Die Schwierigkeit beim Change

30.05.2017

Jörg Weitz (li) und Ralf China (re) / Foto: © 3FACH ANDERS / Ralf China

Warum tun sich viele Menschen mit Veränderungen so schwer? Obwohl die Vorteile bei logischer Betrachtung klar erkennbar wären, führt die Abweichung von den bisher gewohnten Wegen zu einer ablehnenden Haltung, die auch als „Semmelweis-Effekt“ bezeichnet wird: 1846 entdeckte der junge Assistenzarzt Ignaz Philipp Semmelweis am Kaiser-Josef–II-Krankenhaus in Wien die Ursache für das sogenannte Wochenbettfieber, an dem im 19. Jahrhundert in Europa noch über eine Million Frauen nach einer Geburt starben; Grund: mangelnde Hygiene. Damals war es noch nicht üblich, dass Ärzte sich zwischen den Untersuchungen die Hände wuschen oder Instrumente sterilisiert wurden; so wurden Keime übertragen, die zu tödlichen Blutvergiftungen führten. Durch einfaches Desinfizieren von Händen und Instrumenten gelang es Semmelweis, die Infektionsquote auf seiner Station von 18 auf 1,3 % zu senken. Trotz dieser nachweislichen Vorteile hielten seine älteren Kollegen solche hygienischen Maßnahmen für Zeitverschwendung und lehnten sie rundweg ab. Statt Lob und Anerkennung zu erhalten, wurde sein Vertrag nicht verlängert und Semmelweis musste das Klinikum verlassen. Während er an seiner neuen Wirkungsstätte die Sterblichkeitsrate auf 0,85 % senken konnte, schnellte sie nach seinem Weggang im Krankenhaus in Wien wieder auf 15 % hoch.

Ein klarer Fall von Zombie-Befall: Offenbar war im Fall Semmelweis nicht entscheidend, dass seine Idee nachweislich funktionierte, sondern dass sie von einem jungen Assistenzarzt kam und sich nicht mit der Meinung der erfahrenen Kollegen und Chefärzte deckte.

Eine Ursache für den Semmelweis-Effekt liegt in alten Programmen unseres Gehirns, wie ein 1970 in einem japanischen Zoo durchgeführtes Experiment mit unseren engen biologischen Verwandten zeigte: Man bot jungen Affen, die in der Hierarchie der Horde relativ weit unten standen, ein neues Futter an: Karamellbonbons. Dieses neue Futter wurde von den jungen Affen begeistert angenommen, aber die älteren Affen blieben skeptisch. Selbst nach 18 Monaten wurde dieses neue leckere Futter nur von gut der Hälfte der Affenhorde akzeptiert. Von den ranghöheren Tieren griff keines zu dieser Leckerei. Ganz anders war die Reaktion in der Affenhorde, als den ranghöheren Affen Weizen als Futter angeboten wurde; hier dauerte es nur vier Stunden, bis sich dieses neue Futter in der ganzen Horde durchgesetzt hatte. In der streng hierarchischen Affenhorde verbreiteten sich nur solche Neuerungen schnell und nachhaltig, die von den Chefs eingebracht wurden. Verbesserungsvorschläge von rangniederen Tieren setzten sich dagegen kaum durch, gleich wie lecker sie waren. Und wie uns seit Jahren viele Trainingsteilnehmer aus eigener Erfahrung bestätigen, ist der Erfolgs-Zombie „Chefs wissen es grundsätzlich besser“ einfach nicht totzukriegen.

In der Kolumne von Jörg Weitz und Ralf China dreht sich alles um den dauerhaften Erfolg von Beratern und Vermittlern. Dabei bilden die kölnische Frohnatur Jörg Weitz, selbst jahrelang in der Finanzberatung aktiv und ein echter Menschenflüsterer, und der zugezogene Nordhesse Ralf China, der sich eher durch eine protestantische Arbeitsethik auszeichnet und mehrere Jahre als Unternehmensberater aktiv war, ein spannendes Gespann. Im Mittelpunkt stehen hier An- und Einsichten jenseits der gängigen Patentrezepte.

Der Text ist ein Auszug aus dem Buch: „Sei du selbst, sonst geht’s dir dreckig! warum Erfolg nicht Patentrezepten, sondern nur individuell machbar ist“ von Ralf China und Juergen Schoemen.