Nichts Neues in den USA – und das kommt globalen Anlegern zugute
23.09.2021
Aaron Anderson - Foto: © Fisher Investments
Nach der Unterzeichnung des American Rescue Plan Act im Umfang von 1,7 Billionen Dollar durch US-Präsident Joe Biden Anfang 2021 nahmen viele Anleger an, dass weitere Gesetze folgen würden, darunter auch erhebliche Steuererhöhungen, die den Aktienmarkt belasten könnten. Obwohl die Demokraten die Präsidentschaft und knappe Mehrheiten im US-Senat und Repräsentantenhaus innehaben, haben sie es aufgrund der politischen Pattsituation schwer, weitere Gesetze zu erlassen. Dieser Stillstand mag für Wähler frustrierend sein, ist aber tatsächlich von Vorteil für globale Aktien. Da die USA etwa 68% des Aktienmarktes der Industrieländer ausmacht, wirken sich die politischen Entwicklungen des Landes auf die Märkte und Anleger weltweit aus.[i]
Warum kann der politische Stillstand den globalen Aktien zum Aufschwung verhelfen?
Die Aktienmärkte hassen Ungewissheit. Je einfacher eine Regierung durchregieren kann, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich das Umfeld für Unternehmen ändert und stärkere Ungewissheit aufkommt. Wenn Unternehmen bei wesentlichen gesetzlichen Änderungen eine geringere Rentabilität künftiger Projekte befürchten, können diese Investitionspläne aufschieben oder ändern. Da Gesetzesvorschläge durch die politische Pattsituation blockiert oder abgeschwächt werden, verringern sich die Risiken in Verbindung mit Gesetzesänderungen und die Unsicherheit, was wiederum den Aktien Auftrieb verleiht.
In den USA glaubt man an einen Stillstand, wenn im Weißen Haus, im Repräsentantenhaus und im Senat verschiedene Parteien das Sagen haben. Als die Demokraten die „Kontrolle“ über alle drei Institutionen übernahmen, glaubten Viele, dass der Stillstand nun überwunden und der Weg für zahlreiche neue Gesetze gebahnt sei. Die Wirklichkeit ist jedoch komplizierter: Es ist entscheidend, wie groß eine Mehrheit ist. Die Parteien, so auch die Demokraten, sind sich nicht in allen Punkten einig. Daher wird die Gesetzgebung durch die 50:50-Aufteilung im Senat und die knappe Mehrheit der Demokraten im Repräsentantenhaus – seit dem späten 19. Jahrhundert die kleinste, der sich ein neu gewählter demokratischer Präsident gegenübersah – stark verkompliziert.
Repräsentantenhaus entschärft Bidens Pläne für Infrastrukturausgaben
Das bedeutet nicht, dass gar nichts durchgesetzt wird, aber es wird schwieriger, strittige Punkte zu verabschieden, durch die Gewinner und Verlierer entstehen. Daher wird alles, was verabschiedet wird, erheblich abgeschwächt sein, was den globalen Aktien Auftrieb geben sollte.
Ein Beispiel, wie sich diese Pattsituation auswirkt sind die Infrastrukturausgaben, die durch höhere Steuern finanziert werden sollten. Zur Finanzierung der geplanten Infrastrukturausgaben setzte Präsident Biden zunächst auf die Erhöhung der Unternehmenssteuern, die Besteuerung der Kapitalgewinne von Spitzenverdienern mit dem regulären Einkommensteuersatz und die Beendigung der Steigerung der Kostenbasis im Todesfall.
Als das Repräsentantenhaus Anfang des Monats seine Steuervorschläge vorlegte, war das Ergebnis im Vergleich zu den ursprünglichen Ideen harmlos. Es wurde vorgeschlagen, den einheitlichen Unternehmenssteuersatz von 21% durch einen gestaffelten Satz von 18% bis 26,5% für Unternehmen mit einem Gewinn von über 5 Millionen USD zu ersetzen – weniger als die von Präsident Biden gewünschten 28%. Man schlug vor, den Steuersatz auf die Auslandsgewinne von Unternehmen anzuheben, sah aber auch mehrere unterstützende Abschreibungsmöglichkeiten vor. Der Vorschlag sieht die Anhebung des Kapitalgewinnsteuersatzes von 20% auf 25% für ausgewählte Spitzenverdiener vor, beschränkt diesen jedoch auf die realisierten Gewinne und Verluste und lässt die Steigerung der Kostenbasis unangetastet.
Dies ist ein Beispiel für übertrieben pessimistische Erwartungen, da die Gesetzesvorschläge durch politische Bedenken abgemildert werden. Außerdem steht noch längst nicht fest, ob diese Veränderungen ganz oder teilweise so wie vorgesehen oder überhaupt verabschiedet werden. Ich würde mich nicht wundern, wenn diese Vorschläge bei der Debatte im Kongress noch weiter verwässert würden, so wie dies bei der Debatte über die Steuerreform der Republikaner im Jahr 2017 der Fall gewesen war. Dies liegt zum Teil daran, dass einige Kongressmitglieder im November 2022 um ihre Wiederwahl kämpfen und die Kandidaten in politisch gemäßigten Bundesstaaten Ursache haben, die Verabschiedung umstrittener Gesetze hinauszuzögern.
Zudem pflegt die Partei des Präsidenten bei den Zwischenwahlen fast immer Sitze zu verlieren. In Anbetracht der dünnen Mehrheit der Demokraten im Kongress könnte das in diesem Fall den Todesstoß für alle großen Gesetzesvorhaben bedeuten.
USA entwickeln sich im Einklang mit anderen Industrieländern
Obgleich die Aktienmärkte der einzelnen Länder jeweils anderen Einflussfaktoren unterliegen, entwickeln sich die Märkte der USA in der Regel im Einklang mit den anderen Industrieländern. Die Korrelation der Aktienmärkte der weltweiten Industrieländer außer den USA mit dem US-Aktienmarkt belief sich in den letzten 20 Jahren auf +0,85[ii] und ist damit verhältnismäßig stark, wenn man bedenkt, dass -1,0 für ein umgekehrtes Verhältnis und +1,0 für eine vollkommene Korrelation steht. Diese positive Korrelation ist von Vorteil für Nicht-US-Aktien, weil nicht nur die US-amerikanischen Aktien durch den politischen Stillstand Auftrieb bekommen, sondern auch ihre Pendants in den übrigen Industrieländern der Welt oft in dieselbe Richtung tendieren. Die politische Pattsituation in den USA dürfte in absehbarer Zukunft bestehen bleiben und für weiteren Auftrieb sorgen. Auch wenn Anleger befürchten, dass die Demokraten die US-Politik im Würgegriff hätten, ist dies wohl kaum der Fall. Parteiinterner Streit, die knappe Mehrheit der Demokraten im Kongress und die anstehenden Zwischenwahlen deuten auf eine anhaltende Pattsituation hin. Dies dürfte dazu beitragen, dass das Risiko von Gesetzesänderungen geringer wird, und die globalen Aktien weiterhin im Auftrieb sind.
Einschätzung von Aaron Anderson, Senior Vice President of Research, Fisher Investments
[i] Quelle: FactSet, Stand: 31.07.2021. Die USA machen 67,7% des MSCI World Index aus, der die Performance ausgewählter Aktien in 23 Industrieländern misst.
[ii] Quelle: FactSet, Stand: 15.09.2021. Korrelation zwischen dem MSCI USA Price Index und dem MSCI Ex USA Price Index, wöchentlich, vom 19.01.2001 bis 10.09.2021.