"Poker ist Glücksspiel...

26.04.2016

Auf dem Foto v.l.n.r.: Jane Uhlig

Fitschen: Poker ist Glücksspiel, und das ist schlicht nicht unser Geschäft. Leidenschaft im falsch verstandenen Sinne ist, wie gesagt, generell nicht gut. Man muss im Übrigen bei der Aufarbeitung von Fehlverhalten immer auch die Zeit berücksichtigen, in der es aufgetreten ist. Es gilt gut zu unterscheiden zwischen den Dingen, die sowohl damals wie auch heute nicht korrekt waren bzw. sind. Und es gibt andere Fälle, die aus heutiger Sicht nicht richtig sind, aber seinerzeit rechtlich in Ordnung waren. Nicht alles, was damals getan wurde, muss heute sanktioniert werden. Aber wir stellen fest, dass sich die Einstellung zu bestimmtem Geschäften und Handlungsweisen geändert hat – und oftmals zu recht. Und deshalb wollen wir uns auch in Zukunft genauso leidenschaftlich um unsere Kunden kümmern wie bisher. Uhlig: Welche Rolle spielt Risiko dabei? Fitschen: Ernstzunehmende Stimmen sagen, dass wir bald eine Gesellschaft sind, in der keiner mehr bereit ist, Risiken zu übernehmen. Eine Gesellschaft, in der jeder glaubt, er muss gegen alle Eventualitäten geschützt werden. Das kann nicht funktionieren, denn unser Geschäft hat per se nicht nur Chancen, sondern auch Risiken. Ein Autoverkäufer bekommt Probleme, wenn das von ihm verkaufte Auto permanent in die Werkstatt muss. Wenn der Käufer allerdings seinen Wagen beschädigt, wird in der Regel nicht der Automobilhersteller dafür verantwortlich gemacht. Wenn dagegen ein Bankkunde eine Investition tätigt, die sich nicht gut entwickelt, dann ist es relativ einfach für ihn, in die Öffentlichkeit zu gehen und seine Bank der schlechten Beratung zu beschuldigen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird man für ihn Verständnis haben. Letztendlich geht es um die Frage, wie viel Mündigkeit wollen Sie dem Einzelnen in wirtschaftlichen Dingen überlassen und wie viel Verantwortung sollen wir als Bank dabei tragen? Wo ist hier die Grenze? Denn Chancen und Risiken eines Bankgeschäfts sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Das bleibt für die Banken - und für die Gesellschaft - ein spannendes Thema, das auch Teil des Kulturwandels der Deutschen Bank ist. Anderson: Trägt die Belegschaft diesen Wandel mit? Von außen betrachtet ist das eine große Veränderung. Wie kommen Sie hier voran? Fitschen: Nie schnell genug. Wenn sie allerdings eine solche Verhaltensänderung innerhalb weniger Wochen oder Monate erreichen wollen, dann brauchen sie gar nicht erst anzufangen. Das dauert Jahre. Wir versuchen den Fortschritt auch zu messen. Die Ergebnisse unserer internen Befragungen zeigen regelmäßig, dass unsere Mitarbeiter von der Richtigkeit eines kulturellen Wandels überzeugt sind. Jetzt gilt es, diesen Wandel in der täglichen Arbeit auf breiter Basis umzusetzen. Erst wenn die Kollegen gemeinsame Werte und Überzeugungen nicht nur teilen, sondern sich tagtäglich danach verhalten, dann wird der Wandel glaubwürdig. Mit knapp 100.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unterschiedlichen Kulturkreisen ist das schon eine besondere Aufgabe. Und die muss sehr langfristig angelegt sein. Uhlig: Die Motivation des Handelns ist ja ein großes Thema, dass natürlich auch die Mitarbeiter, die hier agieren oder anfangen, auch die entsprechende Haltung und das entsprechende Handeln mit in die Bank bringen… Fitschen: Es gab eine Zeit als der Beruf des Investmentbankers sehr angesehen war. Nicht immer aus den Motiven, die wir besonders gern sehen, aber es war so. Das ist heute nicht mehr so. Manche Kollegen sagen im Freundes- und Bekanntenkreis nicht mehr, was sie beruflich machen, weil sie sonst schief in der Gesellschaft angesehen werden. Davon müssen wir wieder wegkommen, denn beide Entwicklungen sind Übertreibungen. Deshalb ist der Kulturwandel in unserer Branche so wichtig. Anderson: Das schlechte Image gilt insgesamt fürs Banking und nicht nur für das Investmentbanking. Als ich in den 80ern das Abitur gemacht habe, da war die Banklehre der beliebte Einstieg ins Berufsleben, wenn man in Richtung Betriebswirtschaft