Ein eher frommer Wunsch

15.08.2018

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Was im Kollektivgeschäft gang und gäbe ist, funktioniert bislang bei individuell abgeschlossenen BU-Policen so gut wie überhaupt nicht: der völlige oder zumindest weitgehende Verzicht auf die von den potenziellen Kunden so gefürchteten Gesundheitsfragen. Von den Anbietern als Begründung angeführt werden immer wieder die Tarifkalkulation und die Risikoselektion. Darunter leidet die Abschlussbereitschaft.

Das eigentliche Drama um die mangelnde Bereitschaft der Bundesbürger, eine Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) abzuschließen, beginnt meist schon mit dem Antrag. Mittlerweile hat es sich auch in den letzten Zipfeln der Republik herumgesprochen, dass dann ein Haufen zum Teil höchst unangenehmer Fragen nach der Gesundheit in den vergangenen Jahren gestellt wird - die zudem häufig in die Irre führen, wie Carsten Henkel, Leiter Service Center Neugeschäft und Chief Underwriter, HDI Lebensversicherung AG, beim Blick auf den Anbietermarkt einräumt: „Oftmals sind Gesundheitsfragen für Laien kaum verständlich. Kunden fürchten zu Recht, dass sie hier Fehler machen, die dann zu einer Ablehnung führen könnten.“ Wichtig für Kunden und Versicherer sei: Gesundheitsfragen sollten klar und verständlich formuliert sein. Zum besseren Verständnis sollten die Gesundheitsfragen nachvollziehbare Beispiele enthalten. Es hat sich aber ebenfalls herumgesprochen, dass der Versicherer bei ungenügender oder gar falscher Beantwortung auch nach Jahren noch keinen einzigen Heller zahlt. Oder bei wahrheitsgetreuer Beantwortung mit Risikoausschlüssen oder Risikozuschlägen reagiert. Selbst wenn schon länger keine Beschwerden mehr bestehen, getreu dem Motto: Einmal krank, immer krank. Also lässt man gleich ganz die Finger davon. Muss das so sein? Die Antwort ist auch aus Sicht von Verbraucherschützern ein klares Nein, dafür sei der Versicherungsschutz zu wichtig.

Individualversicherung als Vorbild

Allerdings ist auch Bewegung in den Markt gekommen. Zumindest ein bisschen. Im Kollektivbereich funktioniert es ja ohnehin schon seit langer Zeit, wie Samy Soyah, Head of Sales beim Versicherungsmakler Hoesch & Partner GmbH, erläutert: „Wir reden im Kollektivbereich überwiegend über Konstellation mit BU-bAV. Dabei gibt es verschiedene Optionen mit vereinfachter Gesundheitsprüfung bis hin zur Dienstobliegenheitserklärung, bei der der Arbeitgeber dem Mitarbeiter bestätigt, dass dieser innerhalb der letzten zwei Jahre keine 14 Tage am Stück krank war. Vereinfachte Gesundheitsprüfungen werden im hart umkämpften Biometrie-Segment immer populärer und auch im Individualbereich mittlerweile von vielen Gesellschaften angeboten.“ Die Versicherer orientierten sich dabei mit Angeboten entweder an Berufsgruppen oder Lebensereignissen der potenziellen Kunden, zum Beispiel einem Immobilienerwerb. Die Bandbreite an Angeboten, sowohl im Kollektiv- als auch Individualbereich, sei also vorhanden. Es handele sich aber immer um komplexe Biometrie-Produkte, die der Kunde im Einzelfall prüfen sollte – idealerweise mit professioneller Unterstützung. Dass etwas mehr Kreativität der Sache zugutekäme, meint Marcus Börner, Vorstand der inpunkto AG: „Aus meiner Sicht wäre eine vereinfachte Gesundheitsprüfung auch im Individualgeschäft möglich. Hier müssten dann entsprechend Kollektive der Berufsgruppen bestimmt werden.

