Falschberatung des Versicherers bei sachlich begrenzter Frage?

21.08.2024

Rechtsanwalt Jens Reichow. Foto: Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte

Es liegt keine Falschberatung des Versicherers vor, wenn dieser keine umfassende Beratung leistet, nachdem sich ein Versicherungsnehmer mit einer konkreten Frage zur Aktivierung einer Anwartschaftsversicherung an ihn wendet (LG Konstanz, Urteil vom 20.07.2023 – B 10 O 39/22).

Aktivierung einer Anwartschaftsversicherung

Im Fall vor dem Landgericht Konstanz unterhielt die Versicherungsnehmerin eine Anwartschaftsversicherung bei einer privaten Krankenversicherung. Mit einer Anwartschaftsversicherung kann der Versicherungsschutz zu einem späteren Zeitpunkt ohne erneute Risikoprüfung aufgenommen werden. Laut den Allgemeinen Versicherungsbedingungen des Versicherers kann die Anwartschaftsversicherung für die Dauer einer Krankenversicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung abgeschlossen werden und beginnt rückwirkend, wenn der Antrag innerhalb von drei Monaten seit Vorliegen der Voraussetzungen für den Abschluss einer privaten Krankenversicherung gestellt und ein entsprechender Nachweis eingereicht wird.

Im Falle der Fristversäumung ist der Versicherer hingegen berechtigt, eine erneute Prüfung des Gesundheitszustandes vorzunehmen. Je nach Ergebnis der Gesundheitsprüfung ist der Versicherer berechtigt, die Annahme des Antrags auf Abschluss einer Krankenvollversicherung von besonderen Bedingungen – beispielsweise Risikozuschlägen oder Leistungsausschlüssen – abhängig zu machen.

Die Versicherungsnehmerin erklärte hier gegenüber dem Versicherer, dass sie zeitnah Beamtin auf Probe werden würde. Da sie sich dann wieder privat krankenversichern könne, wandte sie sich mit Fragen zur Aktivierung der Anwartschaft an den Versicherer.

Die Versicherungsnehmerin beantragte schlussendlich auch die Aufnahme in die Krankenvollversicherung. Jedoch hielt sie dabei die Frist von drei Monaten nicht ein. Daher führte der Versicherer eine erneute Gesundheitsprüfung durch. Infolgedessen wollte der Versicherer den Vertrag nur mit Risikozuschlägen und Leistungsausschlüssen fortsetzen.

Die Versicherungsnehmerin begehrte nun vor dem LG Konstanz die Feststellung des Bestehens von Versicherungsschutz ohne die Risikozuschläge sowie ohne Leistungsausschluss. Sie machte unter anderem eine Falschberatung des Versicherers geltend. Die Vertriebsmitarbeiterin des Versicherers hätte sie auf die Frist und die Folgen der Nichteinhaltung hinweisen müssen, als sie sich wegen der bevorstehenden Verbeamtung auf Probe an den Versicherer gewandt hat.

Der Versicherer hingegen berief sich dabei auf die Rechtmäßigkeit der beiden Risikozuschläge sowie des Leistungsausschlusses. Die Aktivierung der Krankenvollversicherung sei nur mit erneuter Gesundheitsprüfung möglich, da die Versicherungsnehmerin diese nicht fristgerecht beantragt habe. Vor dem Hintergrund, dass die Versicherungsnehmerin vorliegend lediglich die Versicherungsmöglichkeit im Falle der Verbeamtung klären wollte, habe keine Veranlassung für eine weiterführende Nachfrage oder Beratung bestanden.

Keine Falschberatung des Versicherers

Das OLG Konstanz entschied, dass vorliegend keine Falschberatung des Versicherers vorliegt. Die Frage der Versicherungsnehmerin war sachlich begrenzt und bezog sich erkennbar nur auf den Aspekt der Verbeamtung. Daher musste der Versicherer nicht mit weiterem Informationsbedarf rechnen.

Antrag auf Aktivierung der Anwartschaft war verfristet

Die Versicherungsnehmerin hat die Aktivierung der Anwartschaft vorliegend nicht innerhalb von drei Monaten beantragt. Auf fehlende Kenntnis von der dreimonatigen Frist kann sie sich nicht berufen. Das Erfordernis der Einhaltung der Frist ergibt sich sowohl aus den der Versicherungsnehmerin zugänglich gemachten Allgemeinen Versicherungsbedingungen, als auch aus diversen Schreiben des Versicherers. Der Hinweis, dass eine fristgerechte Beantragung erfolgen muss und es andernfalls zu einer erneuten Beurteilung des Gesundheitszustands kommt, erfolgte somit mehrfach.

Grenzen der Frage- und Informationspflichten des Versicherers

Entgegen der Auffassung der Versicherungsnehmerin liegt hier auch keine Falschberatung des Versicherers vor. Der Umfang der Fragepflicht ist grundsätzlich an den geäußerten Wünschen des Versicherungsnehmers und den sonstigen sie auslösenden Anlässen orientiert und daher auch durch diese begrenzt. So muss nicht nach allen möglichen Plänen gefragt werden, für deren Vorhandensein kein Anhaltspunkt und damit auch kein erkennbarer Beratungsanlass besteht. Der Versicherer muss sich nicht von sich aus um jedes Detail kümmern, das in irgendwelchen Zusammenhängen einmal Bedeutung erlangen kann, aber nur für einen relativ kleinen Teil der Versicherungsnehmer, die an einem Vertrag des nachgefragten Typs interessiert sind, schon im Hinblick auf den Vertragsschluss relevant ist. Misst der Versicherungsnehmer einem solchen Detail Bedeutung zu, so ist ihm zuzumuten entsprechende Fragen zu stellen. Auch sonst kann der Versicherungsnehmer zu einer Eigeninitiative während der Beratung gehalten sein und darf sich nicht einfach nur auf die Beantwortung der Fragen des Versicherers beschränken.

Die Fragepflicht des Versicherers und dessen Aufklärungspflichten enden dort, wo eine Klarheit schaffende Eigeninitiative des Versicherungsnehmers zu erwarten ist. Weitere Grenzen ergeben sich aus dem beim Versicherungsnehmer vorauszusetzenden Informationsstand. Der Versicherer kann davon ausgehen, dass er einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer vor sich hat, der über weit verbreitete Grundkenntnisse im Hinblick auf dem von ihm nachgefragten Versicherungstyps verfügt, sofern keine Anhaltspunkte für eine – einen besonderen Beratungsanlass bildende – Unterdurchschnittlichkeit des Kenntnisstands des Versicherungsnehmers vorliegen.

Die Versicherungsnehmerin schilderte gegenüber dem Versicherer lediglich, dass für sie eine zeitnahe Verbeamtung in Frage komme. Daraus ergaben sich Fragen zur privaten Krankenversicherung. Die Beantwortung des Versicherers orientierte sich an den Wünschen der Versicherungsnehmerin. Es wird nicht deutlich, dass darüber hinaus weiterer Beratungsanlass bestand, so das OLG Konstanz.

Fazit

Der Umfang von Beratungspflichten stellt häufig den Streitgegenstand juristischer Auseinandersetzungen dar. Hier legte das LG Konstanz dar, dass keine Beratungspflichtverletzung des Versicherers vorlag. Gleichwohl bedarf es stets einer Einzelfallprüfung, um beurteilen zu können, ob es im konkreten Fall zu einer Falschberatung des Versicherers gekommen ist.

Gastbeitrag von Rechtsanwalt Jens Reichow, Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow.