Ein Blinde-Kuh-Spiel

31.10.2013

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Rund 60 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland arbeiten in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Laut Bundeswirtschaftsministerium sind das etwa 15 Millionen Bundesbürger. 3,5 Millionen in Firmen mit weniger als 10 Arbeitnehmern, knapp 12 Millionen in Betrieben mit 10 bis 499 Mitarbeitern.

Insgesamt gibt es etwa 4 Millionen solcher Unternehmen – und die Versicherer behandeln sie eher stiefmütterlich. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Untersuchung der globalen Strategieberatung Simon-Kucher & Partners.

Das Beratungsunternehmen befragte für ihre Untersuchung 75 hochrangige Versicherungsmanager. Angesichts der Produkte und Services, die den KMU zur Verfügung gestellt werden könnten, und der damit verbundenen Vertriebschancen fällt das Ergebnis allerdings ernüchternd aus. Viele der als Produktabnehmer in Frage kommenden Mittelständler wüssten nicht einmal, welchen Wert ihnen Versicherungen bieten könnten. Laut Simon-Kucher ein klarer Hinweis dafür, dass die Versicherungswirtschaft mit ihrem Leistungsportfolio diese Gruppe höchst unzureichend im Fokus habe. „Versicherungsprodukte und Verkaufsprozesse treffen aktuell nicht den Nerv der KMU. "Ein Blinde-Kuh-Spiel", kommentiert Dr. Dirk Schmidt-Gallas, Partner beim Beratungsunternehmen. Das sei alleswenig professionell, dabei könnten die Versicherer in diesem Bereich wachsen.

Theoretisch zumindest ist das Problem den Versicherern bekannt. Allerdings sei es schwierig, bei den KMU einen Absicherungswunsch auszulösen. Einig sind sie sich bei den erforderlichen Maßnahmen: Service, ein passgenauerer Versicherungsschutz, simple und standardisierte Produkte mit der Möglichkeit, Bausteine daraufzusetzen. Problem für die Anbieter: An wen muss man sich bei den KMU eigentlich wenden? In dieser Hinsicht sei ein KMU noch immer ein Alien. Auch beim Vertrieb hake es. Neben einem stimmigen Produktportfolio fehle ein ganzheitliches und schlüssiges Beratungskonzept. Die befragten Versicherungsmanager wollen künftig auf bessere Produkte setzen, um in der genannten Zielgruppe zu wachsen. Unterstützung erhoffen sie sich dabei von einem Ausbau ihrer Online-Services. Gar nicht angetan sind sie hingegen von höheren Abschlussgeschwindigkeiten und der Direktakquise. Für Simon-Kucher ist dies jedoch unverständlich, wenngleich ein weltweit beobachtetes Phänomen.

Die Experten von Simon-Kucher empfehlen jedenfalls den Verkauf von Standardprodukten, die individuell verändert werden könnten. Ganz ähnlich wie im Privatkundengeschäft, in dem modulare Modelle eine immer größere Rolle spielen. An den Privatkunden sollte sich auch die Beratung von KMU orientieren. Nämlich ganzheitlich und mit dem Ziel, die Firmen als „Rundum-Kunden" an sich zu binden. Zudem komme es auf eine effektive Vertriebssteuerung an. Dafür müssten sich die Versicherer aller ihnen zur Verfügung stehenden Vermittlerkanäle bedienen. Mit ansprechenden Produkten und einer verständlichen Beratung ließe sich nicht nur im Wettbewerb punkten. Vielmehr könne man so auch attraktive Anreize setzen. Schlussfolgerung Schmidt-Gallas: „Eine Annäherung der Produkte und Prozesse an Erfolgsbeispiele aus dem Privatkundengeschäft ermöglicht kurz- und mittelfristiges Wachstum."

Fazit. Seit etlichen Jahren reden Versicherer von den Geschäftsmöglichkeiten bei KMU. Umgesetzt worden ist davon jedoch laut Studie überraschend wenig. Dabei schlummert in diesem Bereich riesiges Geschäftspotenzial. Übrigens auch für Vermittler.

(Dr. Hermann Schmidt-Dieburg)

Absicherung von KMU - Online-Ausgabe 04/2013