Nachhaltigkeitsprozesse sind kein Sprint, sondern ein Marathon

18.02.2025

(v. l. n. r.) Stefan Gehrke, Redakteur finanzwelt, Thomas Hein, Gunter Schäfer, Dr. Robin Braun, Philipp Bäcker und Alexander Heftrich, Chefredakteur finanzwelt / Foto: © Sabrina Henkel

Exklusiv

2025 ist laut dem chinesischen Kalender das Jahr der Schlange – und damit ein gutes Jahr, um „neue Wege einzuschlagen, innovative Denkansätze, Projekte und kreative Ideen voranzutreiben“. Das könnte eine gute Basis für das Mega-Thema „Nachhaltigkeit in der Finanzbranche“ sein. Aus diesem Grund hatte die finanzwelt-Redaktion im Januar zu einem Experten- Roundtable geladen, um ganz bewusst die möglichen inhaltlichen Schnittpunkte der einzelnen Disziplinen abzuklopfen. Die Teilnehmer der ebenso bunten wie fachkundigen Runde waren Philipp Bäcker, Leiter Nachhaltigkeit bei der R+V Versicherung, Thomas Hein, Leiter Vertrieb Immobilienfinanzierung ING Deutschland, Dr. Robin Braun, Geschäftsführer und Chief Sustainability Officer bei der SPSW Capital GmbH, Laiqon, sowie Gunter Schäfer, Chief Sales/Communications/ Marketing Officer bei Arete Ethik Invest. Sie standen der Redaktion, bestehend aus Alexander Heftrich und Stefan Gehrke, Rede und Antwort.

finanzwelt: 1057 und 2,6. Wir möchten unser Gespräch aufmachen mit diesen beiden Zahlen und einer etwas provokanten These. Es sind 1057 Tage her, seit der Ukraine-Krieg ausgebrochen ist. Und 2,6 % betrug die Inflation in Deutschland zuletzt. Vor dem Hintergrund geopolitischer Krisen und einer Inflation, die kürzlich erst wieder angestiegen ist: Haben wir nicht ganz andere Sorgen, als uns um die Themen Nachhaltigkeit und ESG zu kümmern?
Philipp Bäcker» Da möchte ich eine weitere Zahl in den Raum werfen, nämlich 1,5! Wir haben ja gerade erfahren, dass das letzte Jahr im Durchschnitt 1,5 Grad wärmer war als im vorindustriellen Mittel. Und insofern glaube ich, hat das Thema immer noch eine Relevanz. Nur weil ein Prozess langsam, manchmal auch unmerklich verläuft, heißt es nicht, dass er keine Bedeutung hat. Ganz im Gegenteil: Wenn wir die Konsequenzen des Klimawandels zu spüren bekommen, dann ist es schon zu spät, Maßnahmen zu ergreifen. Selbst wenn wir heute aufhören würden, Emissionen zu erzeugen, dann merken wir das erst in vielen Jahren. Und gerade für uns als Versicherer hat das Thema maßgeblichen Einfluss auf unser Geschäftsmodell. Insofern sehe ich unvermindert eine große Bedeutung für dieses Thema.

finanzwelt: Herr Schäfer, wie sieht das ein Experte für ethische und nachhaltige Investments?
Gunter Schäfer» Ich stimme dem zu. Und ich würde mal vom menschlichen Gesichtspunkt ein weiteres Themengebiet nennen, was nichts mit Krieg oder Inflation zu tun hat: Mikroplastik. Wir wissen alle, dass über Kosmetikartikel, über Fast Fashion, jede Menge Mikroplastik ins Wasser gerät und somit in den Fisch, auf den Teller, in uns. Mikroplastik wird mittlerweile in der Muttermilch nachgewiesen! Wenn ich mit Vertriebspartnern und Kunden spreche, stelle ich fest, dass dieses Thema mehr interessiert als Krieg oder Waffen oder Atomkraft – weil es die Menschen direkt betrifft. Umgerechnet essen viele von uns pro Woche Plastik in der Menge einer Kreditkarte. Kein Mensch will das. Daher ist es hier ein guter Ansatz, Wege aufzuzeigen, die Mikroplastik reduzieren können. Das ist nur ein Beispiel. Artenvielfalt, Biodiversität – was die Menschen jeden Tag lesen und erfahren, das beschäftigt sie. Wenn verantwortungsvolle Player der Finanzbranche Einfluss nehmen können, indem man Geld in die richtige Richtung lenkt, dann ist das viel wert. Dr. Robin Braun» Ich finde es spannend, hier die unterschiedlichen Perspektiven, beispielsweise von einem Versicherer, zu erfahren. Bei SPSW Capital als Anbieter von Asset-Management- Lösungen und Publikumsfonds bekommen wir oft zu hören: Wichtig ist die Rendite, die erbracht wird. Die Börsen und die Märkte sind gerade etwas fragil und am Thema Nachhaltigkeit nicht so interessiert – so zumindest die Meinung nach außen. Doch ich sage: Das eine schließt das andere nicht aus. Zum Beispiel beim Thema gesellschaftliche Bedrohung und Migration. Wenn Menschen flüchten, beispielsweise aus dem afrikanischen oder dem Nahost- Raum, dann stecken teilweise auch Klimagründe oder soziale Spannungen dahinter. Das heißt, diese Themen gehören alle zusammen. Für uns ist das Teil einer Risikobetrachtung. Natürlich hat der russische Angriffskrieg auf die Ukraine dazu geführt, dass bestimmte Nachhaltigkeitsthemen verworfen wurden, ein paar Paradigmen, wie die Rolle der Rüstungsbranche, nochmal neu auf den Prüfstand gestellt wurden. Das sind für uns aber Aspekte, mit denen wir uns nach wie vor beschäftigen. Aber wir können das Thema Nachhaltigkeit nicht aufschieben und erklären: Das spielt jetzt keine Rolle mehr.

Eine weitere Zahl, die ich noch in den Raum stellen will, ist 2030. Die Sustainable Development Goals der UN wurden 2015 mit dem Ziel bis 2030 aufgestellt. Das ist jetzt auch nur noch fünf Jahre entfernt. Wenn wir uns anschauen, wie wir bei den einzelnen SDGs in der Zielerreichung dastehen, muss ich sagen: nicht sonderlich gut. Das heißt, wir haben keine Zeit zu verlieren. Wenn institutionelle Kunden in der regulatorischen Landschaft verunsichert sind, dann ist es unsere Rolle, Hilfestellungen zu leisten, aufzuklären und Lösungen zu schaffen. Und wenn man selbst Publikumsfonds anbietet, dann ist es einfach unsere Aufgabe, standhaft zu sein oder auch Strategietreue zu zeigen. Wenn jetzt auf einmal behauptet wird, Rüstung sei doch nachhaltig, dann stelle ich mir die Frage: Agiere ich persönlich als Fähnlein im Wind, oder sage ich, dass Rüstung oder Verteidigung zwar notwendig sind, aber nicht zwangsläufig nachhaltig? Als Unternehmen würden wir diese Bereiche immer noch aus einem nachhaltigkeitsgebrandeten Publikumsfonds ausschließen.