ESG wird immer wichtiger und entwächst den Kinderschuhen
09.09.2020
Alexander Lippert (li.) und Patrick Vogel (re.) - Foto: © MainFirst Asset Management
ESG - ein Kürzel, das viele umtreibt. Vor und eben auch nach Corona. Zeit, um diesem Trend etwas auf den Grund zu gehen und nachzufragen. finanzwelt sprach hierzu mit Experten bei MainFirst. Zum einen Patrick Vogel, Portfoliomanager im Team Global Equities/ Absolute Return Multi Asset, zum anderen Alexander Lippert, Portfoliomanager im Team Blend/ European Equities.
finanzwelt: Die Abkürzung ESG ist am Kapitalmarkt derzeit in aller Munde. Die Anbieter überbieten sich quasi beim Auflegen neuer Nachhaltigkeitsprodukte und Börsenbetreiber stellen neue Nachhaltigkeitsindizes vor. Wie ordnen Sie diese Entwicklung ein?
Alexander Lippert: Wenn früher die Rede von Nachhaltigkeit im Finanzsektor war, dann schweifte der Blick meist in Richtung Nischenthema für Ökos. Doch die Zeiten ändern sich. Spätestens seit der Vorstellung des umfassenden EU-Aktionsplans „Financing Sustainable Growth“ 2018 hat die Diskussion über eine nachhaltige Ausgestaltung des Finanzsystems immens an Fahrt aufgenommen. Sicherlich haben auch die Fridays for Future-Bewegung, Briefe von BlackRock an RWE und andere große Emittenten im Rahmen der Climate Action 100+ Initiative ihren Teil dazu beigetragen, Aspekte wie einen verbesserten Klimaschutz mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit und damit auch der Investoren zu rücken. Das mündet darin, dass neben rein monetären Aspekten verstärkt auch soziale Gründe, Umweltfaktoren und Governance-Aspekte (ESG) künftig bei einer Investitionsentscheidung berücksichtigt werden.
Die Coronakrise wirkt hierbei sozusagen als Katalysator und hat das Umwelt-/ Sozial- und gesellschaftliche Bewusstsein der Anleger nicht geschmälert. Im Gegenteil: Die Pandemie fördert die Anlagen in nachhaltige Investments, denen Experten mitunter eine höhere Krisenfestigkeit zuschreiben als ihren konventionellen Pendants. Kurzum: ESG wird immer wichtiger und entwächst den Kinderschuhen. Ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig - das ist der Dreiklang, der mitunter die Zukunft maßgeblich mitprägt. Übrigens, der Marktanteil nachhaltiger Fonds und Mandate in Deutschland liegt Ende 2019 dank einem Wachstum von mehr als 30 Prozent bei erstmals über 5 Prozent (Quelle: FNG).
finanzwelt: Ein Kritikpunkt der Vergangenheit beinhaltete, dass die bisherige ESG-Kennzeichnung für Investoren ziemlich verwirrend war. Zu Recht?
Patrick Vogel: Tatsache ist, dass es bis dato keine allgemeinverbindliche oder rechtliche Definition des Begriffes „nachhaltige Geldanlagen“ gibt. Entsprechend konnte der Einsatz von ESG-Kriterien weiter oder enger definiert werden. Zu erkennen ist dies an zwei unterschiedlichen Aspekten:
- Die Top Ten der Ausschlusskriterien (siehe Abbildung) in Deutschland unterscheiden sich erheblich: Zwar wird sich an ethischen Standards wie dem UN Global Compact orientiert, jedoch ist man sich nach wie vor uneins über die Integration von Kernenergie oder Öl & Gas.
Quelle: https://fng-marktbericht.org/der-nachhaltige-anlagemarkt-deutschland-2/
- Selbst die Anbieter von Nachhaltigkeitsanalysen unterscheiden sich drastisch in ihrem Konzept, so dass man bei Unternehmen wie Tesla, Volkswagen oder Porsche zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann, was den Nachhaltigkeitsaspekt betrifft.
Die Regulierungsinitiativen auf europäischer Ebene zielen nun darauf ab, diese Begriffsvielfalt zu strukturieren und zu einer verständlichen Begriffsdefinition zu gelangen.
Vor kurzem hat das Europäische Parlament hierzu die sogenannte Taxonomie-Verordnung verabschiedet, die ein elementarer Baustein bei der Umsetzung des im Jahre 2018 veröffentlichten Aktionsplans der EU-Kommission zur Finanzierung eines nachhaltigen Wachstums ist, mit dem Gelder in nachhaltige Investitionen gelenkt werden sollen. In der nun in Kraft getretenen Taxonomie-Verordnung wird verbindlich festgelegt, wann eine Wirtschaftstätigkeit unter ökologischen Aspekten nachhaltig ist. Sie dient als Richtschnur für Investoren. Dennoch stehen wir vor der Schwierigkeit, dass ein Fonds den Zielen und Werten des Endkunden entsprechen muss. Da auch dieser sich (glücklicherweise) nicht einer Norm unterwirft, vermuten wir, dass auch in Zukunft die Ansätze und Ausschlusskriterien unterschiedlich ausfallen werden.
finanzwelt: Wie geht Ihr Haus mit dem vielschichtigen ESG-Thema um?