Es gibt BU ohne Gesundheitsfragen

Manche Versicherer bedienen sich dieser Möglichkeit ja bereits.“ Makler Matthias Helberg nennt in seinem Blog Ross und Reiter: „Bereits seit 2012 informieren wir über Möglichkeiten, eine Berufsunfähigkeitsversicherung (fast) ohne Gesundheitsfragen zu bekommen.“ Im Einzelnen nennt er die Allianz, Barmenia, HDI, LV 1871 und Signal Iduna. Zugeschnitten sind diese Offerten allerdings entweder auf bestimme Zielgruppen, wie etwa Rechtsanwälte, Steuerberater oder Ärzte. Oder aber sie richten sich nur an junge Leute oder sind mit geringerem Versicherungsschutz ausgestaltet. Beispielsweise bei der Barmenia, wie Ulrich Lamy, Mitglied der Vorstände der Barmenia Versicherungen, erläutert: „Der Grundgedanke der Versicherung ist der Risikoausgleich im Kollektiv und in der Zeit. Je größer und homogener das Kollektiv ist, umso wahrscheinlicher ist es, dass dieser Risikoausgleich auch funktioniert. Stark erhöhte Risiken einzelner Personen, bei denen bereits kurz nach Abschluss der Leistungsfall eintritt, gefährden die Kalkulation des gesamten Kollektivs. Daher dient die Risikoprüfung dazu, das objektive und subjektive Versicherungsrisiko zu bewerten und durch diese Risikoselektion das Kollektiv zu schützen.“ Aus diesem Grund gehe das Kollektivgeschäft, das mit einer vereinfachten Risikoprüfung geschlossen werde und für das dann relevante Informationen aus der Risikoprüfung fehlten, nur mit risikobegrenzenden Maßnahmen einher – also etwa einer Mindestgröße des möglichen Kollektivs, einer sehr hohen Beteiligungsquote oder auch zum Beispiel einer Begrenzung der versicherten Leistungen. Mit diesen Maßnahmen funktioniere eine vereinfache Gesundheitsprüfung nicht nur im Kollektivbereich, sondern auch im Individualgeschäft. Lamy: „So bietet die Barmenia im Bereich der privaten BU-Absicherung eine verkürzte Gesundheitsprüfung an. Bis zu 1.750 EUR monatliche BU-Rente können mit verkürzter Gesundheitsprüfung beantragt werden, wenn das Eintrittsalter der versicherten Person unter 36 Jahren liegt und die versicherte Person einen bestimmten Anlass innerhalb der letzten sechs Monate nachweisen kann. Christian Schwalb, Geschäftsführender Gesellschafter SCALA & Cie. Holding, betrachtet BU-Versicherungen ohne oder mit vereinfachter Gesundheitsprüfung allerdings mit größter Vorsicht: „Aus unserer Sicht ist die Risiko-Selektion eine wesentliche Grundlage für nachhaltig

kalkulierbare Versicherungstarife. Die Gefahr einer Negativ-Selektion ist im Verhältnis zu den möglichen Vorteilen viel zu groß. Nicht ohne Grund wird heute immer noch bei einer betrieblichen BU damit geworben, dass Vorerkrankungen keine große Hürde darstellen.“

Bringt das noch was?

Eine Alternative wäre BU-Policen, bei denen statt umständlicher Gesundheitsfragen eine Wartezeit zwischen Vertragsabschluss und theoretischem Leistungsbeginn vereinbart würde. Für Soyah allerdings wäre dies nicht unbedingt ein gangbarer Weg: „Es gibt bereits die Möglichkeit, zum Beispiel eine BU mit Karenzzeit abzuschließen. Unser Kundenerlebnis zeigt aber, dass diese Produkte nicht gefragt sind. Insgesamt können wir uns attraktive Produkte mit Wartezeit für unsere Kunden nur schwer vorstellen und stehen dem eher skeptisch gegenüber.“ Er stellt zudem die Frage, welche Wartezeit Versicherer beispielsweise einem 25-Jährigen mit HWS-Syndrom, Tuberkulose oder derartigen Krankheiten geben sollten, wenn die statistische Wahrscheinlichkeit der BU ab 45 am größten ist. Soyah: „Oder anders gefragt: Bringt eine zehnjährige Wartezeit einem 50-Jährigen denn überhaupt noch was?“ Ganz anders sieht dies jedoch Börner: „Wartezeiten im Bereich der BU sind sicherlich ein Medium, um die Risiken klassifizieren zu können und dem Versicherer eine Kalkulationsgrundlage zu geben.“ (hwt)