Nachhaltigkeitsprozesse sind kein Sprint, sondern ein Marathon
18.02.2025
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(v. l. n. r.) Stefan Gehrke, Redakteur finanzwelt, Thomas Hein, Gunter Schäfer, Dr. Robin Braun, Philipp Bäcker und Alexander Heftrich, Chefredakteur finanzwelt / Foto: © Sabrina Henkel
finanzwelt: Wie ist das Thema Nachhaltigkeit in der Baufinanzierung positioniert? Gibt es da eine Neuorientierung? Reagiert die Branche auf aktuelle, globale und politische Entwicklungen?
Thomas Hein» Im Moment können wir keinen Paradigmenwechsel feststellen. Ich glaube, es ist auch noch viel zu früh, um politische Prognosen aufzustellen. Dass in Amerika einige Banken aus Nachhaltigkeits-Vereinbarungen aussteigen, mutet schon ein wenig seltsam an, aber am Ende ist es deren Entscheidung. Wir als ING werden sicherlich unseren Weg weitergehen, weil wir es für wichtig erachten, dass das Thema Nachhaltigkeit auch bei den Kunden und Kundinnen ankommt und dass wir Wege finden, die Konsequenzen der Erderwärmung für unsere Umwelt, für unser Umfeld und für uns Menschen selbst zu begrenzen. Sehen Sie, ich bin aktuell zweifacher Opa, das dritte Enkelkind hat sich angekündigt und ich sage voller Überzeugung: Ich möchte meinen Enkeln eine gesunde Welt übergeben.
Wenn wir also über Prioritäten reden, was ja die Eingangsfrage war, dann glaube ich, dass das Thema Nachhaltigkeit angesichts globaler Entwicklungen nicht untergehen darf. In Deutschland steht die nächste Wahl bevor, und wir werden sehen, wie sich die neue Bundesregierung zu den einzelnen Themen aufstellt, wo sie Schwerpunkte setzt. Wenn man sich die Häuser und Gebäude in Deutschland anschaut, dann tragen diese ja zu über 40 % zum CO2- Ausstoß bei. Auch mit Blick auf die aktuelle Zinsentwicklung führt das dazu, dass eine gewisse Zurückhaltung eintritt. Immer dann, wenn keine klare Richtung vorgegeben ist, sind Menschen und Unternehmen zurückhaltend bei den Investitionen. Aus diesem Grund wird es wichtig sein, dass eine neue Bundesregierung am Ende sehr schnell klar macht: Was hat sie vor, wo sind die Prioritäten, wie können Schwerpunkte gesetzt werden?
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finanzwelt: Herr Schäfer, neben allen unternehmerischen Prinzipien, hat sich auch Ihre persönliche Sicht auf nachhaltige Prozesse verändert?
Schäfer» Ja. Ich habe auch drei jugendliche/ erwachsene Kinder zu Hause. Worüber wir sprechen, ist die Tatsache, dass alle ziemlich verschreckt sind aufgrund des Wirrwarrs in der Politik. Wir haben jetzt Trump und den Musk und die AfD. Und dort entstehen Verbindungen, die keinem gefallen dürften, Alice und Elon stehen sicher nicht für das ‚Wunderland‘. Deswegen glaube ich, dass sowohl die Großeltern, Eltern und jugendlichen Generationen das Bedürfnis bekommen, sich verstärkt wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren, etwas, was man anfassen und woran man glauben kann, etwas Konkretes. Also: Emotionalität vor Rationalität, Menschsein vor Größenwahn und Fake. Nicht die Scheuklappen aufsetzen, denn die genannten Entwicklungen gehen an keinem vorbei.
