Devisenanleger ignorieren Brexit nicht
02.05.2016
Ursina Kubli, Ökonomin, Bank J. Safra Sarasin AG
Was passiert, wenn das Pfund rund 10% sinken würde? Großer Ansturm auf US-Dollar, Franken und Yen. Nicht einmal zwei Monate ist das Referendum zum Verbleib Großbritanniens in der EU entfernt. Umso erstaunlicher ist die Erholung des Pfundes in den vergangenen Wochen.
Der Cable – wie das Währungspaar britisches Pfund und US-Dollar genannt wird – hat Anfang Mai 2016 wieder das Niveau von Jahresbeginn erreicht, nachdem es zwischenzeitlich massiv an Wert verloren hatte. Ignorieren die Devisenmärkte das Risiko eines sogenannten Brexit? Das ist nicht der Fall. Schließlich hängt der stabile Cable auch mit einem schwächeren US-Dollar zusammen. Der handelsgewichtete Außenwert des britischen Pfundes ist seit Jahresbeginn knapp 5% gesunken. Auch sind die Optionspreise des Pfundes im 2016 angestiegen, da sich Anleger gegen Brexit absichern wollen. Insgesamt sind Anleger der britischen Valuta gegenüber skeptisch gestimmt und haben hohe Netto-Short-Positionen in der britischen Währung aufgebaut, um sich vor einer Abwertung des Pfundes zu schützen bzw. davon zu profitieren. Devisenanleger halten das Risiko von Brexit klar im Auge, doch Panik ist nicht ausgebrochen. Was passiert mit dem Pfund, sollten die Befürworter von Brexit am 23. Juni 2016 gewinnen? Für dieses ökonomische Gedankenspiel wenden wir zwei Ansätze an: Erstens versuchen wir auf ähnliche historische Ereignisse zurückzugreifen. Ein zumindest ansatzweise vergleichbares Ereignis ist der 16. September 1992, als das britische Pfund aufgrund von Spekulationen von George Soros das Europäische Währungssystem (EWS) verlassen musste. Insgesamt hatte damals das handelsgewichtete Pfund rund 15% nachgelassen. Diese Abwertung war abrupt, da das Pfund im Rahmen des EWS einen stabilen Wechselkurs zur Deutschen Mark halten musste. Heutzutage ist das Risiko von Brexit jedoch bereits teilweise in den Wechselkursen berücksichtigt. Mit einer Abwertung des Pfundes von knapp 5 Prozent seit Jahresbeginn dürfte das Pfund bei Brexit weitere 10 Prozent sinken. Der zweite Ansatz zur Abschätzung des Währungseffektes von Brexit basiert auf der Leistungsbilanz. Insgesamt weist Großbritannien ein hohes Leistungsbilanzdefizit aus und ist von der ausländischen Finanzierung abhängig. Ohne EU könnten sich diese Finanzzuströme aus dem Ausland schwieriger erweisen und das Vereinigte Königreich dürfte gezwungen sein, ihr Leistungsbilanzdefizit mit einer Währungsabwertung zu reduzieren. Für die Frage, wie stark die Abwertung sein müsste, stützen wir uns auf eine Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF). Gemäß der erwähnten Studie dürfte das handelsgewichtete Pfund vom heutigen Stand rund 10% abwerten. Die zwei voneinander unabhängigen Ansätze liefern demnach vergleichbare Resultate und eine Abwertung des Pfundes scheint zumindest eine plausible Richtgrösse. Insgesamt dürfte die Abwertung gegenüber dem US-Dollar grösser sein als gegenüber dem Euro. Schliesslich ist Brexit nicht nur ein britisches Problem, sondern ein europäisches, und dürfte auch den Ausblick der europäischen Gemeinschaftswährung trüben. Neben dem US-Dollar ginge auch der Ansturm auf die sicheren Häfen Schweizer Franken und japanischer Yen los. Beide Zentralbanken wären gezwungen, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um eine zu starke Aufwertung ihrer Währungen zu verhindern. Diese Währungspolitik hatte in der Schweiz bisher gut funktioniert. Hingegen die japanischen Währungshüter scheinen zurzeit relativ machtlos, den Ansturm auf den Yen aufzuhalten. Brexit würde die japanische Zentralbank noch stärker in Bedrängnis bringen. www.jsafrasarasin.com