliche Bewertung der Unternehmen liegt im obersten Bereich der historischen Daten, nur noch übertroffen vom Zeitraum der „Internetblase“. Zudem zeigt die europäische Konjunktur klare Zeichen von Schwäche. Deutsche und französische Daten der jüngsten Vergangenheit lagen unter den Erwartungen. Gleichzeitig steigen die Preise für Rohstoffe, wie Öl, Kupfer und Aluminium deutlich an. Das dürfte die Wirtschaft weiter belasten.

Kurzum: Von „Sell in May“ dürfen Anleger nicht per se Wunderdinge erwarten. Doch in diesem Jahr könnte es sich durchaus lohnen, den Mai verstreichen zu lassen, den Urlaub zu genießen und erst danach wieder auf die Suche nach aussichtsreichen Investments zu gehen.

Kolumne von Dr. Martin Stötzel, Managing Partner bei Rhein Asset Management in Luxemburg und Düsseldorf