Ein neues Gewand
09.05.2023
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Obwohl recht risikoreich, ist die hohe Renditeerwartung im Value Add-Segment ein ansprechender Faktor für die Profis im Immobilien-Investment. Die Wertsteigerung von Immobilien, die nach Ende ihres ersten Lebenszyklus bereits einige Jahre leerstehend zugebracht haben und somit als trostloser Makel sofort ins Auge fallen, sind eine vielversprechende Option für die Stadtentwicklung. Aus diesem Grund gibt es auch die Spezialisten in der Branche. Mit der Corona-Pandemie hat sich allerdings auch dort einiges verändert, und auch das Value Add-Segment passt sich entsprechend an.
Bei einem Thema wie Value Add sind gegensätzliche Experten-Meinungen trotz ähnlicher Geschäftsfelder von besonderem Interesse. Prof. Dr. Thomas Beyerle, Head of Group Research der Catella Real Estate AG, bejaht grundsätzlich, dass diese Strategie auch für Privatanleger geeignet ist. Gesetzt den Fall, sie möchten eine höhere Rendite/Risiko in ihrem Anlageverhalten verfolgen und sind sich des hohen Ausfallrisikos bewusst. Matthias Pink, Director und Head of Research bei Savills Deutschland, verneint entschieden: „Der Value Add-Ansatz ist was für Profis und für den typischen Privatanleger auch deshalb nicht geeignet, weil das Anlagerisiko und der erforderliche Kapitaleinsatz hoch sind“, so Pink, „indirekte Beteiligungsformen, um an Value Add-Strategien im Immobiliensegment zu partizipieren, z. B. Fonds, gibt es kaum.“ Senioren- und Pflegeheime sind aufgrund des demografischen Wandels (Demografie-Effekt) für das Value Add-Segment ansprechend. Die Bevölkerung wird immer älter, also muss die Versorgung dieser Generation gewährleistet werden. „Der Risikobegriff in Verbindung mit Healthcare erklärt sich aus einem hohen Wachstumspotenzial in den kommenden Jahren und einem relativ wenig standardisierten Markt. Es gibt also nur sehr allgemeine Abgrenzungen und die Überschneidungen sind teilweise groß“, erklärt Dr. Beyerle die Sicht der Investoren und spricht dem Segment eine gute Prognose in Post-Corona-Zeiten zu. „Mit Blick auf die Wachstumsperspektiven ist sie positiv, wenngleich der Bestand teilweise nicht mehr zeitgemäß erscheint – es werden zu wenige ‚Betten‘ gebaut, obwohl die Nachfrage strukturell durch den demografischen Wandel weiter steigt. Diese Chance sehen Investoren.“
Eine Anlagestrategie mit Weitblick?
Der Gedankensprung ist mit Dr. Beyerles Argumentation nicht weit. Value Add entpuppt sich also als eine Anlagestrategie mit einem gewissen Weitblick, wenn man für einen Augenblick von dem hohen Ausfallrisiko absieht. Verschiedene Nutzungsarten zeigen die Vielseitigkeit. Matthias Pink erklärt den Fokus von Savills auf Gesundheitsimmobilien sowie Büros und Hotels: „Eine Wertsteigerung durch Aufwertung oder Repositionierung einer Immobilie lässt sich grundsätzlich bei allen Nutzungsarten erreichen, weil sich die Nutzerbedürfnisse in einem steten Wandel befinden“, erläutert der Head of Research, „und viele Gebäude diesen Bedürfnissen irgendwann nicht mehr (voll) entsprechen; Nutzungen, bei denen sich die Bedürfnisse schneller wandeln, bieten mehr Value Add-Potenzial als solche, wo das nur langsam passiert; so vollzieht sich derzeit beispielsweise im Einzelhandel ein rasanter Wandel und viele Einkaufzentren müssen repositioniert werden.“ Einen solchen Wandel hat mit der Corona-Pandemie auch die Hotelbranche erleben müssen. Doch auch bei Hotel-Immobilien könnte Value Add ansetzen. Die Geschäftsreisen, die mit den langen Lockdowns weggefallen sind, zwangen viele Hotels dazu, den Betrieb einzustellen. Pink schlägt daher die Umwandlung der einstigen Business-Hotels in Wohnungen vor. Auch die klassische Büroarbeit muss neuen Lösungen weichen. Seit der Einführung des Homeoffice ist das mehr als klar. Der Markt für Büroimmobilien muss sich also anpassen, aber dennoch stellt sich eine Generalisierung als schwierig dar. Etwa zeigen aktuelle Zahlen (PwC-Studie „Home bleibt Office“, 2021), dass sich 78 % der Arbeitnehmer mehr Homeoffice wünschen, während sich 78 % der Arbeitnehmer zwischen 18 bis 29 Jahren auf die Rückkehr ins Büro freuen. Der Experte bezieht sich ebenfalls auf diesen Arbeit-Mix und zieht daraus zwei Konsequenzen für den Büroimmobilien-Markt: „Erstens sinkt der Büroflächenbedarf, weil manche Unternehmen weniger Bürofläche benötigen als bisher, und zweitens verändern sich die qualitativen Anforderungen an die Büros, wenn nicht mehr alle jeden Tag im Büro sind“, erklärt Pink. „Wie sich die Anforderungen konkret verändern, ist von vielen Parametern abhängig, etwa den Arbeitsprozessen oder der Kultur des Unternehmens. Daher ist es im Moment schwierig, generelle Ableitungen zu machen. Der zentrale Punkt ist vielleicht, dass Büroarbeit vielfältiger wird und sich deshalb auch der Markt für Büroflächen ausdifferenzieren muss.“
Die Nutzungsmärkte
Die Umwälzung, die Corona in Gang gebracht hat, spiegelt sich in jeder nur möglichen Branche wider, hat sie zwangsmäßig beschleunigt oder die eine oder andere Lücke in den altbekannten, vertrauten Strukturen hervorgebracht. Die Entwicklungen in den Nutzungsmärkten „verändern die Anforderungen an Lagen, Objekte und Flächen“, formuliert Pink abschließend seine Prognose für Value Add. „Dadurch werden die Erträge vieler Objekte und teilweise ganzer Nutzungsarten unsicherer und lassen das Core-Segment schrumpfen. Umgekehrt ergibt sich aus den veränderten und sich verändernden Nutzeranforderungen erhebliches Value Add-Potenzial und so könnte diese Strategie massiv an Bedeutung gewinnen.“ (ml)