marschieren wollte. Fitschen: Das Verhältnis zu den Banken und ihren Mitarbeitern war immer schon ein bisschen anders als zu anderen Unternehmen. Dennoch hat sich hier über die Jahre etwas grundlegend geändert. In Hamburg gab es zwei Ausbildungsberufe, die besonders hoch angesehen waren. Das waren der Außenhandelskaufmann und der Bankkaufmann. Die anderen Kaufmanns-Berufe waren nicht ganz so hoch angesehen, warum auch immer. Man musste sich damals auf keinen Fall dafür verteidigen, dass man Bankkaufmann oder -frau wurde. Das ist erst später gekommen, da bin ich völlig bei Ihnen. Ich beneide manchmal die Kollegen aus der Automobilindustrie, die auf Messen ihre schönen neuen Autos vorführen können. Die kriegen meistens immer donnernden Applaus. Ich bin aber überzeugt, dass sich das Ansehen der Banken wieder dort einpendeln wird, wo es sein sollte. Wir und alle meine Kollegen arbeiten hart daran. Anderson: Diese Abneigung zeugt von wenig Verständnis für makroökonomische Zusammenhänge, oder? Fitschen: Das ist der Punkt, der mir am meisten Sorgen macht. Das Vertrauen, von dem wir gesprochen haben, kann nur dann entstehen, wenn auch Verständnis für die Rolle der Banken da ist. Das schließt auch ein, dass gesagt wird, was Banken nicht machen können. Das fängt schon bei der EZB, der Europäischen Zentralbank, an. Mario Draghi wird momentan auch heftig kritisiert. Warum? Weil alle Leute sagen, er schüttet so viel Geld aus und löst das Problem nicht. Wenn diese Leute zuhören würden, dann würden sie schnell zu einer anderen Einstellung kommen. Herr Draghi ist der Erste, der immer wieder gesagt hat, ich löse das Problem mit Sicherheit nicht, das kann ich gar nicht. Ich gebe nur Zeit für die, die das Problem lösen sollen. Aber dieser Unterschied wird nicht gesehen. Alle zeigen auf die EZB. Soll sie die Unterstützung der Banken etwa einstellen? Wer ist dann für das daraus folgende Durcheinander verantwortlich? Uhlig: Der normale Bürger versteht die Gründe nicht, weil zu wenig aufgeklärt wird… Fitschen: Wir vergessen manchmal zu sagen, warum wir das alles machen. Was ist überhaupt die Aufgabe von Banken? Wie funktionieren die Kapitalmärkte? Da sehe ich auch Lücken in den Unterrichtsplänen der Schulen. Und ein Versäumnis der Banken selbst. Wir haben es versäumt zu sagen, was eigentlich der Kern und der Sinn einer Verbriefung ist. Dass Derivate in einer modernen Volkswirtschaft ein Instrument sind, um Risiken zu beherrschen – und nicht in erster Linie eine tolle Ertragsquelle für Banken. Jeder Landwirt kennt und schätzt Derivate, da er mit ihnen das Risiko seiner Ernte absichern kann. Erst die Übertreibungen und Exzesse machen solche an sich sehr sinnvollen Finanzprodukte zum Problem. Anderson: Wie groß ist die Gefahr, dass Innovationen nicht aus dem Banksektor kommen? Sie nannten vorhin die Digitalisierung mit ihren neuen Geschäftsmodellen für Start-ups und andere Organisationen. Fitschen: Die technologische Entwicklung ist in vollem Gange, und sie wird großen Einfluss auf die Banken haben. Wir verfolgen das sehr intensiv und sind im Dialog mit den sogenannten Fintechs. Ich sehe diese Entwicklung nicht als eine Gefahr für uns. Das wäre absurd. Die Frage lautet: Was bedeutet die Digitalisierung für unsere Kunden, für unsere Prozesse und welche neuen Dienstleistungsmöglichkeiten entstehen daraus? Ich kenne keine Bank, die sich diese Fragen nicht stellt. Ich bin sehr zuversichtlich, dass es uns mit dem digitalen Fortschritt gelingen wird, eine stärkere, schlankere und effizientere Bank zu werden. Wir haben inzwischen eigene Innovation Labs in Berlin, London und Kalifornien, wo wir uns darüber Gedanken machen, wie wir die Kunden besser unterstützen und die Prozessketten verfeinern können. Aber ein Bankkunde hat auch in Zukunft nicht nur das – sicher wachsende - Bedürfnis, seine Bankgeschäfte digital zu erledigen. Wir benötigen deshalb mehrere Kanäle, neben der kompletten Online-Welt auch weiterhin die physische Präsenz mit den Filialen. Uhlig: Mich interessiert noch: Sprechen Sie eigentlich Thai? Lesen Sie weiter auf Seite 4