Vogel: Bereits 2015, mit dem Unterzeichnen der Prinzipien für verantwortliches Investieren der Vereinten Nationen (UN PRI), hat MainFirst als Multi-Boutique zum Ausdruck gebracht, welchen Stellenwert wir dieser globalen und generationenübergreifenden Thematik beimessen. Die dort fixierten sechs freiwilligen und erstrebenswerten Prinzipien für verantwortliches Investieren bieten eine Reihe von möglichen Maßnahmen zur Einbindung von ESG-Themen in die Investitionspraxis. Als Unterzeichner unterstützen wir diese Prinzipien für verantwortliches Investieren uneingeschränkt. Somit hat für uns die Integration von ESG-Nachhaltigkeitskriterien im Anlageentscheidungsprozess gewissermaßen schon Tradition. Wir haben bewusst unser Nachhaltigkeitsverständnis im Laufe der Jahre immer weiter vertieft und es ist unser Streben, diese Strategie weiter zu verfolgen. Dabei legen wir Wert darauf zu betonen, dass nachhaltiges Investieren gemäß unserer Auffassung weitaus mehr als nur das Meiden gewisser Industrien oder den Fokus auf ökologische Aspekte beinhaltet. Starke Corporate Governance-Strukturen oder auch soziale und ethische Komponenten spielen als zentrale Einflussgrößen bei den Anlageentscheidungen eine ebenso wichtige wie gleichbedeutende Rolle.
Zudem möchten wir sicherstellen, dass unsere Portfolio Manager diesen Prozess leben und bestimmen. Als Multi-Boutique-Haus ist es uns wichtig, dass dadurch in der Konsequenz einzelne Teams unterschiedliche Ansätze verfolgen können. Beispielsweise kann ein globales Aktienprodukt, welches hauptsächlich in Mega bis Large Caps investiert ist, einen unterschiedlichen Ansatz verfolgen als beispielsweise jenes Produkt, welches in mittlere oder kleine Unternehmen in Deutschland investiert.
finanzwelt: Greifen Sie auch auf externe Expertise/Dienstleister zurück?
Lippert: Auch wir bedienen uns der Expertise eines Dienstleisters, der auf ESG-Analysen spezialisiert ist und kooperieren mit Sustainalytics – einem Morningstar-Unternehmen und führenden Anbieter von Nachhaltigkeitsanalysen. Das Analysehaus begleitet seit knapp drei Jahrzehnten Investoren und Vermögensverwalter bei der Umsetzung von verantwortungsvollen und nachhaltigen Strategien. Diese externen, unabhängigen quantitativen Daten lassen wir in unsere Investmentanalyse und den letztlichen Entscheidungsprozess einfließen. Dem treuhänderischen Auftrag gegenüber unserem Kunden möchten wir jedoch gerecht werden, indem wir die Analyse hinterfragen und uns eine eigene Einschätzung erlauben. Insbesondere bei Small und Mid Caps liefert unsere eigene Expertise den Mehrwert.
finanzwelt: Wie schaut es mit der ESG-Konformität Ihrer Fonds aus?
Vogel: Es freut uns sehr, dass erst vor kurzem drei unserer Fonds, namentlich MainFirst Absolute Return Multi Asset, MainFirst Global Equities Fund sowie der MainFirst Global Equities Unconstrained Fund das begehrte „LuxFLAG ESG Label“ der unabhängigen und international anerkannten Luxembourg Finance Labelling Agency (LuxFLAG) verliehen bekommen haben. Die drei genannten Fonds verfolgen den Anspruch, ein besseres ESG Risikoprofil als die jeweilige Benchmark auszuweisen.
Lippert: Speziell das G im Kürzel ESG – also die Governance-Komponente – ist seit jeher fest in unserer Investmentphilosophie verankert. Ein besonderes Augenmerk auf Managementqualität, Eigentümerstrukturen und mögliche Interessenkonflikte gehörte schon lange, bevor ESG en vogue kam, zu unseren wichtigsten Determinanten für ein erfolgreiches Investieren. Als aktive Investoren pflegen wir zudem einen intensiven und regelmäßigen Dialog mit den Vorständen unserer Portfoliotitel. Wir möchten gegenüber unseren Kunden Transparenz bieten. Deswegen unterstützen wir zum einen die kommenden regulatorischen Anforderungen. Zum anderen möchten wir unsere Kunden zukünftig noch häufiger über unsere Ansätze zu mehr Nachhaltigkeit in unserer Investitionstätigkeit informieren. (ah)
Zitat Alexander Lippert:
„Wir führen einen aktiven Dialog mit den Unternehmensvertretern unserer Portfoliopositionen. Dieser dient dem konstruktiv-kritischen Austausch über strategische als auch nachhaltigkeitsorientierte Themen. Unser Ziel ist, durch dieses Engagement eine Verbesserung des ESG-Profils auf Unternehmensebene zu erreichen.“
Zitat Patrick Vogel:
„Nachhaltiges Handeln ist von einem „Nice-to-have“ zum „Must-have“ für Unternehmen und letztlich auch für die Investoren geworden.“