„Das Verhalten vieler Versicherer hat nichts mit Verantwortung zu tun“
22.06.2018
Foto: © PremiumCircle Deutschland GmbH
„Versicherungswirtschaft zwischen Vertrieb und Verantwortung“. Unter diesem Motto stand das VorsorgeFachForum, das am Mittwoch in Mannheim stattfand. Dabei wurde sowohl mit den Versicherungen als auch der Maklerschaft zum Teil hart ins Gericht gegangen.
Die Situation ist völlig paradox: Der Verlust der Arbeitskraft gehört laut Umfragen zu den größten Ängsten der Deutschen, aber nur jeder vierte Arbeitnehmer hat sich dagegen versichert. Die Ursachen für diese deutliche Unterdeckung wurden auf dem VorsorgeFachForum in Mannheim erläutert. Claus-Dieter Gorr, geschäftsführender Gesellschafter, des Veranstalters PremiumCircle Deutschland GmbH, machte in seinem Vortrag mit deutlich, dass die Versicherungswirtschaft ein deutliches Imageproblem hat- was fatale Folgen haben kann: „Versicherungsvertreter haben auch eine hohe Verantwortung, ähnlich wie Piloten, Ärzte etc.“ Diese Verantwortung würde die Bevölkerung nicht wahrnehmen, denn die Makler würden ihren Kunden zu wenig über die Wichtigkeit der Versicherungsprodukte erklären. Ein weiteres Problem ist laut Gorr, dass viele Makler und Pools zu hohe Provisionen fordern würden, was dann zu höheren Prämien für die Versicherten führe. Deshalb bekamen viele Versicherungsunternehmen in letzter Zeit juristischen Ärger mit Verbraucherzentralen. Doch auch die Versicherer wurden von Gorr harsch kritisiert: „Das Verhalten vieler Versicherer hat nicht mit Verantwortung zu tun.“
Krankversicherung ist viel leichter zu vermitteln als BU-Versicherung
Der PremiumCircle-Geschäftsführer zeigte in seinem Vortrag deutlich auf, wo die Unterschiede in den Versicherungsbedingungen zwischen Privaten Krankenversicherungen und der BU-Versicherung liegen. So könne man die Bedingungen bei der PKV leicht verstehen und es werde eine Leistung garantiert. Bei der BU-Versicherung sei hingegen vieles unverbindlich und man könne deshalb von Glück sprechen, wenn man eine Leistung erhalten. Doch auch die Alternativen zur BU-Versicherung sind von vielen begrifflichen Schwierigkeiten geprägt. So zeigte Hendrik Scherer, ebenfalls Geschäftsführer bei PremiumCircle, in seinem Vortrag anhand vieler Beispiele auf, dass bei der häufig als BU-Alternative verwendeten Grundfähigkeitsversicherung viele, auf den ersten Blick banal klingende, Begriffe wie „Gebrauchsfähigkeit der Hände“ bei den verschiedenen Versicherern völlig unterschiedlich definiert sind. Diese Definitionen seien medizinisch häufig kompliziert und der Berater könne die unterschiedlichen Produkte kaum miteinander vergleichen, weil die Leistungsauslöser häufig völlig unterschiedlich definiert seien.
„Es gibt keine Alternative zur BU“
Aufgrund der vorher aufgezeigten Probleme in der Vermittlung von BU-Versicherung, entscheiden sich immer mehr Makler dafür, Alternativprodukte wie bspw. Dread Disease-Versicherungen oder Erwerbsunfähigkeitsversicherungen an. Scherer betonte aber, dass diese Produkte nicht den Abschluss einer BU-Versicherung ersetzen könnten. „Es gibt keine Alternative zur BU!“, so Scherer eindringlich. „Keine BU-Versicherung abgeschlossen zu haben, bedeutet im Leistungsfall keinerlei Klageoption zu haben“. Das hänge vor allem damit zusammen, dass die BU-Versicherung als einzige mit dem beruflichen Werdegang mitwachse und jedes Tätigkeitsfeld des Versicherten abdecke. Wie komplex ein Tätigkeitsfeld sein kann, zeigte Heike Maurath auf. Die Leistungsfallbearbeiterin hat im Laufe ihres Berufslebens zahlreiche Zusatzqualifikationen erworben.
„BU-Versicherung ist Klageoption“
Zu welchen rechtlichen Folgen die zahlreichen unbestimmten Begriffe in den Versicherungsbedingungen der BU-Versicherungen führen können, zeigte Claus-Dieter Gorr auf. Er kritisierte dabei, dass viele Versicherungsunternehmen nur wenige Daten zum Leistungsverhalten zur Verfügung stellen würden. Von denjenigen, die Daten zur Verfügung gestellt hatten, war das Leistungsverhalten höchst unterschiedlich. Außerdem kritisierte Gorr, dass viele Versicherer mit ihren Kunden zu wenig empathisch umgehen würden.
Berufsunfähigkeit kann viele Auslöser haben
Vier häufige Auslöser wurden von vier unterschiedlichen Referenten dreier unterschiedlicher Versicherungen. Während Olaf Engemann, Vorstand Vertrieb und Marketing bei der SDK und Dr. Jürgen Bierbaum, Mitglied der Vorstände der ALTE LEIPZIGER HALLESCHE sprachen, referierte Sascha Wanke, Abteilungsleiter Claims & Services bei Swiss Life, über das Thema Bandscheibenvorfall. Dass gerade bei psychischen Erkrankungen der Kunde im BU-Leistungsfall häufig überfordert ist, machte Lydia Dickmeis deutlich. Laut der Leistungsfallprüferin bei der HID ist die Leistungsprüfung rein in Papierform nicht mehr zeitgemäß und überfordere häufig auch den Kunden. Außerdem sprach sie über das Thema Schlaganfall, das ebenfalls häufig Auslöser für Berufsunfähigkeit ist. Welche Möglichkeit die Digitalisierung der Medizin bietet, machte Michael Albrecht, Leiter Hauptabteilung Maklervertrieb bei der Barmenia in seinem Vortrag über Telemedizin deutlich. Hier seien andere Länder bereits deutlich weiter als Deutschland, was auch mit dem in Deutschland geltenden Fernbehandlungsverbot zusammenhänge.
Wie sich Krankheitsbilder im Laufe der Zeit verändern und welchen Herausforderungen die Versicherungswirtschaft dabei gegenüber steht, erklärte Prof. Dr. Thomas Konrad, Leiter des Stoffwechselzentrums Rhein-Main. Er malte dabei ein durchaus düsteres Bild der Zukunft: So würde es bald immer mehr Erkrankungen geben, denn der Mensch sei biologisch der modernen Welt nur bedingt angepasst. Zudem forderte der Arzt, dass die Menschen besser über die Gesundheit aufgeklärt werden.
Zum Abschluss der Veranstaltung sprachen Versicherungsvorstände gemeinsam mit Dr. Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen im Rahmen einer Podiumsdiskussion teilweise kontrovers über aktuelle und künftige Herausforderungen der Versicherungsbranche. (ahu)