Was ist wichtig? Was ist mir persönlich wichtig? Ist eine Aktie nur ein Spielball? Kann ich meinem Geld auch eine Richtung geben? Der WEF Global Risks Report 2024 hat die globalen Risiken auf zwei bzw. auf zehn Jahre analysiert. Auf zwei Jahre gesehen steht an der ersten Stelle der Befragten ‚Fehl- und Desinformation‘. An zweiter Stelle ‚extreme Wetterereignisse‘. Dann haben wir ‚gesellschaftliche Polarisierung‘, ‚Cyberrisiken‘ und ‚zwischenstaatlicher bewaffneter Konflikt‘. Auf Zehn-Jahres- Sicht verschieben sich allerdings die Prioritäten: Erster Punkt, ‚extreme Wetterereignisse‘, danach folgen ‚kritische Veränderungen der Erdsysteme‘, ‚Verlust der biologischen Vielfalt und Zusammenbruch der Ökosysteme‘, ‚Knappheit der natürlichen Ressourcen‘ und ‚Fehl- und Desinformation‘. Sie sehen: Der gesamte Komplex Umwelt und Ökologie rückt massiv in den Vordergrund. Wir können nicht mehr wegschauen. Auch wenn das Thema im Moment etwas abgekühlt scheint, so ist die Notwendigkeit zu ethischen, sozialen und ökologischen Prozessen nicht weg. Wir müssen also als Branche unser Storytelling, Marketing und Vertrieb an die Gefühlslage der Menschen anpassen, damit wir sie für uns gewinnen!
finanzwelt: Wenn sich allerdings Blackrock oder US-Banken wie Morgan Stanley, Citigroup, Bank of America, Wells Fargo und Goldman Sachs vom Klima-Aktionsbündnis NZBA zurückziehen, dann hat das Thema offensichtlich weniger Relevanz in den Unternehmen? Letztlich denkt sich der Bürger: Wenn die da oben es als nicht so wichtig erachten, dann muss ich auch nicht mitmachen. Wurden hier im Storytelling-Fehler gemacht?
Hein» Natürlich sind das die Schlagzeilen, die die letzten Monate stark dominiert haben. Doch ich glaube, das sagt mehr über das politische Umfeld aus, in dem sich diese US-Unternehmen gerade befinden, als über die inhaltliche Fragestellung. Es kann sein, dass einzelne Asset Manager ursprünglich einem Herdentrieb gefolgt sind und sich Initiativen angeschlossen haben, ohne wirklich – rechtlich gesehen – ihre ‚Hausaufgaben‘ gemacht zu haben. Es gibt immer noch sehr viele Unternehmen, die der Initiative angehören und die es wirklich ernst meinen. Aus diesem Grund würde ich nicht die Daseinsberechtigung der NZBA infrage stellen. Vermutlich lassen sich die Prozesse als Asset Owner oder auch als Finanzdienstleister leichter umsetzen, wie als Asset Manager – weil man eben das Prinzip der treuhänderischen Verantwortung hat und man jede einzelne Anlegervereinbarung ändern müsste, wenn man denn wirklich einen Net-Zero-Gedanken einbringen will.
finanzwelt: Sie erwähnten die Regulatorik. Machen wir einen Schwenk von Amerika nach Deutschland: Mit der alten, eher linksgerichteten Regierung, entstand der Eindruck, dass nachhaltige Themen dem Bürger aufoktroyiert wurden. Der Gegenwind war nachvollziehbar.
Dr. Braun» Richtig, deswegen fand ich das, was seit 2019 in erster Linie von der Europäischen Kommission kam, nämlich die sogenannte ‚Offenlegungsverordnung‘, sinnvoll. Da wurde ja inhaltlich zum Thema Nachhaltigkeit nichts aufoktroyiert, sondern es ging eben nur um die Offenlegungspflicht. Wenn ein Unternehmen behauptet, etwas sei nachhaltig, dann muss es auch darlegen, warum und wie das gemessen und erreicht werden soll. In meinen Augen wird Nachhaltigkeit immer etwas Subjektives sein, für jeden etwas anders, und über die Offenlegungspflicht hat dann der Endanleger oder die Endanlegerin die Möglichkeit, sich schlau zu machen, um sich zumindest bei einem Finanzprodukt eine eigene Meinung zu bilden. Natürlich gab es dann nachgelagert über die vorgeschlagene BaFin- Richtlinie oder auch das Verbändekonzept die Top-Down-Vorgaben, was ein Nachhaltigkeitsprodukt auszuschließen hat – und das wurde prompt eher skeptisch betrachtet.
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Die Auswirkungen der Bundestagswahl auf die Strategie des Asset Managers
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